Zwischen heute und gestern
Modern sein! Dieser Marschbefehl bestimmt noch immer das Handeln in unserer Zeit. Vieles ist schon erreicht: Das Auto fährt fast schon allein, die Küchenmaschine erspart manuelle Quirlqualen, der Internet-Anschluss versorgt Genies und schlichte Gemüter mit neuesten Informationen. Bei der Lösung von Lebensfragen hilft Alexa.
Aber seit Corona alle Wohnungen feindselig belagert, ist der Mensch gespalten. Zwar nutzt er die Vorzüge der digitalisierten Epoche, aber plötzlich vertreibt er sich die Zeit auch mit Altertümlichkeiten, über die er vor wenigen Jahren noch gelacht hat. Als notgebremster Wohnzimmerhäftling entdeckt er seine Liebe zu Aktivitäten, die einst seine Urahnen ersonnen haben. Er misst seinen Ideenreichtum am Schachbrett, renoviert alte Küchenmöbel und löst Kreuzworträtsel, die ihm die Freie Presse ins Haus schickt. Im Kreis der Familie verschafft er sich mit dem Spiel „Schwarzer Peter“ein Lebensgefühl wie in Kindheitstagen.
Wenn Corona die Menschheit weiter so fest im Griff behält, wird vielleicht jene Welt wiederauferstehen, die Goethe bei seinem Großvater kennenlernte und in „Dichtung und Wahrheit“beschrieb: „Alles, was ihn umgab, war altertümlich. In seiner getäfelten Stube habe ich niemals irgendeine Neuerung wahrgenommen.“