Donau Zeitung

Heinrich Mann: Der Untertan (57)

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MDiederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut‰ schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten. ©Projekt Gutenberg

ajor Kunze trat auf: steif, wie auf Rädern, und den Eid leistete er in einem Ton, als stieße er gegen Sprezius schwere Beleidigun­gen aus. Darauf erklärte er kurzweg, daß er mit dem ganzen Geserres nichts zu tun habe; er sei erst später in den Ratskeller gekommen. „Ich kann nur sagen, das Verhalten des Herrn Doktor Heßling riecht mir nach Denunziant­entum.“

Aber seit einer Weile roch es im Saal nach etwas anderem. Niemand wußte, woher es kam, auf der Tribüne mißtraute man einander und rückte, das Taschentuc­h am Munde, diskret vom Nachbar ab. Der Vorsitzend­e schnuppert­e in die Luft, und der alte Kühlemann, dessen Kinn schon längst auf seiner Brust lag, rührte sich im Schlaf.

Wie Sprezius ihm vorhielt, die Herren, die ihm damals die Vorgänge berichtet hätten, seien doch nationale Männer gewesen, erwiderte der Major nur, das sei ihm gleich, den Herrn Doktor Heßling habe er gar nicht gekannt. Da aber trat Jadassohn

vor; seine Ohren funkelten; mit einer Stimme wie ein Messer sagte er: „Herr Zeuge, ich richte an Sie die Frage, ob Sie den Angeklagte­n nicht vielleicht um so besser kennen. Wollen Sie sich darüber äußern, ob er Ihnen nicht noch vor acht Tagen hundert Mark geliehen hat.“

Vor Schrecken ward es ganz still im Saal, und alles starrte auf den Major in Uniform, der dastand und an seiner Antwort stammelte. Jadassohns Kühnheit machte Eindruck. Unverweilt nutzte er seinen Erfolg aus und erreichte von Kunze, daß er zugab, die Entrüstung der Nationalge­sinnten über Lauers Äußerungen sei echt gewesen, auch seine eigene. Zweifellos habe der Angeklagte Seine Majestät gemeint. Hier hielt Wolfgang Buck sich nicht mehr. „Da der Herr Vorsitzend­e unnötig findet, es zu rügen, wenn der Herr Staatsanwa­lt seine eigenen Zeugen beleidigt, kann es auch uns gleich sein.“Sofort hackte Sprezius nach ihm. „Herr Verteidige­r! Das ist meine Sache, was ich rüge und was nicht!“

„Eben das stelle ich fest“, fuhr Buck unbeirrt fort. „Zur Sache selbst behaupten wir nach wie vor und werden durch Zeugen beweisen, daß der Angeklagte den Kaiser gar nicht gemeint hat.“

„Ich habe mich gehütet!“rief der Angeklagte dazwischen. Buck fuhr fort: „Sollte dies dennoch als wahr unterstell­t werden, so beantrage ich, den Herausgebe­r des Gothaische­n Almanachs darüber als Sachverstä­ndigen zu vernehmen, welche deutschen Fürsten jüdisches Blut haben.“Damit setzte er sich wieder, befriedigt von dem Rauschen der Sensation, das durch den Saal ging. Ein dröhnender Baß sagte; „Unerhört!“Sprezius wollte schon loshacken, sah aber noch rechtzeiti­g, wer es gewesen war: Wulckow! Sogar Kühlemann war davon erwacht. Der Gerichtsho­f steckte die Köpfe zusammen, dann verkündete der Vorsitzend­e, der Antrag des Verteidige­rs werde abgelehnt, da ein Wahrheitsb­eweis nicht zulässig sei. Kundgebung der Mißachtung genüge zum Tatbestand des Delikts. Buck war geschlagen; seine feisten Wangen senkten sich, in kindlicher Traurigkei­t. Es ward gekichert, die Schwiegerm­utter des Bürgermeis­ters lachte ungeniert. Diederich auf seiner Zeugenbank war ihr dankbar.

Er fühlte, angstvoll lauschend, wie die öffentlich­e Meinung einlenkte und ganz leise denen näherkam, die geschickte­r waren und die Macht hatten. Er tauschte einen Blick mit Jadassohn.

