Auf der Suche nach der Zivilcourage
NS-Widerstandskämpferin Sophie Scholl wurde vor 100 Jahren geboren. Aus diesem Anlass sprachen wir mit Lebensrettern und der Polizei über mutiges Eintreten für andere
Landkreis Als Franz Kraus den Einbrecher fliehen sieht, zögert er nicht lange. Er verfolgt den Mann, der Ende Juni 2013 ins Wittislinger Pfarrhaus eingebrochen ist. Er hält den Täter fest und führt ihn so zu einer viel befahrenen Straße im Ort. Dort kommt ihm ein Autofahrer zu Hilfe, der die Polizei verständigt. Einige Tage später wird Kraus von der Polizeiinspektion Dillingen sowie Landrat Leo Schrell im Landratsamt für seine Zivilcourage geehrt. „Ich würde das heute wieder tun“, sagt Kraus und erinnert sich daran, dass es eigentlich ein Reflex gegen das Unrecht gewesen sei, den Einbrecher zu stellen. An Zivilcourage oder Mut habe er in diesem Moment nicht gedacht.
Ähnlich spricht auch Michael Schmid aus Bächingen, der am 24. April 2019 einem Motorradfahrer das Leben gerettet hat. „Ich fuhr gerade zu einer Baustelle in Sontheim“, so der Fliesenlegermeister. Er habe beobachtet, wie ein vor ihm fahrendes Motorradgespann Feuer fing und die Flammen auf den Fahrer übergriffen. Jacke und die Hose brannten an manchen Stellen, zum Teil sei bereits schon die verbrannte Haut zu sehen gewesen. Selbst befreien habe sich der Mann in diesem Moment nicht können. Wie Schmid später erfährt, ist der Motorradfahrer querschnittsgelähmt. Er hatte die Maschine so umgebaut, dass er sie trotz der Behinderung fahren konnte. „Ich habe, ohne zu überlegen, den Mann gepackt und versucht, ihn von seinem brennenden Motorrad zu ziehen“, erinnert sich Schmid. Das Problem: Der Mann ist schwer, er kann seine Beine nicht bewegen. „Jemand Kleineres oder Schmächtigeres hätte das wahrscheinlich nicht geschafft“, ist sich Schmid sicher. Unterdessen habe auch ein Lastwagen-Fahrer angehalten. „Er hatte einen großen Kanister Wasser dabei und löschte damit die Kleidung des Mannes.“
Michael Schmid bekommt für seine Zivilcourage eine Ehrung. Die Ulmer Polizei zeichnet ihn und den beteiligten Lkw-Fahrer als „Helden des Alltags“aus. Eine Würdigung, mit der Schmid sehr bescheiden umgeht. „Das war gar nicht so ehrungswürdig“, sagt er über seine Tat.
Zivilcourage und Bürgermut werden in heutiger Zeit immer häufiger eingefordert. In ganz besonderer Weise trifft dies auf Sophie Scholl zu, die am 9. Mai vor 100 Jahren geboren wurde. Als Mitglied der studentischen Widerstandsbewegung „Weiße Rose“beteiligte sie sich ab dem Jahr 1942 an der Herstellung und Verbreitung von Flugblättern, die zu klaren Entscheidungen gegen die NS-Diktatur Hitlers aufriefen. Am 18. Februar 1943 wurden Sophie und ihr Bruder Hans Scholl verhaftet – einen Tag später auch ihr Mitstreiter Christoph. Alle drei wurden Tage später zum Tode verurteilt.
Wenn es um die Helden des Alltags geht, die wir hier vorstellen, ist auch Vorsicht gefragt. „Sein Leben riskieren, sollte tunlichst vermieden werden, wenn es darum geht, Zivilcourage zu zeigen“, rät die von der Polizei im Jahr 2009 ins Leben gerufene Initiative „Aktion-Tu-Was“. Wichtig seien Menschen, die sich nicht einschüchtern und einschränken lassen. Es müssten nicht immer gleich die großen Heldengeschichten sein, sagt Kriminalhauptmeisterin Sandra Gartner von der Kripo Dillingen. Zivilcourage im Alltag zu zeigen, mache die Welt auch schon besser. Es gebe viele Situationen, in die Menschen von Zeit zu Zeit geraten, in denen dieser Mut notwendig sei.
Wenn Gartner im Rahmen von Vorträgen in Schulklassen zum Thema Zivilcourage und die „Aktion-Tu-Was“referiert, habe sie den Schülern nahegelegt, nicht stillzuhalten, sobald sie beispielsweise vom Mobbing anderer Schüler Kenntnis erhalten haben. Sie informiert, wie sich Kinder und Jugendliche bei Cyber-Mobbing zu verhalten haben. „Hass, Beleidigungen und Hetze im Netz sind keine Kavaliersdelikte“, sagt Gartner. Stellung beziehen gegen rassistische und menschenverachtende Stimmen und die Opfer unterstützen, dies zeuge von Zivilcourage, so die Kripobeamtin. Im Ernstfall würden sich die meisten Menschen, die einschreiten könnten, wegducken. So nach dem Prinzip: „Irgendjemand wird schon was machen“oder „Was geht mich das an?” Hätte Sophie Scholl so gedacht und gefühlt, sie hätte sicher länger gelebt.