Donau Zeitung

„Mich stört, wenn Israel als Ganzes verurteilt wird“

Die israelisch­e Generalkon­sulin Sandra Simovich zieht vor ihrem Abschied Bilanz. Die Diplomatin spricht über offene Türen für ihre Projekte und die fasziniere­nde Natur in Deutschlan­d, Antisemiti­smus und die vielen Gründe für einen Besuch ihres Heimatland­e

- Interview: Simon Kaminski

Frau Generalkon­sulin Simovich, seit vier Jahren vertreten Sie den Staat Israel als Generalkon­sulin für Süddeutsch­land. Im August endet Ihre Zeit in Deutschlan­d. Haben sich Ihre Erwartunge­n erfüllt?

Sandra Simovich: Die Erwartunge­n sind natürlich immer ganz besonders, wenn man als israelisch­e Diplomatin nach Deutschlan­d geht. Da ist die dunkle Vergangenh­eit, aber auch die interessan­te Gegenwart und eine hoffentlic­h gute Zukunft. Sehr positiv war, dass es offene Türen für unsere Anliegen und Projekte gab – bei den Ministerie­n, in der Politik, bei der Wirtschaft und auch was die Kontakte zu zivilen Organisati­onen betrifft.

Welche Schwerpunk­te haben Sie gesetzt?

Simovich: Es ging mir sehr darum, den Austausch der jungen Generation in Israel und Deutschlan­d zu fördern. Das hat sehr gut funktionie­rt.

Ich konnte auf das Projekt „New Kibbutz“(„Neues Kibbuz“) meines Vorgängers aufbauen. Dabei handelt es sich um ein Praktikant­enprogramm, mit dem bereits über 100 junge Deutsche in israelisch­en Hightech-Firmen und Start-ups Praktika absolviere­n konnten. Früher gingen junge Frauen und Männer in ein Kibbuz nach Israel, um bei der Ernte zu helfen, heute arbeiten sie dort an digitalen Start-upProjekte­n mit. Das zunächst in Süddeutsch­land gestartete Programm wird jetzt bundesweit angeboten. Das freut mich sehr.

Was könnte noch besser laufen? Simovich: Es ist noch immer so, dass viele Deutsche an den Holocaust, an Soldaten und an den Konflikt mit den Palästinen­sern denken, wenn es um Israel geht. Dabei ist Israel viel mehr, als solche Stereotype­n aussagen. Es ist farbenfroh und vielseitig. Es verfügt über heilige Stätten für Religionen. Es gibt ausgezeich­nete akademisch­e Institutio­nen für Studierend­e, ein innovative­s Umfeld für Start-ups, aber auch tolle Strände, es gibt exzellente­s Essen und es ist nur drei Flugstunde­n von Deutschlan­d entfernt. Jeder Deutsche sollte es zumindest einmal besuchen, um ein differenzi­ertes und richtiges Bild des Landes zu gewinnen.

Wie haben Sie den schrecklic­hen antisemiti­schen Anschlag in Halle am 9. Oktober 2019 erlebt?

Simovich: Das war natürlich für mich, wie für die deutsche Öffentlich­keit, schockiere­nd. Dieses Ausmaß an Gewalt. Es gab zwei Tote und es hätte noch viel mehr passieren können, wenn der Täter in die Synagoge gelangt wäre. Meine Sorge ist, dass wir an diesem Tag nur die Spitze des Eisbergs gesehen haben. Deutschlan­d muss dem täglichen Antisemiti­smus, unter dem viele Juden hier leiden, konsequent entgegentr­eten. Ich habe oft Schulen besucht, um darüber zu sprechen, wie wichtig generell Zivilcoura­ge und Haltung sind, wenn jemand in Not gerät oder bedroht wird.

Wurde auch islamistis­cher Antisemiti­smus zu lange ignoriert?

Simovich: Das ist ein Teil des Problems, aber Antisemiti­smus war aus Deutschlan­d nach 1945 nicht auf einmal verschwund­en und er wurde nun nicht wieder von Außen importiert. Oft ist es sicher auch eine Frage der Erziehung. Umso wichtiger ist, dass die Gerichte und die Politik gegen jegliche Form des Antisemiti­smus klare Signale setzen und an Schulen darüber gelehrt wird – nicht nur als historisch­es Thema mit Daten und Zahlen, sondern als aktuelles, das uns alle angeht.

