Donau Zeitung

Dillinger Strafverte­idiger berichtet von seiner Arbeit

Anwalt Georg Zengerle aus Dillingen hat bereits einige Mörder vor Gericht verteidigt. Ein Verbrechen lässt ihn nicht los

- Interview: Vanessa Polednia

Georg Zengerle hat als Verteidige­r schon viele Gerichtspr­ozesse bestritten. Ein Fall aus der Region lässt ihn nicht los.

Landkreis Rennende Beine auf nassem Asphalt und ein helles Auge im Fadenkreuz: Spätestens wenn der kultige Tatort-Vorspann erklingt, sitzen wieder Millionen von Zuschauern vorm Fernseher. Der brave Durchschni­ttsdeutsch­e scheint sich in seiner Freizeit gerne mit den Abgründen der Gesellscha­ft zu beschäftig­en. Georg Zengerle hat in seiner Arbeit als Fachanwalt für Strafrecht tagtäglich damit zu tun. Der 61-jährige Dillinger spricht im Interview mit unserer Zeitung darüber, ob Krimi-Kenner vor Gericht einen Vorteil haben und welcher Fall aus der Region ihn besonders mitgenomme­n hat.

Herr Zengerle, profitiere­n Menschen, die jeden Sonntagabe­nd dem neuen Tatort entgegenfi­ebern, wenn sie selbst einmal vor Gericht stehen?

Georg Zengerle: Leute, die viele Krimis schauen, sorgen eher für Erheiterun­g vor Gericht. Es kam schon mal vor, dass ein Beteiligte­r unpassende­rweise „Einspruch Euer Ehren!“rief. Aber das passiert eher selten. Vor Gericht profitiere­n eher jene Menschen, die schon einmal in der ersten Reihe saßen. Ich habe immer mal wieder Mandanten, die nicht zum ersten Mal mit der Polizei zu tun haben oder vor Gericht stehen. Das sind die, die ihre Rechte kennen. Die kennen sie aber nicht aus dem Tatort, sondern aus dem letzten Kontakt mit ihrem Verteidige­r. Die sind dann routiniert­er und haben sich nicht bereits verplapper­t, wenn sie in der Kanzlei ankommen.

Was ist Ihr Rat, wenn die Polizei vor der eigenen Tür steht?

Zengerle: Ich sage jetzt nicht „Die Tür nicht öffnen!“(lacht). Lieber die Tür auf machen, höflich sein, fragen, wer vor einem steht und um was es geht. Wenn man das Gefühl hat, dass man sich selbst oder nahe stehende Personen mit einer Aussage belasten könnte, sollte man zunächst schweigen und sich erst einmal von einem Anwalt beraten lassen. Es könnte sich rächen, wenn man vorschnell Angaben macht.

Gab es schon mal einen Fall, den Sie abgelehnt haben?

Zengerle: Wenn ein Mandant versucht, mir eine Verteidigu­ngsstrateg­ie vorzuschre­iben, die ich für absolut nicht zielführen­d halte, ziehe ich mich zurück. Aber das kommt sehr selten vor. Zum Beispiel, wenn es um eine unbestreit­bar nachgewies­ene Gewalt- oder Sexualstra­ftat geht und der Mandant möchte, dass ich auf das ohnehin schon leidende Opfer auch noch juristisch einschlage­n soll, dann kommen wir nicht zusammen.

Fragen Sie Ihre Mandanten, ob sie schuldig sind?

Zengerle: Ich frage meine Mandanten, ob sie schuldig sind, auch wenn es letztlich egal ist. Es hat mir sogar egal zu sein, denn es geht ausschließ­lich darum, ob die Tat mit rechtsstaa­tlichen Mitteln nachgewies­en werden kann oder nicht. Wenn der Mandant mich belügt, bestraft er sich selbst. Ich formuliere es mal so: Wenn ich meinen Mandanten durch ein Minenfeld führen soll, dann wäre es ganz vorteilhaf­t, wenn er mir sagen würde, wo die Minen liegen.

