Donau Zeitung

100 Welpen im Tierheim: Die Kehrseite des Hundebooms

Weil die Nachfrage in Pandemieze­iten steigt, werden Hunde illegal nach Deutschlan­d gebracht. Für Aufsehen sorgte ein Fall aus Nürnberg, wo 101 Welpen in einem Kleintrans­porter entdeckt wurden. Wie es ihnen heute geht und welche Kehrseiten der Boom hat

- VON MICHAEL POSTL

Nürnberg Die Hunde sind jung, etwa sechs bis elf Wochen alt. Einige kommen an die Gitter ihrer Boxen. Wenn man die Türen öffnet, schnüffeln sie neugierig herum. Andere kauern sich in die Ecke der Käfige, wirken eingeschüc­htert. Auf dem Boden liegt Einstreuma­terial, das ihre Ausscheidu­ngen aufnehmen soll. Denn oft ist es so, dass je länger so eine Fahrt dauert, desto mehr riecht es. So erzählt es Daniela Rickert, die Leiterin des Nürnberger Veterinära­mtes. Sie war schon einige Male dabei, als die Polizei einen derartigen Transport aufgehalte­n hat. Die Bilder ähneln sich dann.

Wie Mitte März. Damals stoppten Beamte der Polizeiins­pektion Nürnberg-Ost einen Transporte­r. Wieder einmal. Doch dieses Mal waren selbst sie überrascht. Die Ladung: 101 Hundewelpe­n, darunter Bernhardin­er und Dackel. Sie sollten, ausgestatt­et mit falsch ausgefüllt­en Papieren, von Ungarn nach Belgien gebracht werden. Gerade in Pandemieze­iten sind solche Tiertransp­orte keine Seltenheit. Allein in diesem Jahr wurden nach Angaben des bayerische­n Tierschutz­verbandes etwa 400 Tiere, die illegal verkauft werden sollten, gerettet. Nach Schätzunge­n von Polizei und Tierschutz­organisati­onen hat sich die Zahl der Transporte seit Mitte 2020 verdoppelt.

Es ist kurz vor Mitternach­t an einem Samstag, als die 101 Welpen quer durch Europa unterwegs sind. Der Transporte­r ist damals eines der wenigen Autos auf der Straße, die von der Nürnberger Innenstadt Richtung A3 führt. Und dann immer weiter gen Westen. Im Nordosten der mittelfrän­kischen Metropole fällt der Transporte­r einer Streifenbe­satzung auf, so erzählt es Polizeispr­echer Michael Petzold. Die Beamten halten das Auto an, kontrollie­ren Fahrer und Ladung. Zunächst scheint alles in Ordnung, die Welpen sind laut ihren Papieren geimpft und nicht zu jung für eine solche Fahrt. Bei näherem Hinsehen trifft jedoch beides nicht zu. Schnell ist klar: Der Tiertransp­ort ist illegal. Hunde erfüllen erst ab einem Alter von 15 Wochen die seuchenrec­htlichen Bedingunge­n, um legal transporti­ert zu werden, erklärt der Polizeispr­echer. Die Welpen kommen ins Nürnberger Tierheim.

101 Welpen: Der Fall hat bundesweit Schlagzeil­en gemacht. Und auch was hinter im steht – der Handel mit Hunden für Privatleut­e, der immer lukrativer wird.

Wobei es auch illegale Transporte von Nutztieren gibt. Ein Beispiel von Ende April: Da sollten 25 hochträcht­ige Kühe aus Oberfranke­n nach Marokko gebracht werden. In Bayern ist das aufgrund der Gesetzesau­slegung nicht erlaubt, in Niedersach­sen schon. So weit kamen die Tiere allerdings erst gar nicht.

Wie jede Krise hat auch die Corona-Pandmie ihre Begleiters­cheinungen. Vor einem Jahr noch war es die große Nachfrage nach Toilettenp­apier, es kam zu Hamsterkäu­fen. Inzwischen ist es die große Nachfrage nach Haustieren, die in Pandemiesp­ürbar gestiegen ist. Die Menschen sind öfter zu Hause, verfügen teilweise – etwa wegen Homeoffice oder Kurzarbeit – über mehr Zeit. Für einige war das der letzte Grund, sich den länger gehegten Traum vom eigenen Hund zu erfüllen.

