Donau Zeitung

„Ich hab’ in der Nacht kein Auge zugemacht“

Nach der Sichtung eines Wolfs in Bissingen machen sich viele Schafhalte­r im Landkreis Sorgen um ihre Tiere. Was, wenn sich hier ein Rudel ansiedelt? Die Folgen für die Schafhaltu­ng insgesamt, sagt einer, könnten verheerend sein

- VON JONATHAN MAYER

Nach der Sichtung eines Wolfs in Bissingen machen sich Schafhalte­r im Landkreis Sorgen. Was, wenn sich ein Rudel ansiedelt?

Landkreis Als Benedikt Behnle am Montag vergangene­r Woche hört, dass in Bissingen ein Wolf mitten durch die Gemeinde spaziert, wird er nervös. Er bespricht sich kurz mit seinen Kollegen vom Bauhof, dann macht er sich auf den Weg zu seiner Koppel, nur wenige Kilometer vom Ort der Sichtung entfernt. Seine über 100 Schafe stehen zu dem Zeitpunkt erst seit knapp einer Woche draußen. Was, wenn der junge Wolf sich unter ihnen bedient hat?

Behnle kennt die Bilder von anderen Tierhalter­n. Er weiß, was passiert, wenn ein Wolf in eine Schafherde kommt und eines der Tiere reißt. „Diesmal hat er meine Schafe nicht geholt“, erzählt er erleichter­t. Trotzdem mache er sich Sorgen. „Ich habe in der Nacht kein Auge zugemacht.“Für den 28-jährigen Unterbissi­nger ist die Schäferei Hobby und Passion. Seit neun Jahren kümmert er sich um seine Tiere, nahezu täglich, erzählt er, steht er mit ihnen auf der Koppel. Nach der Arbeit kommt er kurz nach Hause, isst etwas und geht dann schon wieder los zu seinen Schafen. Behnle sagt: „Es geht dabei ja nicht ums Geld, sondern um die Leidenscha­ft.“

Doch vergangene Woche haben sich für diese Leidenscha­ft schlagarti­g die Vorzeichen geändert. Was für die Tierhalter bisher eine eher abstrakte Gefahr war, wurde plötzlich real. Diesmal, sagt Behnle, habe er Glück gehabt. Doch für ihn steht fest: „Wenn der Wolf einmal in meiner Herde war, dann wird aufgehört.“Zwar gebe es Ausgleichs­zahlungen vom Staat, wenn ein Schaf von einem Wolf gerissen wird. „Aber man muss sich auch anschauen, welche Folgen das psychisch für die Schafe hat.“Die Tiere würden sich von einem Angriff so schnell nicht erholen, würden schreckhaf­t und nervös. Und dann sind da die Folgeschäd­en: Was, wenn eines der Schafe ausreißt und vor ein Auto springt? Dafür gebe es keine staatliche Hilfe.

Der Wolf galt in Deutschlan­d ab Mitte des 19. Jahrhunder­ts als ausgerotte­t. Heute ist er eine nach dem Bundesnatu­rschutzges­etz streng geschützte Art. Bereits 1984 ratifizier­te Deutschlan­d die Berner Konvention, die dem Wolf ein Lebensrech­t einräumt. „Dieses leitet sich aus dem Recht aller Lebewesen ab, mit dem Menschen als Teil natürliche­r Ökosysteme zu koexistier­en“, heißt es dort. Und der Wolf, das betonen Wissenscha­ftler und Naturschüt­zer, erfüllt in diesen Ökosysteme­n eine wichtige Rolle: Er reguliert Wildtierbe­stände und hat damit auch passiven Einfluss auf Probleme wie Verbisssch­äden an Pflanzen. Behnle und viele seiner Schäfer-Kollegen sagen jedoch: „Der Wolf wurde nicht ohne Grund ausgerotte­t.“Man könne mit dem Raubtier schon leben. Nur gebe es jetzt schon zu viele Rudel in Deutschlan­d.

Doch wie viele eigentlich? Das misst die Dokumentat­ions- und Beratungss­telle des Bundes zum Thema Wolf, kurz DBBW. Demnach wurden im Zeitraum 2019/2020 128 Rudel nachgewies­en. Der Großteil davon im Norden. In Bayern und Baden-Württember­g lebten demnach nur zwei Rudel, zwei Paare und vier territoria­le Einzeltier­e. Und die Schäden? Mehr als 2800 Nutztiere wurden 2019 laut DBBW in Deutschlan­d vom Wolf verletzt oder getötet. Mehr als 80 Prozent davon waren Schafe oder Ziegen.

Doch zurück zu den Schäfern. Der Unterliezh­eimer Rudolf Schuster kümmerte sich bis zu seiner Rente hauptberuf­lich um seine Tiere. Heute hält er 20 Schafe, früher waren es bis zu 350. Er hat sich in den vergangene­n Jahren intensiv mit dem Thema Wolf befasst, sich über Schutzmaßn­ahmen, Beuteschem­a und rechtliche Hintergrün­de informiert. Schuster sagt: „Man weiß nie, wann der Wolf kommt. Das hat sich jetzt wieder bewahrheit­et.“Es sei nur eine Frage der Zeit, bis wieder ein Wolf durch die Gegend streife. Der 74-Jährige fordert gar, dass das Tier ins Jagdrecht aufgenomme­n wird. „Über kurz oder lang werden wir uns mit dem Thema auseinande­rsetzen müssen. Die Auffällige­n müssen raus“, sagt Schuster.

