Noch lange nicht am Ziel
Vor 50 Jahren fiel im DFB das Verbot des Frauenfußballs: Nach mühsamen Anfängen und einer langen Epoche von Erfolgen steht Deutschland nun vor einer wichtigen Weggabelung
Frankfurt am Main Fußball ist Männersache. Diese Weisheit hatte sich auch Sepp Herberger zu eigen gemacht. „Nach meiner Meinung ist der Fußballsport keine Sportart, die für Damen geeignet ist“, stellte der Weltmeistertrainer von 1954 eine Überzeugung heraus, die im Deutschen Fußball-Bund (DFB) in der Nachkriegszeit weit verbreitet war. Einstimmig erging in dem stockkonservativen Männerbund am 30. Juli 1955 der Beschluss, den Frauen das Fußballspielen zu untersagen. Die Begründung: „Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand.“
Es brauchte anderthalb Jahrzehnte, um die Geschlechterrollen beim Fußball neu zu definieren. Am 31. Oktober 1970 beschloss der DFBBundestag in Travemünde bei zwei Gegenstimmen, das Frauenfußballverbot aufzuheben, weil sich Frauen in mehreren Regionen vorgenommen hatten, einen eigenen Verband
gründen. In dieser Zeit kam in Hamburg auch Hannelore Ratzeburg als Seiteneinsteigerin zum Fußball. „Ich habe erst mit 19 angefangen. Es sah aus wie bei den F-Kindern. Der Ball geht dahin, wir sind dahin gelaufen. Kein Wunder, dass die Männer sich am Spielfeldrand die Bäuche hielten“, erinnert sich die heutige DFB-Vizepräsidentin. Der Verband zeigte anfangs wenig Interesse an einer bundesweiten Entwicklung des weiblichen Spielbetriebs. Bis zum ersten Länderspiel dauerte es bis 1982.
Acht Jahre zuvor hatte Bärbel Wohlleben im ersten Endspiel um die Frauenfußball-Meisterschaft für den TuS Wörrstadt ein Tor des Monats erzielt. Im ARD-Studio erhielt sie die Frage gestellt: „Wie machen Sie das mit einem Kopfball, wenn die Haare frisch onduliert sind.“Die Kameras, erinnert sich die 76-Jährige, waren in dieser Zeit oft auf Busen oder Po gerichtet. Im ZDFSportstudio befleißigte sich Wim Thoelke einer abwertenden Moderation. Sein Kommentar zu Filmbeiträgen: „Junge, Junge, ja die brauchen sich gar nicht aufzuregen, die
Zuschauer – die Frauen waschen doch ihre Trikots selber.“Aber weder der Vorwurf der „Mannsweiber“oder „Kampflesben“noch die ewig gleichen Fragen nach dem Trikottausch schreckten die Frauen und Mädchen auf den Fußballplätzu zen mehr ab. Bei Diskriminierungen der Männerschar wurde oft genug einfach weggehört.
Trotz aller Vorbehalte hatten sich unter dem DFB-Dach bald mehr als 300000 Spielerinnen versammelt. Die Erfolge stellten sich angesichts des Zulaufs fast zwangsläufig ein. Bundestrainer Gero Bisanz und seine Nachfolgerin Tina Theune leisteten für die Frauen-Nationalmannschaft Vorbildliches. Erweckungserlebnis sollte die EM 1989 in Deutschland werden: Das Endspiel an der Bremer Brücke in Osnabrück war ausverkauft, das Fernsehen übertrug live. Danach gab es als Prämie das berühmte Kaffeeservice, was die damalige Spielführerin Silvia Neid aber gar nicht so unpassend fand.
Sie beschenkte den deutschen Frauenfußball als Spielerin und Trainerin mit reichlich Silberware: An allen acht EM- und zwei WMTiteln war die 56-Jährige irgendwie beteiligt, die sich mit dem Olympiasieg 2016 verabschiedete. Die Goldschmiedin steuerte die DFB-Frauen auch durch den Tiefpunkt bei der Heim-WM 2011, worüber sie rückblickend sagt: „Wir warten total überfordert.“Zu groß der Druck, zu hoch die Erwartungshaltung. Einen nachhaltigen Nutzen gab es nicht. Mittlerweile herrscht bestenfalls Stagnation. Die Frauen-Nationalmannschaft scheiterte bei der
EM 2017 und WM 2019 nach wiederkehrenden Mustern bereits im Viertelfinale.
Vor der jüngsten WM in Frankreich traten mit Kapitänin Alexandra Popp, Dzsenifer Marozsan und Melanie Leupolz drei der besten deutschen Fußballerinnen auf. Auszug aus dem Intro: „Wir spielen für eine Nation, die unsere Namen nicht kennt.“Damit war viel über ihren Stellenwert gesagt. Um Gehör zu finden, mussten die selbstbewussten Sportlerinnen noch verkünden: „Wir brauchen keine Eier, wir haben Pferdeschwänze!“
Bundestrainerin Martina VossTecklenburg spürt, dass es innerhalb ihrer Mannschaft rumort: „Ich kann die Ungeduld mancher Spielerinnen nachvollziehen. Es gibt in England oder Frankreich eine andere mediale Präsenz, eine größere Sichtbarkeit.“Fraglich, ob eine Bewerbung um die Frauen-WM 2027 den erhofften Rückenwind gibt. Durch die Corona-Krise verschwindet die DFB-Auswahl noch bis zur EM 2022 von der Bildfläche, denn nur die großen Turniere erzeugen größere Aufmerksamkeit.