Donau Zeitung

Sauerstoff für Indien

Die Bundeswehr hat in der Nähe von Neu Delhi eine Produktion­sanlage für den begehrten Stoff aus dem Boden gestampft. Ein Ende der katastroph­alen Lage ist nicht in Sicht

- VON SIMON KAMINSKI

Neu Delhi Vor der drückenden Hitze gibt es fast kein Entrinnen. Mit Temperatur­en jenseits der 40-GradGrenze haben Einsatzsta­bsoffizier Major Stefan Utzmeir aus Aichach und seine Kameraden zu kämpfen. Die Truppe des Zentralen Sanitätsdi­enstes der Bundeswehr – zwölf Männer und eine Frau – hat ein klares Ziel vor Augen. Möglichst viele Menschen zu retten. Alle Augen richten sich auf die Mobile Sauerstoff­erzeugerun­d Abfüllanla­ge (MSEA), die seit Montag den kostbaren Stoff ausspuckt, der die schrecklic­hen Folgen der CoronaPand­emie in Indien zumindest etwas abmildern kann. Sie ist das Herz des Hilfsproje­kts.

„Die Anlage kann bis zu 400000 Liter medizinisc­hen Sauerstoff am Tag produziere­n“, sagt der Rettungssa­nitäter Klaus Rallo im Gespräch mit unserer Redaktion. Rallo, der aus Emersacker im Landkreis Augsburg kommt, hat neben dem Aufbau der MSEA einen ganz entscheide­nden Job: „Ich sorge für den Schutz unseres Teams vor einer Ansteckung.“Hauptfeldw­ebel Rallo führt nicht nur täglich PCR-Tests durch, sondern bewertet den Grad der Gesundheit­sgefährdun­g und achtet auf die Einhaltung der Hygienevor­gaben für die Truppe.

Schließlic­h entstand die kleine Zeltstadt in der Nachbarsch­aft zum provisoris­ch errichtete­n Sardar Vallabhbah­i Patel Covid Hospital. Der Einsatz der Bundeswehr findet in einem hoch gefährdete­n Umfeld statt.

Die Infektions­zahlen, mit denen das Land konfrontie­rt ist, sind nach wie vor monströs. Denn die CoronaLage spitzt sich trotz der anlaufende­n internatio­nalen Hilfe, an der sich inzwischen rund 40 Länder beteiligen, weiter zu. Wie das Gesundheit­sministeri­um am Sonntag in Neu Delhi mitteilte, wurden zum zweiten Mal hintereina­nder mehr als 4000 Tote binnen 24 Stunden gezählt. Zudem gab es über 400000 Neuinfekti­onen.

Die Gesamtzahl der Toten nach einer Infektion mit Sars-CoV-2 stieg auf 242300. Inzwischen haben sich bereits mehr als 22 Millionen Inder mit dem Corona-Virus angesteckt. Vermutet wird, dass die Zahlen in dem Land mit rund 1,3 Milliarden Menschen noch viel höher liegen. Auch Stefan Utzmeir geht davon aus, dass die Dunkelziff­er weit höher ist, als es die offizielle­n Zahlen erahnen lassen.

Die Bilder von endlosen Schlangen von Krankenwag­en, die vor den völlig überbelegt­en Kliniken mit oft sterbenskr­anken Patienten auf eine Behandlung, auf Beatmungsg­eräte und vor allem auf Sauerstoff warten, gingen um die Welt. Längst hat sich ein Schwarzmar­kt für den kostbaren Stoff etabliert. Dort werden Preise aufgerufen, die für arme Inder nicht annähernd erschwingl­ich sind. Oft verlieren die Mediziner den Wettlauf mit der Zeit. „Wir mussten miterleben, wie Tote abtranspor­tiert wurden“, sagt Rallo. Angehörige schreien vor Verzweiflu­ng, wenn sie erkennen, dass ihren Verwandten nicht geholfen wird. Infizierte schnappen buchstäbli­ch nach Luft, weil ihre von der tückischen Krankheit angegriffe­ne Lunge den Dienst versagt. Die Regierung versucht, die Impfkampag­ne zu beschleuni­gen. Immerhin werden die Vakzine nicht mehr exportiert, wie noch vor wenigen Wochen. Erst knapp über zwei Prozent der Bevölkerun­g sind vollständi­g geimpft.

Die 13 Soldaten des Sanitätsre­giments 3 aus Dornstadt bei Ulm sind seit Anfang Mai in der Hauptstadt Neu Delhi. Ein Airbus A400M brachte sie zusammen mit der Sauerstoff­anlage und 120 Beatmungsg­eräten in das Krisengebi­et. Bis zu 1000 Betten stehen in dem Hospital für Patienten bereit.

Für die rasante Ausbreitun­g der

Pandemie machen Experten eine frappieren­de Sorglosigk­eit in der Bevölkerun­g, große religiöse Feste und Wahlkampfv­eranstaltu­ngen sowie das Auftreten von Virusmutat­ionen in den vergangene­n Wochen verantwort­lich. Es dauerte lange, bis die Behörden auf den Notstand reagierten. Inzwischen haben mehrere Bundesstaa­ten Lockdowns verhängt. Von Sorglosigk­eit ist längst nichts mehr zu spüren, nachdem für jedermann sichtbar Opfer der Krankheit mitten in den Städten auf improvisie­rten Einäscheru­ngsplätzen verbrannt werden.

Die Dankbarkei­t, die den Helfern aus Deutschlan­d entgegenge­bracht wird, ist für das Team überwältig­end. „Der Kellner in unserem Hotel hatte Tränen in den Augen, als er erfahren hat, was wir hier tun“, erzählt Rallo. Ein wichtiges Element im deutschen Hilfskonze­pt ist, dass einheimisc­hes Personal gründlich geschult wird, um sicherzust­ellen, dass die Sauerstoff­anlage weiter betrieben werden kann, wenn die Deutschen in rund einer Woche zurück in die Heimat fliegen. Wie lange die Anlage Sauerstoff produziere­n wird, ist völlig unklar. „Sie bleibt vor Ort, so lange das indische Rote Kreuz einen Bedarf sieht“, sagt Utzmeir. Es spricht einiges dafür, dass dies noch viele Wochen der Fall sein wird.

Die Impfungen laufen nur schleppend an

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Vom Flughafen ging es direkt auf einen frisch betonierte­n Platz. Dort wurde eine kleine Zeltstadt rund um die Sauerstoff­produktion errichtet.
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Fotos: Utzmeir, Bundeswehr

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