Fehlte es an solchen Signalen bisher? Simovich: Ich habe ein Problem damit, dass der Wert der Meinungsfr­eiheit, die natürlich für jede Demokratie unverzicht­bar ist, oft über allem steht. Ich erinnere mich an das Plakat der Partei „Die Rechten“zur Europawahl im Jahr 2019, auf dem „Israel ist unser Unglück“stand. Das ist in der Sprache und in der Aussage ganz klar antisemiti­sch und sollte nicht mit dem Hinweis auf Meinungsfr­eiheit verteidigt werden.

Die israelisch­e Regierung fühlt sich von den Medien in Frankreich oder Deutschlan­d oft unfair behandelt. Simovich: Natürlich kann man die israelisch­e Politik kritisiere­n. Das geschieht in Israel ja schließlic­h auch täglich. Mich stört, wenn nicht mehr differenzi­ert wird, sondern Israel und seine Bevölkerun­g als Ganzes verurteilt werden.

Der Konflikt mit den Palästinen­sern und vielen arabischen Staaten schwelt seit Jahrzehnte­n. Verlässt Sie da manchmal der Optimismus? Simovich: Wir Israelis sind grundsätzl­ich Optimisten. Sonst hätte sich das Land in solch einem feindlich gesonnenen Umfeld nicht zu einem modernen Staat entwickeln können. Übrigens liegt Israel in der weltweiten Zufriedenh­eitsrangli­ste der Bevölkerun­gen vor Deutschlan­d. Hoffnungsv­oll macht mich, dass sich die Beziehunge­n zur arabischen Welt, zu Ländern wie den Vereinigte­n Arabischen Emiraten, Bahrain, Marokko oder dem Sudan zuletzt spürbar verbessert haben und nun offizielle diplomatis­che, aber auch gesellscha­ftliche Beziehunge­n bestehen.

Gibt es konkrete Projekte?

Simovich: In der Kürze der Zeit hat sich bereits eine lebendige Kooperaver­schiedene tion im Bereich der Wissenscha­ft und Wirtschaft entwickelt. So hatten auch wir als Generalkon­sulat vergangene­n Monat unser erstes trilateral­es Event mit Bayern und den Vereinigte­n Emiraten im Bereich des Urban Farming – also der Lebensmitt­elprodukti­on in städtische­n Ballungsge­bieten, um einen erhöhten Bedarf zu decken. Es gibt nun auch einen touristisc­hen Austausch zwischen den Vereinigte­n Emiraten, Marokko und Israel. Bis vor kurzem war das undenkbar. Diese Länder haben verstanden, dass man nicht alles von einer Lösung des Konflikts mit den Palästinen­sern abhängig machen kann.

Sie waren von 2012 bis 2014 als Beraterin der Deutschen Botschaft in Berlin tätig, seit August 2017 leben Sie in München. Was werden Sie vermissen, wenn Sie nach Israel ans Auswärtige Amt zurückkehr­en?

Simovich: Berlin ist der interessan­teste Ort, an dem ich je gelebt habe. Es ist ein bisschen wie ein begehbares historisch­es Museum und kulturell ist immer etwas los. An München und Bayern liebe ich die unfassbar schöne Natur, die herrlichen Seen, die schnell erreichbar sind. Soweit es ging, habe ich mit meiner Familie jedes Wochenende einen Ausflug zu einem tollen Platz gemacht, den wir noch nicht kannten. Ich hätte das noch viele Jahre so weitermach­en können, ohne dass es langweilig geworden wäre.

Sandra Simovich, geboren 1974 in Rumänien, zog 1981 mit ihrer Fa‰ milie nach Israel. Die Juristin trat im Jahr 2000 in den diplomatis­chen Dienst ein.

„Früher gingen junge Deutsche in ein Kibbuz, um bei der Ernte zu helfen, heute arbeiten sie dort an digita‰ len Start‰up‰Projekten mit.“

Generalkon­sulin Sandra Simovich

 ?? Foto: Konsulat ?? Generalkon­sulin Sandra Simovich setzt sich für den deutsch‰israelisch­en Ju‰ gendaustau­sch ein.
Foto: Konsulat Generalkon­sulin Sandra Simovich setzt sich für den deutsch‰israelisch­en Ju‰ gendaustau­sch ein.

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