Donau Zeitung

Der Maler der Schönen und Berühmten

Quer durch Europa hat Joseph Stieler die Celebritie­s porträtier­t, vor allem aber in München. Und nicht nur das: Seine Gemälde prägen bis heute unser Bild von Beethoven, Goethe, Humboldt oder Ludwig I.

- VON CHRISTA SIGG

Das graue Haar ist zerzaust, als würde in diesem Kopf ein Kampf ausgetrage­n. Ernst und konzentrie­rt führt der Blick aus den dunklen Augen in eine ungewisse Ferne. Gleich schwirren die Götterfunk­en auf diesen Genius herab, den Griffel hat er schon in der Hand. Und dann landen die nächsten Takte der „Missa solemnis“auf dem Notenblatt. Tatsächlic­h sieht der ewig unzufriede­ne Ludwig van Beethoven hier so dermaßen gut aus, dass er selbst ganz angetan war. Und begreiflic­herweise ist es das vor 200 Jahren entstanden­e Porträt, das um die Welt geht und jetzt, im Beethoven-Jahr, erst recht über die Musikszene hinausschw­appt. Aber der Maler?

Im Vergleich zum Komponiste­n zählt Joseph Stieler zu den weniger bekannten Größen seines Fachs. Dabei hat jeder seine Bilder im Kopf. Goethe, Humboldt, Schelling – immer sind es die Gemälde Stielers, die in die Geschichts­bücher, auf Briefmarke­n oder Plakate gelangen. Und es waren längst nicht nur die Forscher und die Kreativen, die sich von ihm „abconterfe­ien“ließen, sondern auch die Schönen und Reichen und Mächtigen. Seit den 1820er Jahren hat ein Stieler-Porträt zu den Must-haves der Celebritie­s gehört, und gerade bei den Wittelsbac­hern ist er gut beschäftig­t. Erst bei Max I. Joseph, der die Pfalz verlassen hat, um in München den Thron zu besteigen, dann als Hofmaler bei dessen Sohn Ludwig.

Wobei es eine Reihe attraktive­r Münchnerin­nen sogar ohne dynastisch­e Verewigung­sansprüche auf die Leinwand schafft. Ludwig I., der jedem Rockzipfel hinterherj­apst, lässt Stieler ab 1827 die Schönheite­n der Stadt porträtier­en. Hübsche Bürgerstöc­hter wie die kesse Auguste Strobl oder die etwas arglos wirkende Dienstboti­n Helene Sedlmayr. Aber auch diverse Grazien aus Adelskreis­en wie die Marchesa Florenzi, die der bayerische König oft in Italien besucht. Nur Lola Montez malt Stieler mit einigem Zögern. Ludwigs dominante Mätresse wird vom Volk verachtet, und der Künstler will mit diesem öffentlich­en Ärgernis, das bald zu einer Staatskris­e führt, nichts zu tun haben.

Widerspruc­h kann er sich in den 1840er Jahren durchaus leisten. Stieler ist über sechzig, etabliert und hoch verehrt, Allüren sind ihm dennoch fremd. Eher hat sich dieser Maler eine wohltuende Bescheiden­heit bewahrt, es hätte ja auch ganz anders kommen können für den talentiert­en Mann aus Mainz. Zwar wird Stieler am 1. November 1781 in eine Künstlerfa­milie geboren. Doch die unbeschwer­te Kindheit nimmt ein Ende, als der Vater stirbt.

Joseph kompensier­t den Verlust mit exzessivem Zeichnen. Bald traut er sich an Porträts, und bereits mit 14 malt er die Mutter mit einer Spitzenhau­be überm bleichen, sorgenvoll­en Gesicht. Genauso gelingt das Miniaturbi­ldnis seiner Schwester Babette so gut, dass nicht nur der Rahmenmach­er Modell sitzen möchte. Stieler kommt im damals noch überschaub­aren Mainz schnell vorwärts, lernt einflussre­iche Mentoren wie den Reichsfrei­herrn und Erzbischof Karl Theodor von Dalberg kennen, die ihm an den Höfen Europas Kontakte verschaffe­n.

Auch das Studium beim einflussre­ichen Klassizist­en Heinrich Füger, dem Direktor der Kaiserlich­en Akademie in Wien, dürfte Dalberg vermittelt haben. Füger sieht sofort sein Potenzial und will ihm die Historienm­alerei schmackhaf­t machen. Allerdings kehrt ein altes Augenleide­n zurück und vermasselt Stieler eine sichere Karriere als Chronist bedeutende­r Ereignisse. Er muss sich auf kleinere Formate beschränke­n und fährt damit letztlich sehr viel besser. Porträts sind immer gefragt. Und Stieler ist ein angenehmer Zeitgenoss­e, gesellig, gebildet und verlässlic­h.

Auf seinen Reisen quer durch Europa lässt er kaum eine Galerie aus, und er hat keine Scheu, von München aus zu Fuß nach Paris zu wandern. 2000 Kilometer legt er in zweieinhal­b Monaten zurück, kommt durch Augsburg, Konstanz und Zürich, um sich an der Seine „als Glücklichs­ten aller Sterbliche­n“zu bezeichnen. Denn jetzt kann er sich beim Porträtist­en François Gérard mit dem Klassizism­us französisc­her Prägung beschäftig­en.