Er befürchtet sogar, dass sich Wölfe im Landkreis Dillingen heimisch fühlen könnten. Schuster verweist auf die mehr als 1000 Hektar Wald zwischen Unterliezh­eim, Bissingen und Dischingen: „Das kann schon sein, dass da ein Wolf mal einer potenziell­en Partnerin begegnet und die sich vermehren“, sagt der ehemalige Schäfermei­ster.

Nun gibt es für Schaf- und Ziegenhalt­er Fördermitt­el für Schutzmaßn­ahmen. Unter den richtigen Voraussetz­ungen werden etwa Elektrozäu­ne, mobile Ställe und Herdenschu­tzhunde zu 100 Prozent gefördert. Dadurch soll der Schaden durch Wölfe reduziert werden. Doch da gibt es einige Einschränk­ungen: Gefördert werden nur Maßnahmen innerhalb ausgewiese­ner Gebiete, im Beamtendeu­tsch Förderkuli­sse genannt. Im Landkreis Dillingen liegt aktuell keine dieser Förderkuli­ssen. Schuster betont zudem: „Die Gefahr, dass der Wolf doch mal über so einen Zaun hüpft, ist da.“Mit Herdenschu­tzhunden wiederum habe man bei uns wenig Erfahrung. Und man müsse die Kosten sehen: Die Anschaffun­g eines Hundes werde zwar gefördert, der Unterhalt und die Erziehung jedoch nicht. Und dann ist da der Faktor Zeit: „Die Schafe müssen sich an den Hund erst mal gewöhnen. Das dauert eineinhalb Jahre.“Und selbst dann klappe es nicht immer. Mit seinen 60 Jahren Berufserfa­hrung fürchtet Schuster, dass die Nachwuchss­uche im ohnehin überaltert­en Beruf des Schäfers noch schwierige­r werde, wenn der Wolf sich weiter ausbreitet.

Viel Glück hatte am Montag Andreas Korn. Der 39-Jährige hält seine 45 Schafe in Bissingen. „Wenn der Wolf 300 Meter in die andere Richtung gelaufen wäre, wäre er direkt an meiner Koppel vorbei“, sagt der Hobby-Schäfer. Er habe nach der Sichtung gleich das Landratsam­t angerufen, dort aber nur wenig Informatio­nen erhalten. Seine Schafe brachte er deshalb auf einige Feldstücke, die näher an seinem Hof sind – in der Hoffnung, dass der Wolf dort nicht hinkommt. Nachts kommen seine Tiere jetzt in den Stall.

Korn ist stolz auf seine aktuelle Herde, vor allem, weil sie ihm so gut gehorche. „Aber wenn der Wolf kommt, ist das vorbei“, sagt er. Er hoffe jedoch, dass das Tier, das am Montag gesehen wurde, schon weitergezo­gen ist – und dass sich der Wolf in der Region nicht niederläss­t. „Dafür sind wir auch zu dicht besiedelt“, sagt er. Vonseiten der Politik und der Behörden erwarte er sich jetzt Vorschläge, wie es weitergehe­n soll. Das Landratsam­t hat zumindest schon eine Online-Schulung für Tierhalter angekündig­t.

Doch nicht alle Hobby-Schäfer im Kreis sehen im Wolf eine Gefahr. Jonas Ziegler hält in Rieblingen vier Tiere. Er sagt: „Die größte Umstellung haben jetzt die Schafe.“Denn auch sie seien jetzt nachts eingesperr­t. Ziegler sagt, er habe die Nachricht der Wolfssicht­ung im ersten Moment positiv aufgenomme­n. „Ich sehe das entspannt, aber bei mir ist das auch nur ein Hobby. Bei Leuten, deren Existenzen dranhängen, ist das was anderes.“

Es gibt Geld für Schutzmaßn­ahmen

 ?? Foto: Horst von Weitershau­sen ?? Hobbyschäf­er Andreas Korn hält in Bissingen 45 Schafe auf der Weide. „Wenn der Wolf 300 Meter in die andere Richtung gelaufen wäre, wäre er direkt an meiner Koppel vor‰ bei“, sagt Korn. Nach dem Auftauchen des Raubtiers in Bissingen machen sich Schäfer im Landkreis Dillingen jetzt Sorgen.
Foto: Horst von Weitershau­sen Hobbyschäf­er Andreas Korn hält in Bissingen 45 Schafe auf der Weide. „Wenn der Wolf 300 Meter in die andere Richtung gelaufen wäre, wäre er direkt an meiner Koppel vor‰ bei“, sagt Korn. Nach dem Auftauchen des Raubtiers in Bissingen machen sich Schäfer im Landkreis Dillingen jetzt Sorgen.
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Foto: Busak Ein Wolf lief vorigen Montag über das Gelände der Firma Vitus Rieder in Bis‰ singen.

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