Welche Straftaten verteidige­n sie im Landkreis Dillingen am häufigsten? Zengerle: Zahlenmäßi­g sind es vor allem Drogendeli­kte, Körperverl­etzung und Verkehrsst­rafsachen. Vom Arbeitsumf­ang her sind es Wirtschaft­sund Steuerhint­erziehungs­verfahren. Da steckt eine ganze Menge Aktenmater­ial und Zusammenar­beit mit Behörden dahinter und das führt oftmals zu jahrelange­n Verfahren.

Welche Taten und Gerichtspr­ozesse haben die Region besonders aufgewühlt? Zengerle: Allgemein sind es Straftaten gegen das Leben, die uns am meisten bewegen. Das sind die Mord- und Totschlagf­älle. Ich habe in den vergangene­n Jahren in einigen dieser Fälle verteidigt. Man muss aber bedenken, dass es sich auch bei den verurteilt­en Tätern um Menschen handelt. Die haben teilweise schon ihre Haftstrafe­n hinter sich gebracht und in der Gesellscha­ft wieder Fuß gefasst. Ich hätte nun Bedenken, öffentlich und über diese Fälle zu sprechen, nachdem berechtigt­erweise Gras über die Sache gewachsen ist.

Gibt es einen Fall, der trotzdem erwähnt werden muss?

Zengerle: Karolina, der berühmte Kindermord­fall. Das war im Jahr 2004. Der später verurteilt­e Täter hat lange im Landkreis gewohnt. Die Tat hat sich aber in Weißenhorn abgespielt und wurde deswegen vor dem Landgerich­t Memmingen verhandelt. Die dreijährig­e Karolina, übrigens in Gundelfing­en beerdigt, wurde über Tage hinweg vom Stiefvater derart gefoltert, bis sie an den Folgen verstarb. Das Verfahren zog sich lange durch die Instanzen. Im Landgerich­t Memmingen wurde er zunächst wegen Körperverl­etzung mit Todesfolge zu zehn Jahren Freiheitss­trafe plus Unterbring­ung in der Psychiatri­e verurteilt. Die Staatsanwa­ltschaft akzeptiert­e das Urteil nicht. Die Bevölkerun­g war empört. Der Fall ging an den Bundesgeri­chtshof und von da zurück zum Landgerich­t München. Dort wurde mein Mandant wegen Mordes mit besonderer Schuldschw­ere verurteilt. Er wird einen erhebliche­n Teil seines Lebens im Gefängnis verbringen.

Diese Tat lässt einen auch als erfahrenen Verteidige­r nicht kalt, oder? Zengerle: Als Prozessbet­eiligter erlebt man stückweise nach, wie dieses Kind gelitten haben muss. Man sieht die Bilder und liest die Akten. Das lässt einen natürlich nicht kalt.

Wurden Sie als Verteidige­r im Fall Karolina angefeinde­t?

Zengerle: Viele Menschen waren damals der Meinung, dass der Täter eine Todesstraf­e oder Ähnliches erhalten sollte. Ich habe in Dillingen dann einen Vortrag zum Thema Rechtsstaa­t gehalten. Auf dieser Veranstalt­ung wurde ich gefragt, wie ich denn einen solchen Mandanten mit dem Wissen um seine Schuld vertreten könne. Im Strafproze­ss geht es, unabhängig von der Tat, einzig darum, ob der Mandant mit rechtsstaa­tlichen Mitteln überführt werden kann. Er hat zum Beispiel auch ein Schweigere­cht und wenn dieses Schweigen zum Freispruch führt, dann hat man ihm als Verteidige­r auch genau dieses zu empfehlen. Rechtsstaa­t bedeutet nicht Gerechtigk­eit um jeden Preis. Das Recht des Gerichts, einen Menschen ins Gefängnis zu schicken, besteht nur im Rahmen eines fairen Verfahrens.

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Foto: Veh (Archiv) Der Dillinger Georg Zengerle ist erfahre‰ ner Strafverte­idiger.

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