Eine Stadt plant Unterricht in Festzelten
Volksfeste fallen aus, Zelte sind eingelagert. Deshalb hat der Oberbürgermeister von Deggendorf eine kuriose Idee
Deggendorf An völlig normalen Unterricht im Klassenzimmer ist in fast ganz Bayern weiter nicht zu denken. Die Stadt Deggendorf will deswegen Unterricht im Freien ermöglichen – wetterunabhängig in ungenutzten Festzelten. Der Entwurf für einen solchen Pilotversuch liegt jetzt zur Prüfung im Kultusministerium.
Eingereicht hat ihn Oberbürgermeister Christian Moser höchstpersönlich: „Der Wunsch nach Normalbetrieb ist unendlich groß, genauso der Leidensdruck in Familien“, sagt der CSU-Rathauschef. Moser hat selbst drei Kinder, zwei sind noch in der Grundschule. „Erst habe ich gedacht, die Idee ist ein bisschen zu verrückt“, erklärt er gegenüber unserer Redaktion. „Aber wir müssen jetzt in neuen Strukturen denken, neue Ideen ausprobieren.“Immer zu warten, bis die Zahlen sinken, sei für ihn keine Lösung.
Erwiesenermaßen ist die Gefahr einer Ansteckung mit dem Coronavirus in geschlossenen Räumen deutlich höher als im Freien. Moser will seine Idee zunächst als Modellversuch mit der kleinen Grundschule Rettenbach im Deggendorfer Stadtgebiet starten. Die Stadt als Sachaufwandsträger will für jede Klasse jeweils ein Festzelt mit rund 300 Quadratmetern Fläche aufstellen. Die Größe eines durchschnittlichen Klassenzimmers schätzt Moser auf etwa 70 Quadratmeter. Im Zelt soll für alle Schüler einer Klasse gemeinsamer Unterricht mit Mindestabstand möglich sein. Zum Lüften könnte man die Seitenwände der Zelte entfernen. Die Lehrer sollen über Lautsprechersysteme kommunizieren. Sobald die Erlaubnis kommt, will Moser mit dem Aufbau starten. „Innerhalb einer Woche könnten dann die ersten Schüler in den Festzelten lernen.“Viele Zelte seien ja ohnehin ungenutzt: die Wiesn abgesagt, auch das Straubinger Gäubodenvolksfest gestrichen.
Normalerweise feiern dort 1,4 Millionen Besucher in sieben Festzelten. So helfe man neben den Familien auch der Veranstaltungsbranche, findet Moser. „Eine Win-WinWin-Situation.“Die Stadtverwaltung rechnet mit Kosten von rund 10 000 Euro pro Zelt – und hofft auf staatliche Zuschüsse.
Zwar will die Bayerische Landesregierung künftig zumindest Grundschulen bis zu einer Inzidenz von 165 anstelle des bisherigen Grenzwerts 100 offenhalten. Allerdings bedeutet das vielerorts weiterhin Wechselunterricht mit täglich nur der halben Klasse. Und der Landkreis Deggendorf läge nach aktuellem Stand immer noch weit über dem neuen Wert. Die Sieben-TageInzidenz betrug am Mittwoch 215.
Das Kultusministerium befürwortet es grundsätzlich, wenn auch „außerschulische Orte für unterrichtliche Zwecke“genutzt werden, wie Günther Schuster, Sprecher des Ministers Michael Piazolo (Freie Wähler) betont. „Das Staatsministerium hat die Schulen hierzu in der Vergangenheit schon mehrfach gebeten, alle räumlichen Möglichkeiten im Schulhaus auszuschöpfen und auch die Verfügbarkeit von Räumen im näheren Umfeld der Schule zu prüfen.“Die Orte dürfen jedoch nicht allzu weit entfernt von den Schulen liegen und müssen – was Fluchtwege, Ausstattung und Sanitäreinrichtungen anbelangt – für den Unterricht geeignet sein. „Für das Deggendorfer Modellprojekt wäre eine Ausnahmeregelung nötig“, sagt Schuster. Zuständig für deren Erteilung ist demnach aber nicht das Kultusministerium, sondern die jeweilige Kreisverwaltungsbehörde, also das Landratsamt Deggendorf.
Oberbürgermeister Christian Moser wartet weiter auf die Genehmigung für seine Festzeltpläne. Dass die Idee bei den Bürgern gut ankommt, weiß er aber längst. Ende letzter Woche hatte die Stadt ihre Idee öffentlich gemacht. „Schon eine Stunde später hat mir ein Festzeltbetreiber sein Zelt für 3000 Personen angeboten. Dann kam das Angebot für ein kleines Zirkuszelt. Und ein Bürger möchte das Projekt mit Geld unterstützen.“