Voll trotz Virus
Zu Stoßzeiten sind Busse und Straßenbahnen oft überfüllt. Viele Menschen haben deswegen Angst, sich dort mit Corona anzustecken. Verbessert sich die Situation in den kommenden Wochen?
Augsburg Die Kinder, die an diesem kalten Herbstmorgen mit der Straßenbahnlinie 2 zur Schule fahren, stehen so dicht gedrängt, dass zwischen sie wahrscheinlich kaum mehr ein Mathe-Heft passen würde. Schulranzen an Schulranzen, Schulter an Schulter stehen sie in der Bahn, die um kurz vor halb acht in der Augsburger Frauentorstraße ankommt. Mehrere Schulen gibt es hier – entsprechend groß ist das Gedränge. Normalerweise wäre das nicht weiter bemerkenswert. Doch normal ist in diesen Zeiten, in denen die Corona-Pandemie wieder deutlich an Fahrt aufnimmt, eben wenig.
Nach Angaben des Robert-KochInstituts stecken sich zwar die meisten Menschen im privaten Umfeld an, das Risiko in Bussen und Bahnen sei gering – dennoch haben viele Fahrgäste angesichts der massiv steigenden Infektionszahlen in überfüllten öffentlichen Verkehrsmitteln ein mulmiges Gefühl. Trotz Masken.
In den sozialen Medien machen Menschen aus allen Ecken des Freistaats ihrem Ärger Luft. Eltern von Schülern genauso wie Berufspendler. Einige sprechen von „Viehtransportern“, andere haben kein Verständnis dafür, dass an Streiktagen deutlich weniger Busse und Bahnen im Einsatz waren und wieder andere fordern, dass in Stoßzeiten mehr Fahrzeuge eingesetzt werden müssten, um den nötigen Abstand zu anderen Fahrgästen sicherzustellen. Hinzu kommt: In den Schulen werden massive Sicherheitsvorkehrungen getroffen, es wird darauf geachtet, dass die Schüler nur mit den Kindern der eigenen Klasse Kontakt haben – in den Bussen und Bahnen indes vermischen sie sich. Das stößt auf großes Unverständnis.
In Augsburg seien in den vergangenen Wochen „in der morgendlichen Schülerspitze“alle verfügbaren Fahrzeuge im Einsatz gewesen, sagt Jürgen Fergg, der Sprecher der Augsburger Stadtwerke. Dennoch, das räumt auch er ein, sei es mitunter eng gewesen. „Wir informieren seit Monaten und bitten unsere Fahrgäste, wann immer es geht, auch das eigene Mobilitätsverhalten anzupassen und beispielsweise einen Bus oder eine Bahn früher oder später zu nehmen, beziehungsweise zehn Minuten oder eine Viertelstunde früher oder später aufzubrechen“, sagt Fergg. Um die Situation im Schülerverkehr zu entzerren, wurden sogar extra Ordnungskräfte eingesetzt, die die Fahrgastströme lenken sollten.
In Augsburg wird sich die Situation in den kommenden Wochen wohl etwas entspannen. Schließlich sollen wegen des enorm hohen Sieben-Tage-Inzidenzwertes in der Stadt viele Schüler nach den Ferien wieder im Distanzunterricht sein. Angesichts des Lockdowns würde die Zahl der Fahrgäste insgesamt zurückgehen, glaubt StadtwerkeSprecher Fergg. Es finde wieder mehr Homeoffice statt, Gaststätten seien geschlossen und die Menschen aufgefordert, zu Hause zu bleiben.
Die Situation nach den Ferien lasse sich aber noch nicht genau absehen, fährt Fergg fort. Man werde jedoch die gleich dichte Taktung wie vor den Ferien anbieten und die Situation beobachten.
Das Problem, dass Verkehrsmittel zuweilen extrem voll sind, gibt es in vielen Städten, etwa in München. Einem Bericht der Abendzeitung zufolge herrschte dort in den vergangenen Tagen und Wochen, als die Infektionszahlen in die Höhe schnellten, teils Gedränge wie in Vor-Corona-Zeiten, auch die Münchner Verkehrsgesellschaft bestätigt, dass immer mehr Fahrgäste einstiegen. Ähnliches hört man aus Nürnberg und Ulm.
Auch auf dem Land ärgerten sich die Menschen immer wieder über morgendliches Gedränge. Zum Schuljahresbeginn im September gab es etwa im Landkreis Günzburg von Eltern viel Kritik wegen überfüllter Schulbusse, auch Schüler klagten, dass es zu voll sei. Derlei hörte man zuletzt auch aus dem Allgäu. Weil die Busse von und nach Buchloe so voll gewesen seien, habe er seine Kinder dann mit dem Auto zur Schule gefahren, berichtete ein Leser unserer Zeitung, der von „unzumutbaren“Zuständen sprach.
Damit die Corona-Abstandsregeln auch in Schulbussen eingehalten werden können, setzen viele Landkreise auf sogenannte Verstärkerbusse. Vor kurzem beschloss die Bayerische Staatsregierung, die vorübergehende Förderung von Verstärkerbussen im Schülerverkehr fortzusetzen. Dafür stellt der Freistaat weitere 15 Millionen Euro bis zum Beginn der Weihnachtsferien zur Verfügung. „Mit den Verstärkerbussen können Kommunen das Platzangebot im Schülerverkehr erhöhen und wir unsere Schülerinnen und Schüler vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus schützen“, erklärt Verkehrsministerin Kerstin Schreyer (CSU). Die Kosten übernehme der Freistaat zu 100 Prozent.
Bis zu den Herbstferien wurden zunächst 15 Millionen Euro für Verstärkerfahrten bereitgestellt. Dem Verkehrsministerium zufolge, das sich auf Angaben der Verkehrsverbünde und einzelner ÖPNV-Aufgabenträger beruft, haben die Kommunen bis Mitte Oktober rund 350 Verstärkerbusse bestellt. Weitere 300 Busse stünden für Verstärkerleistungen zur Verfügung und könnten bei Bedarf aktiviert werden.
Mancherorts kommt noch ein anderes Problem erschwerend hinzu: fehlendes Personal. Im Landkreis Passau etwa sind mehr Schulbusse unterwegs als früher, damit sich die Kinder besser verteilen und die Abstandsregeln eingehalten werden. Der Landkreis hätte sich sogar noch mehr Busse vorstellen können – allerdings sei es schwierig, zusätzliche Fahrer zu finden. Ein Personalproblem – allerdings ein etwas anderes – gab es auch im oberfränkischen Hof. Dort haben sich vor kurzem mehrere Busfahrer mit dem Coronavirus infiziert, viele ihrer Kollegen mussten in Quarantäne. Der öffentliche Nahverkehr kam fast komplett zum Erliegen. Mittlerweile hat sich die Lage beruhigt, die Kunden sollen aber 50 Prozent des Preises für Monatskarten zurückbekommen.