Diesen Traum hatte auch ein Ehepaar aus Neumarkt in der Oberpfalz, es hatte ihn auch schon Realität werden lassen. Das Paar, beide um die 50, sitzt vor dem Nürnberger Tierheim auf einer steinernen Bank und wartet auf seinen neuen Hund. Aus dem illegalen Tiertransp­ort aus Ungarn stammt der nicht, diese Welpen sind derzeit noch in Quarantäne. Die beiden, die ihre Namen lieber nicht in der Zeitung lesen wollen, wünschen sich einen Spielkamer­aden für ihren Spitz. Hier sind sie fündig geworden. Im Grunde sei es egal, woher das Hündchen kommt, sagt die Frau.

Die Nachfrage nach vor allem jungen, „niedlichen“Hunden nutzen Tierhändle­r aus. In der Regel bringen sie die Tiere mit Kleintrans­portern aus Osteuropa – aus Polen, Kroatien, Tschechien, meistens aber Ungarn – in den Westen. Nach Deutschlan­d, häufiger noch nach Frankreich oder in die Beneluxsta­aten. Oft landen diese Hunde jedoch in Tierheimen – wenn die Polizei mal wieder einen illegalen Tiertransp­ort gestoppt hat.

Das Nürnberger Tierheim ist ein Gebäudekom­plex im Osten der Stadt. Ab und zu hört man ein Bellen, ansonsten ist es still. Etwa 500 Tiere sind hier untergebra­cht. Darunter ein Welpe, der gerade über eine Rasenfläch­e tapst. Seine Pfoten verfangen sich ständig ineinander, kaum vier Wochen alt dürfte er sein. Er gibt eher ein Quieken und Fiepen von sich, statt zu bellen. Ein Rundgang also mit Tanja Schnabel, der Leiterin des Tierheims. Sie spricht schnell, antwortet knapp. Das Thema „illegale Tiertransp­orte“aber beschäftig­t sie sichtlich – seit dem spektakulä­ren Fall der 101 gefundenen Welpen noch mehr als sonst. Medien aus ganz Deutschlan­d meldeten sich bei ihr und erkundigte­n sich nach dem Zustand und dem Verbleib der Tiere.

Tanja Schnabel, die Haare zum Zopf gebunden, steht jetzt vor einem Zwinger. Wenn sie einem Hund etwas befiehlt, hebt sie mahnend den Finger. Manche Tiere gehorchen ihr schon nach ein paar Tazeiten gen. Und es werden mehr Tiere im Tierheim, immer mehr.

Der Haustierha­ndel boomt, und das hat Folgen. Neben illegal transporti­erten Tieren kommen auch die, die ausgesetzt wurden, erst einmal zu Tanja Schnabel oder in andere Einrichtun­gen. In Bayern verzeichne­n die Tierheime einen raschen Zuwachs seit dem vergangene­n Jahr. Eine artgerecht­e Haltung wird so immer schwierige­r.

Das Problem wurde erkannt: Die Bundesregi­erung stellte im Bundeshaus­halt 2021 fünf Millionen Euro zur Verbesseru­ng der Situation in Tierheimen und ähnlichen Einrichtun­gen zur Verfügung. Die „Corona-Tierheimhi­lfen“sollen Mindereinn­ahmen durch die PandemieEi­nschränkun­gen auffangen, einen Beitrag zum Fortbesteh­en der durch die Krise erheblich getroffene­n Trägervere­ine leisten und das Tierwohl gewährleis­ten.

Halten jedoch die Nachfrage nach Haustieren und deren unweigerli­che Folgen an, könnte es in den Tierheimen bald eng werden. Zu eng.

Weiter geht der Rundgang mit Tanja Schnabel. In ihrem Tierheim sind noch nicht alle Zwinger besetzt. Manche Hunde bellen wild, wenn man auf sie zugeht, andere drücken ihre Schnauze an die Gitter. Brasco, ein Pitbull Mix, fünf Jahre alt, weißes Fell, hellrosa Ränder um Augen und Schnauze, streckt seinen Kopf nach oben. Seine Rasse wird als gefährlich eingestuft, in Bayern darf er deshalb nicht verkauft werden. Seit März 2019 ist er hier zu Hause.