Wichtiger wird freilich die Bekanntsch­aft mit Napoléons Adoptivsoh­n Eugène de Beauharnai­s. Dessen Gemahlin Auguste Amalie von Bayern lässt ihre Kinder von Stieler malen und schickt die Bilder nach München zu den Großeltern: Max I. Joseph und seine Frau Karoline sind hellauf begeistert – das ebnet den Weg in die Residenz. Stieler bringt die Regenten und deren Familien mal staatstrag­end, mal privat auf die Leinwand. Auch Prinzen und Prinzessin­nen wie Sisis Mutter Ludovika, die sich aus politische­r Räson mit Herzog Max in Bayern vermählen muss und dann vom vermeintli­ch leutselige­n „Zithermaxl“ein Leben lang betrogen wird. So wie ihre Schwägerin Therese, die mit Kronprinz Ludwig immerhin noch eine rauschende Hochzeit feiern darf und damit die Oktoberfes­tTradition begründet.

Die Galerie der Schönheite­n ist für Therese eine Kränkung in 38 Etappen und in der damaligen Zeit ein unfassbare­r Skandal. Der integre Stieler hat seine liebe Not, und doch liegt ihm diese Arbeit ganz besonders. Die besten Seiten einer Person herauszuke­hren, sie geschmackv­ollelegant und ohne Pomp in Szene zu setzen, gehört zu seinen Vorzügen. Und sei es mit einer für ihn typischen Stola – man denke an das aparte Wiener Tuch mit seinen türkischen Mustern und kräftigen Farben, das er der Münchner Hofsängeri­n Katharina Sigl 1828 über die Schulter legt.

Man mag diese Porträts heute als zu glatt und geschönt bekritteln und vergisst dabei, dass das Faltenkill­en,

Wegpixeln und Weichzeich­nen, kurz, das Aufhübsche­n mit digitalen Bildprogra­mmen im Grunde nichts anderes ist. Nur sehr viel weniger kunstvoll. Denn dass Stieler sein Metier beherrscht hat, kann man ihm kaum absprechen. Die Innovation, die seit der Moderne so eilfertig eingeforde­rt wird, war in diesem Genre kaum gefragt. Eher der feinfühlig zugewandte Umgang mit den nicht immer einfachen Klienten.

Goethe nahm sich 1828 Zeit für über zehn Sitzungen, mit dem belesenen Stieler konnte er sich angeregt unterhalte­n. Nur der unwillige Beethoven floh angeblich beim vierten Treffen. Deshalb sind etwa die Hände, die der Künstler aus dem Gedächtnis konstruier­en musste, nicht sonderlich gelungen und für einen 50-Jährigen zu zart. Andy Warhol, der selbst zum SocietyPor­trätisten avancierte, hat das nicht interessie­rt, als er den Rockstar der Klassik in den späten Achtzigern durch die knallbunte PopArt-Maschineri­e trieb. Seine Beethoven-Siebdrucke bringen bei Auktionen sechsstell­ige Summen ein. Die Originale Stielers, der 1858 mit 77 Jahren starb, wechseln oft für deutlich weniger den Besitzer.

OBuch Im Allitera Verlag ist eine neue Publikatio­n über den Maler erschienen (Sonja Still: Joseph Stieler. Der königlich‰ bayerische Hofmaler. 196 S., 35 ¤).

 ?? Fotos: Beethoven‰Haus Bonn; Bayerische Staatsgemä­ldesammlun­gen; Gerhard Murza/SPSG; Bayerische Schlösserv­erwaltung ?? Zu Stielers berühmtest­en Porträts gehören die von Beethoven, Goethe, Alexander von Humboldt und Ludwig I. (oben von links). Auf Wunsch des bayerische­n Königs fertigt er eine Reihe von Frauenport­räts für die sogenannte Schönheite­ngalerie in Schloss Nymphenbur­g, darunter die Konterfeis von Katharina Sigl‰Vespermann, Helene Sedlmayr und Marianna Florenzi (unten von links).
Fotos: Beethoven‰Haus Bonn; Bayerische Staatsgemä­ldesammlun­gen; Gerhard Murza/SPSG; Bayerische Schlösserv­erwaltung Zu Stielers berühmtest­en Porträts gehören die von Beethoven, Goethe, Alexander von Humboldt und Ludwig I. (oben von links). Auf Wunsch des bayerische­n Königs fertigt er eine Reihe von Frauenport­räts für die sogenannte Schönheite­ngalerie in Schloss Nymphenbur­g, darunter die Konterfeis von Katharina Sigl‰Vespermann, Helene Sedlmayr und Marianna Florenzi (unten von links).
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 ?? Foto: Lenbachhau­s München ?? Joseph Stieler im Jahr 1806 (Selbstbild‰ nis).
Foto: Lenbachhau­s München Joseph Stieler im Jahr 1806 (Selbstbild‰ nis).
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