Donau Zeitung

74‰Jähriger kämpft um sein Haschisch

Ein Mann aus dem südlichen Landkreis Donau-Ries hat eine schmerzvol­le Krankheit. Deswegen baute er Marihuana-Pflanzen an. Die Polizei kam ihm schließlic­h auf die Spur

- VON THOMAS HILGENDORF

Landkreis Die Geschichte von Walter K.* könnte eine einfache sein – wenn nur die Gesetze anders wären. So jedenfalls ist seine Sicht der Dinge. K., ein älterer, sichtlich schwer kranker Mann, hat ein schmerzhaf­tes Leiden. Nach langer Suche nach der richtigen Therapie, nach der Einnahme von etlichen künstliche­n Medikament­en, die alles nur noch schlimmer gemacht haben, nimmt sich der 74-Jährige vor, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Auf den Rat einiger Leidensgen­ossen hin probiert es K. mit Marihuana.

Weil er es seinen Angaben zufolge nirgendwo legal kaufen kann, baut er es selbst zu Hause an. So weit, so gut? Nein, denn Haschisch ist in der Tat nur sehr bedingt legal zu haben hierzuland­e. Eines Tages steht ein Trupp Polizisten vor K.s Wohnung. Ein Strafbefeh­l folgt, die Schmerzen bleiben. Soweit die Version von K., die jüngst am Amtsgerich­t in Nördlingen zu erfahren war. Doch ganz so einfach scheint alles nicht zu sein. Wenn es um Marihuana geht, wird es komplizier­t.

Ganz legal Marihuana zu erwerben in Deutschlan­d, das ist ein aufwendige­s Unterfange­n. Auch für einen Kranken. Der behandelnd­e Arzt muss zum einen freilich die Notwendigk­eit attestiere­n, zum anderen braucht er, wie das Gericht in Nördlingen zuletzt erläuterte, eine spezielle Betäubungs­mittelzula­ssung. Bei K. war es nun so: Sein Hausarzt bescheinig­te ihm nach einigen Klinikaufe­nthalten, dass er seine Krankheit, die recht plötzlich ausgebroch­en war, durchaus schmerzlin­dernd mit dem als weiche Droge deklariert­en Marihuana behandeln könnte. K. leidet unter Transverse­r Myelitis (TM), einer schweren degenerati­ven neurologis­chen Krankheit.

Die zusätzlich­e Krux: Laut Aussage von K. sei dieser in drei Apotheken gewesen, die ihm allesamt die Auskunft gaben, dass sie auch nach Vorlage eines Rezepts kein Marihuana herausgäbe­n.

Sodann habe sich K. im Internet kundig gemacht, wie er an die THChaltige­n Blüten der Pflanze kommen könnte. Die Recherche gestaltete sich hierzu nicht all zu schwierig, das Internet ist voll mit Angeboten, Tipps und Tricks rund um Haschisch und Co – gleich, ob legal oder illegal. Das Netz ist internatio­nal, und nicht überall auf der Welt sind die Gesetze bezüglich Marihuana so streng wie hier, der Blick in die Niederland­e genügt. K. jedoch war sich indessen bewusst, dass die Auflagen in Deutschlan­d weitgehend strikt sind. Doch die Schmerzen blieben. Fünf Pflanzen zog K. ab Herbst 2019 schließlic­h in seiner Wohnung. Doch kurz vor der Ernte der Blüten klingelte es an seiner Tür.

Zwei Polizeibea­mte wollten im Januar dieses Jahres eigentlich wegen einer Formalität zu einem Untermiete­r von K. etwas nachfragen. Sie rochen den Duft von angebrannt­em Haschisch, holten nun Verstärkun­g, um den Stoff zu suchen. Wie das Gericht unter Vorsitz von Gerhard Schamann berichtete, habe K. bereitwill­ig, offen und „kooperativ“Auskunft über die Pflanzen sowie die Gründe für seinen Haschischk­onsum gegeben. Das aber half nur wenig: Das private, genehmigun­gslose Züchten von stark THC-haltigen Pflanzen ist illegal. Die Polizeibea­mten beschlagna­hmten die fünf

Stauden als auch die Wärmelampe­n. Bei K. trudelte einige Zeit später ein Strafbefeh­l ein, nun also kam es zur Gerichtsve­rhandlung in Nördlingen.

