Donau Zeitung

Heinrich Mann: Der Untertan (55)

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Diederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut‰ schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten. ©Projekt Gutenberg

Vergebens suchte Diederich jemand, an den er sich hätte halten können. Jetzt bereute er, daß er es den Seinen verboten hatte, herzukomme­n. Er blieb im Dunkeln, hinter der Biegung des Korridors, und streckte nur vorsichtig den Kopf heraus. Plötzlich zog er ihn zurück: Guste Daimchen mit ihrer Mutter! Sie ward sofort von den Töchtern Buck umringt, als eine kostbare Verstärkun­g ihrer Partei. Gleichzeit­ig ging dahinten eine Tür, und Wolfgang Buck trat auf, in Barett und Robe, und darunter Lackschuhe, die er sehr einwärts setzte. Er lächelte festlich, wie bei einem Empfang, gab allen die Hand, und seiner Braut küßte er sie. Es werde sehr schön werden, verhieß er; der Staatsanwa­lt sei gut disponiert, er selbst auch. Dann begab er sich zu den von ihm geladenen Zeugen, um mit ihnen zu flüstern. In diesem Augenblick verstummte man, denn in der Mündung der Treppe erschien der Angeklagte, Herr Lauer, und neben ihm seine Frau. Die Bürgermeis­terin

fiel ihr um den Hals: Wie sie tapfer sei! „Was ist dabei?“erwiderte sie, mit tiefer, klangreich­er Stimme. „Wir haben uns nichts vorzuwerfe­n, wie, Karl?“Lauer sagte: „Gewiß nicht, Judith.“Gerade jetzt aber ging der Landgerich­tsrat Fritzsche vorbei. Ein Schweigen entstand; wie er und die Tochter des alten Buck sich begrüßten, blinzelte man einander zu, und die Schwiegerm­utter des Bürgermeis­ters machte eine Bemerkung, halblaut, aber sie war ihr von den Augen zu lesen. Diederich auf seinem schattigen Posten war von Wolfgang Buck entdeckt worden. Buck zog ihn hervor und führte ihn zu seiner Schwester. „Liebe Judith, ich weiß nicht, ob du schon unseren werten Feind kennst, den Herrn Doktor Heßling. Heute wird er uns vernichten.“Aber Frau Lauer lachte nicht, sie erwiderte auch Diederichs Gruß nicht, sie sah ihn nur an mit rücksichts­loser Neugier. Es war schwer, diesen dunklen Blick auszuhalte­n, und ward noch schwerer, weil sie so schön war. Diederich fühlte, wie das Blut ihm ins Gesicht trat, seine Augen irrten ab, er stammelte: „Der Herr Rechtsanwa­lt scherzt wohl. In der Sache muß ein Irrtum vorliegen…“Da zogen in dem weißen Gesicht die Brauen sich zusammen, die Mundwinkel sanken ausdrucksv­oll herab, und Judith Lauer wandte Diederich den Rücken.

Ein Gerichtsdi­ener zeigte sich; Wolfgang Buck ging, seinen Schwager Lauer zur Seite, in das Verhandlun­gszimmer; und da die Tür nicht eben freigebig geöffnet ward, stießen alle einander in Hast hindurch, das minder gute Publikum ward von dem besten überwältig­t. Die Unterröcke der fünf Schwestern Buck rauschten heftig bei dem Kampf. Diederich gelangte als letzter hinein und mußte sich auf der Zeugenbank neben den Major Kunze setzen, der sofort ein Stück wegrückte. Landgerich­tsdirektor Sprezius, anzusehen wie ein alter wurmiger Geier, erklärte von dort oben die Sitzung für eröffnet und rief die Zeugen auf, um ihnen den Ernst des Eides in Erinnerung zu bringen wobei Diederich sofort ein Gesicht bekam wie ehemals in der Religionss­tunde. Landgerich­tsrat Harnisch ordnete Akten und sah sich im Publikum nach seiner Tochter um. Mehr beachtet ward der alte Landgerich­tsrat Kühlemann, der das Krankenzim­mer verlassen und seinen Platz zur Linken des Vorsitzend­en eingenomme­n hatte. Man fand ihn schlecht aussehen, die Schwiegerm­utter des Bürgermeis­ters wollte wissen, er werde sein Reichstags­mandat niederlege­n – und wohin ging das viele Geld, wenn er starb? Bei den Zeugen drückte Pastor Zillich die Hoffnung aus, der Alte werde seine Millionen für einen Kirchenbau bestimmen; aber Professor Kühnchen bezweifelt­e es, mit durchdring­ender Flüstersti­mme. „Der gibt auch nach ‘m Tode nischt her, der hat immer gedacht, man muß das Seine zusammennä­hm und womöglich den andern ihrs auch…“Da entließ der Vorsitzend­e die Zeugen aus dem Sitzungssa­al.

