Donau Zeitung

Argentinie­n weint um Maradona

In dem südamerika­nischen Land beginnt die Zeit nach Diego. Und die Frage: Wie umgehen mit dem Vermächtni­s eines Mannes, der mehr war als nur ein Fußballer?

- VON TOBIAS KÄUFER

Rio de Janeiro Die Massen nehmen kein Ende: Vor der Casa Rosada, dem Regierungs­sitz des argentinis­chen Präsidente­n Alberto Fernandez, schiebt sich ein scheinbar endloses Band von Menschen langsam in Richtung Eingang. Nur ein, zwei Sekunden bleiben den Trauernden, um vom Sarg Abschied zu nehmen. Darin liegt Diego Maradona. Auf seinem Sarg liegen die Trikots der Boca Juniors und der argentinis­chen Nationalma­nnschaft, jenen Mannschaft­en aus seiner Heimat, die „D10S“neben dem SSC Neapel besonders liebte.

Am Morgen kommt auch Präsident Fernandez. Mehrmals legt er die Hand auf den Sarg, legt zwei weiße Kopftücher, das Symbol des Widerstand­s gegen die rechte Militärdik­tatur auf die darüber liegenden Trikots. Seine Frau legt rote Rosen dazu. Es brandet Beifall auf. Fernandez hat sich offenbar entschiede­n, aus der Trauerfeie­r ein politische­s Statement zu machen. „Ich weiß nicht, wie viele Menschen es gibt, die einem Volk nur Glück gebracht haben“, sagte Fernandez und zeigt sich sehr bewegt. Die Trauer ist ehrlich.

Argentinie­n hat die Corona-Krise besonders hart getroffen. Das Land gilt laut Bloomberg-Index als eines, das die Pandemie am schlechtes­ten gemanagt hat. Doch trotz der vielen Toten und des totalen Absturzes der Wirtschaft ist die Pandemie an diesem sonnigen Donnerstag kein Thema mehr. Aber Abstand halten, wenn der größte Sohn des Landes gegangen ist? Wie soll das gehen? Für einen Moment geraten die Dinge außer Kontrolle, geraten Wartende und Sicherheit­skräfte aneinander und es kommt zu Rangeleien. Doch es bleibt überwiegen­d friedlich. Und das ist erst ein Vorgeschma­ck auf das, was noch kommt. Die offizielle Trauerfeie­r, die Beerdigung. Vor dem Sarg spielen sich emotionale Szenen ab. Fans erheben die Faust zum Siegeszeic­hen, andere brechen in Tränen aus. Andere rufen „Diego, Diego“. Es fliegen Trikots, Schals, Blumen in Richtung Sarg. Der Tod des Diego Maradona lässt niemanden kalt in Argentinie­n. Auch nicht seine Feinde, die haben sich entschiede­n zu schweigen. Aus Respekt. Es ist nicht die Zeit für Abrechnung­en und Kritik.

Wer den Tag danach, diese gewaltige Trauer um Diego Maradona verfolgt, dem stellt sich unweigerli­ch die Frage: Und was kommt jetzt? Die argentinis­che Regierung hat die Kontrolle über die Feierlichk­eiten übernommen. Maradona sympathisi­erte mit dem linksgeric­hPräsident Alberto Fernandez, noch mehr aber mit Vizepräsid­entin Cristina Kirchner, die das Land acht Jahre lang regierte. Mit ihr wollte er sogar einmal gemeinsam für die Präsidents­chaft kandidiere­n. Die Regierung muss und will das Erbe verwalten. Nicht das finanziell­e, sondern das historisch­e, ideologisc­he Vermächtni­s eines Argentinie­rs, der alle berührt. Und von dem sie profitiere­n kann.

Für ihren verstorben­en Mann Nestor Kirchner, der das Land von 2003 bis 2007 regierte, ließ Cristina Kirchner ein großes Mausoleum bauen. Maradonas Popularitä­t ist weitaus größer als die Nestor Kirchners. Seine Strahlkraf­t reicht weit über die Landesgren­zen hinaus. Die Fans, die Touristen – sie alle werden nach einer Gedenkstät­te, nach einem Anlaufpunk­t suchen. Dafür gibt es bislang noch keinen Plan, aber ganz sicher schon erste Diskussion­en. Schon aus organisato­rischen Gründen braucht das Land eine Lösung. Aus kommerziel­len sowieso, denn mit der Verehrung für Maradona lässt sich Geld verdienen. Gibt es bald ein Museum, eine Stiftung? Und wer organisier­t und managt das alles? Die Familie, die Regierung, eine Universitä­t, eine Stiftung?

Schon in der Nacht nach seinem Tod kam es zu einem ersten Interessen­konflikt der Hinterblie­benen.

Die letzte Lebensgefä­hrtin Maradonas, Rocio Oliva beklagte sich, ihr sei der Zutritt zur Casa Rosada verweigert worden: „Alle habe sie reingelass­en, nur mich nicht.“Sie solle am nächsten Tag wiederkomm­en – wie alle anderen auch. Dafür ließ die Regierung offenbar die Töchter Dalma und Gianinna und die ehemalige Frau Claudia Villafane hinein, mit der sich Maradona über Jahre einen heftigen Streit lieferte. Zumindest mit seinen Töchtern soll sich Maradona zuletzt wieder verteten söhnt haben. Aber die Episode zeigt, wie schwierig es werden wird, allen gerecht zu werden, die eine direkte oder indirekte Verbindung zu Maradona hatten. Die Ex-Klubs, der argentinis­che Verband, die Politik, die Regierung, die Familie, die ehelichen und nicht ehelichen Nachfahren: Sie alle wollen mitreden, organisier­en und am Ende auch profitiere­n, vom ewigen Glanz und Mythos des Verstorben­en. Präsident Fernandez erklärte, die Entscheidu­ng, wo der Sarg aufgebahrt werde, habe

Claudia getroffen. „Es ging ihr sehr schlecht, sie hat viel geweint.“Fernandez berichtete, Claudia habe ihm gesagt, dass sie mit ihren Töchtern gesprochen habe und diese glaubten, dass es Diego gefallen hätte, dass man ihn im Haus der Regierung verabschie­de. Nur einer wird keinen Einfluss mehr nehmen können: Diego Maradona selbst. Seine Aufgabe ist die gleiche wie zu Lebzeiten: Er muss Träume produziere­n.

Zunächst aber produziert­e er Gewalt. Bei der Totenwache sind Fans in den Regierungs­palast Casa Rosada eingedrung­en. Einige Fans kletterten am Donnerstag über den Zaun vor dem Eingang und verschafft­en sich Zugang zur Casa Rosada. Offenbar befürchtet­en sie, nicht mehr zu dem Sarg ihres Idols vorgelasse­n zu werden, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Die Polizei setzte Tränengas ein, um die Menge zu zerstreuen. Im Inneren des Regierungs­sitzes wurde Maradonas Sarg in einem anderen Raum in Sicherheit gebracht.

Auch auf den Straßen vor dem Regierungs­gebäude im historisch­en Zentrum von Buenos Aires kam es zu gewalttäti­gen Auseinande­rsetzungen. Aufgebrach­te Fans schleudert­en Steine und Flaschen auf die Polizei, die Beamten feuerten Gummigesch­osse in die Menge und setzen Wasserwerf­er ein.

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Foto: Ferrario, imago Sich gegenseiti­g Halt geben. Argentinis­che Fußballfan­s beweinen den Tod ihres Idols Diego Maradona, der im Alter von 60 Jahren gestorben ist.

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