Richter Schamann indes zeigte Verständni­s für K.s Situation, machte aber klar, dass dieser sich nicht außerhalb der bestehende­n Gesetze bewegen dürfe: „Ich kenne durchaus Menschen im Landkreis Donau-Ries, die auf legalem Weg Marihuana in hiesigen Apotheken bekommen“, erklärte der Vorsitzend­e. K. hätte sich weiter erkundigen müssen.

Dieser jedoch zeigte sich uneinsicht­ig: Die Politik stecke mit der Pharmaindu­strie unter einer Decke, weshalb der Erwerb der natürliche­n, weichen Droge Marihuana auf legalem Wege doch gar nicht erwünscht sei.

Inzwischen verfügt K. jedoch über ein gültiges Rezept, weshalb er dem Richter auch einen seiner mitgebrach­ten Haschkekse anbieten konnte, der jedoch dankend ablehnte. „Nun haben sie es ja doch legal bekommen“, sagte Schamann.

Ja, doch das komme seiner Krankenkas­se und letztlich der Allgemeinh­eit jetzt wesentlich teurer; all das hätte man sich doch ersparen können, entgegnete K. Es gehe ums Prinzip: Die bestehende­n rechtliche Lage in der Sache sei paradox, schlicht nicht nachvollzi­ehbar.

Schamann indes machte klar, dass „im Gerichtssa­al die Gesetze nicht gemacht werden“, sondern Verstöße geahndet werden müssten. Er wollte dem sichtlich kranken Mann, der sich nach wie vor nicht ohne Gehhilfen bewegen kann, das Marihuana also „nicht aus Spaß“konsumiert­e und angebaut habe, eine Brücke bauen: Sollte dieser nur Einspruch gegen das Strafmaß erheben und nicht gegen den Strafbefeh­l an sich, könnte die Strafe spürbar milder ausfallen. Schließlic­h liege bei K. ja ein medizinisc­her Grund für den Konsum vor.

K. allerdings, der sich vor Gericht selbst vertrat, ging es ums Generelle: Er sei sich keinerlei Schuld bewusst, weshalb er auch keine Zugeständn­isse machen werde. Des Weiteren habe er keinem anderen geschadet, sondern lediglich sich selbst geholfen: „Dass ich hier stehe, ist ein Justizskan­dal.“Das Gericht sah sich gezwungen, 90 Tagessätze zu je 15 Euro auszusprec­hen, weil der 74-Jährige illegal Betäubungs­mittel erzeugt hatte. Die Staatsanwa­ltschaft hatte genau das gefordert. „Sie wollten ihre rechthaber­ische Meinung mit aller Macht durchsetze­n“, schloss Richter Schamann. Es liege am Gesetzgebe­r, Regeln anzupassen – und nicht am Gericht.

Haschkekse vor Gericht dabei

 ?? Foto: Alexander Kaya (Symbol) ?? Die Blüten der Marihuana‰Pflanzen sind bei entspreche­ndem Gehalt des Wirkstoffe­s THC berauschen­d. Aus diesem Grund sind Besitz und Konsum hierzuland­e weitgehend ein‰ geschränkt. Allerdings gilt Marihuana bei einigen Krankheite­n auch als wirksames Präparat gegen diverse Leiden.
Foto: Alexander Kaya (Symbol) Die Blüten der Marihuana‰Pflanzen sind bei entspreche­ndem Gehalt des Wirkstoffe­s THC berauschen­d. Aus diesem Grund sind Besitz und Konsum hierzuland­e weitgehend ein‰ geschränkt. Allerdings gilt Marihuana bei einigen Krankheite­n auch als wirksames Präparat gegen diverse Leiden.

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