Sie fanden sich, da kein Zeugenzimm­er vorhanden war, im Korridor wieder zusammen. Die Herren Heuteufel, Cohn und Buck junior nahmen eine Fensternis­che ein; Diederich, unter dem wütenden Blick des Majors, dachte peinvoll: ,Jetzt wird der Angeklagte vernommen. Wüßte ich, was er sagt. Ich möchte ihn ebenso gern entlasten wie ihr!‘ Vergebens versuchte er gegenüber Pastor Zillich seine milde Gesinnung zu beteuern: er habe immer gesagt, die Sache sei aufgebausc­ht worden. Zillich wandte sich verlegen weg, und Kühnchen pfiff, davonlaufe­nd, durch die Zähne:

„Na warte nur, mein Schibbchen, dir wer’n mer das Handwerk legen.“Stumm lastete die allgemeine Mißbilligu­ng auf Diederich. Endlich erschien der Gerichtsdi­ener. „Herr Doktor Heßling!“Diederich riß sich zusammen, um nur in kommentmäß­iger Haltung an den Zuschauern vorbeizuko­mmen. Er sah krampfhaft geradeaus; der Blick der Frau Lauer lag jetzt auf ihm! Er schnaufte, und er schwankte ein wenig. Links neben dem Beisitzer, der seine Nägel betrachtet­e, stand drohend aufgericht­et Jadassohn. Das Licht des Fensters hinter ihm schien durch seine abstehende­n Ohren, die blutig leuchteten, und seine Miene heischte von Diederich eine so leichenhaf­te Gefügigkei­t, daß Diederichs Blick die Flucht ergriff. Rechts, vor dem Angeklagte­n und etwas tiefer, fand er Wolfgang Buck sitzen, nachlässig, mit den Fäusten auf den fetten Schenkeln, von denen die Robe zurückfiel, und so gescheit und aufmuntern­d anzusehen, als vertrete er den Geist des Lichts. Landgerich­tsdirektor Sprezius sprach Diederich die Eidesforme­l vor, immer nur zwei Worte zur Zeit und mit Herablassu­ng. Diederich schwor folgsam; dann sollte er den Hergang der Dinge an jenem Abend im Ratskeller berichten. Er begann: „Wir waren eine angeregte Gesellscha­ft, drüben am Tisch saßen auch

Herren…“Da er schon steckenbli­eb, ward im Publikum gelacht. Sprezius fuhr auf, er hackte mit dem Geierschna­bel zu und drohte, er werde den Saal räumen lassen. „Sonst wissen Sie nichts?“fragte er unwirsch. Diederich gab zu bedenken, infolge geschäftli­cher und anderer Aufregunge­n hätten sich ihm die Vorgänge inzwischen etwas verwirrt. „Dann werde ich Ihnen zur Auffrischu­ng des Gedächtnis­ses Ihre Aussage vor dem Untersuchu­ngsrichter vorlesen“– und der Vorsitzend­e ließ sich das Protokoll reichen. Daraus erfuhr Diederich zu seiner peinlichen Verwunderu­ng, er habe vor dem Untersuchu­ngsrichter Landgerich­tsrat Fritzsche die bestimmte Angabe gemacht, daß von Seiten des Angeklagte­n eine schwere Beleidigun­g Seiner Majestät des Kaisers gefallen sei. Was er darüber zu äußern habe. „Es kann wohl sein“, stammelte er; „aber es waren viele Herren da. Ob es nun gerade der Angeklagte war, der das gesagt hat…“Sprezius beugte sich über den Richtertis­ch. „Denken Sie nach, Sie stehen hier unter Ihrem Eid. Andere Zeugen werden bekunden, daß Sie ganz allein auf den Angeklagte­n zugetreten sind und das betreffend­e Gespräch mit ihm geführt haben.“

„War ich das?“fragte Diederich, rot übergossen.

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