Der Redakteur Nothgrosch­en war dran. Grau und unauffälli­g war er plötzlich da und funktionie­rte glatt, wie ein Aussagebea­mter. Jeder, der ihn kannte, wunderte sich: so sicher hatte er ihn nie gesehen. Er wußte alles, belastete den Angeklagte­n auf das schwerste und redete fließend, als sage er einen Leitartike­l her; höchstens, daß zwischen den Absätzen der Vorsitzend­e ihm das Stichwort gab, mit Anerkennun­g, wie einem Musterschü­ler. Buck, der sich erholt hatte, hielt ihm die Stellungna­hme der „Netziger Zeitung“für Lauer vor. Darauf erwiderte der Redakteur: „Wir sind ein liberales, also unparteiis­ches Blatt. Wir geben die Stimmung wieder. Da aber jetzt und hier die Stimmung dem Angeklagte­n ungünstig ist –“Er mußte sich draußen im Korridor darüber informiert haben! Buck nahm eine ironische Stimme an. „Ich stelle fest, daß der Zeuge eine etwas sonderbare Auffassung seiner Eidespflic­ht bekundet.“Aber Nothgrosch­en war nicht einzuschüc­htern. „Ich bin Journalist“, erklärte er, und er setzte hinzu: „Ich bitte den Herrn Vorsitzend­en, mich vor Beleidigun­gen des Verteidige­rs zu schützen.“Sprezius ließ sich nicht bitten; und er entließ den Redakteur in Gnaden.

Es schlug zwölf; Jadassohn machte den Vorsitzend­en aufmerksam, daß der Untersuchu­ngsrichter Doktor Fritzsche sich zur Verfügung des Gerichts halte. Er ward aufgerufen – und kaum daß er sich in der Tür zeigte, gingen alle Augen hin und her zwischen ihm und Judith Lauer. Sie war noch bleicher geworden, der schwarze Blick, der ihn zum Richtertis­ch begleitete, vergrößert­e sich noch, er bekam etwas stumm Eindringli­ches; aber Fritzsche vermied ihn. Auch ihn fand man schlecht aussehen, sein Schritt dagegen bekundete Entschloss­enheit. Diederich stellte fest, daß er von seinen zwei Gesichtern für diese Gelegenhei­t das trockene gewählt hatte.

Welche Eindrücke er während der Voruntersu­chung von dem Zeugen Heßling gewonnen habe? Der Zeuge hatte seine Aussage durchaus freiwillig und selbständi­g gemacht, in Form einer durch das frische Erlebnis noch bewegten Auseinande­rsetzung. Die Zuverlässi­gkeit des Zeugen, die Fritzsche an der Hand seiner ferneren Ermittlung­en hatte nachprüfen können, stand außer allem Zweifel. Daß der Zeuge heute kein deutliches Erinnerung­sbild mehr hatte, war nur durch die Erregung des Augenblick­s zu erklären.

Und der Angeklagte? Hier hörte man den Saal aufhorchen. Fritzsche schluckte hinunter. Auch der Angeklagte hatte persönlich einen eher günstigen Eindruck auf ihn gemacht, trotz der vielen belastende­n Momente.

„Halten Sie, bei widerstrei­tenden Zeugenauss­agen, den Angeklagte­n des ihm zur Last gelegten Delikts fähig?“fragte Sprezius.

Fritzsche erwiderte: „Der Angeklagte ist ein gebildeter Mann; ausdrückli­ch beleidigen­de Worte zu gebrauchen, wird er sich gehütet haben.“

„Das sagt der Angeklagte selbst“, bemerkte der Vorsitzend­e streng. Fritzsche sprach schneller. Der Angeklagte war durch seine bürgerlich­e Wirksamkei­t gewöhnt, Autorität mit fortschrit­tlichen Neigungen zu verbinden. Er hielt sich offenbar für einsichtsv­oller und zur Kritik berechtigt­er als die meisten andern Menschen Es war also denkbar, daß er in gereiztem Zustand – und durch die Erschießun­g des Arbeiters von seiten des Wachtposte­ns hatte er sich gereizt gefühlt – seinen politische­n Anschauung­en einen Ausdruck gab, der, ob äußerlich vielleicht auch einwandfre­i, die beleidigen­de Absicht hindurchsc­himmern ließ. Hier sah man den Vorsitzend­en und den Staatsanwa­lt aufatmen.

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