„Im Laufe der vergangene­n Jahre hat sich der Tierschutz­verein ständig vergrößert, entwickelt und verbessert und setzt im Tierschutz hohe Maßstäbe“, sagt Schnabel. Auf den 40000 Quadratmet­ern leben Katzen, Kaninchen, Ziervögel, vor allem aber Hunde, die meisten in eigenen Zwingern. Zu einigen hat die Tierheimle­iterin ein Verhältnis aufgebaut. Einer von ihnen macht nun auf Kommando Sitz. „Fürs Foto“, sagt Tanja Schnabel mit einem leisen Lachen.

Die Welpen aus dem illegalen ungarische­n Transport gehorchen ihr noch nicht aufs Wort, dazu sind sie zu kurz da. Vor allem gilt für sie strikte Quarantäne. Der Grund: Tiere aus derartigen Transporte­n sind oft krank, mit Tollwut oder Parvoviros­e infiziert, einer hoch ansteckend­en und akut verlaufend­en Krankheit. Klaustroph­obische Enge, aufeinande­r gestapelte Transportb­oxen, bis zu fünf Welpen pro Käfig – ein Virus hat es da nicht schwer. Zumal die Tiere häufig nicht geimpft sind, zumindest nicht nach Vorschrift.

Sie seien in vielen Fällen mit Aufputschm­itteln vollgepump­t, die sie bei der Übergabe an die neuen Besitzer munter wirken lassen sollen, sagt Anita Hotzelt später am Telefon. Hotzelt ist 2. Vorsitzend­e des Tierschutz­vereins „Fellkinder in Not“aus der Nähe von Würzburg. Der Effekt, sagt sie, sei nach zwei, drei Tagen wieder weg und schlage ins Gegenteil um. Die Händler könnten die Schuld dann den neuen Besitzern zuschieben. Sie kennt so etwas allzu gut. Wie Daniela Rickert, die Leiterin des Nürnberger Veterinära­mtes. Sie erklärt, dass es sich eher um Antibiotik­a handelt, die einer bakteriell­en Infektion vorbeugen sollen. Mit unterschie­dlichem Erfolg. Wie schlecht die Tiere auf illegalen Transporte­n versorgt werden, weiß wiederum die Nürnberger Polizei. „Oft sind sie nicht entwurmt, bekommen kaum Essen oder Trinken“, erklärt sie. Und dass mit einer schlechten Hygiene starker Durchfall einhergehe.

Anita Hotzelt, die Tierschütz­erin, beziffert die Sterberate bei illegalen Transporte­n auf etwa 30 Prozent. Der Fall der 101 Welpen, die in Nürnberg entdeckt wurden, ist auch damit ein besonderer. Diesmal im positiven Sinne: Ein einziger der 101 Welpen hat nicht überlebt. Im Tierheim werden sie von einem festen Team aus sieben Mitarbeite­rn versorgt. Diese sind eigens geschult

Zunächst schien alles in Ordnung

Die Welpen werden im Tierheim betreut

und gegen Tollwut geimpft. Niemand außer ihnen darf den Quarantäne-Bereich betreten.

Das Nürnberger Tierheim liegt im Reichswald, einem Kulturwald­gebiet, das sich bis an den Rand der Oberpfalz erstreckt. Bäume umranden das Gelände, Nachbarn gibt es hier nicht. Von der Eingangstü­r geht es an einer unbesetzte­n Rezeption vorbei, ein paar Meter weiter stapeln sich Spannbettt­ücher ohne Knöpfe und ohne Reißversch­luss sowie Laken ohne Gummizug. Ihre Zahl dürfte in die Tausend gehen. „Spenden“, sagt Tierheimle­iterin Tanja Schnabel, „um die Gehege auszulegen.“

Die Spendenber­eitschaft steigt bei spektakulä­ren Fällen wie dem der 101 Welpen. Die Nachfrage nach ihnen ist groß. Schnabel ließ den Anrufbeant­worter des Tierheimes neu besprechen: „Die Welpen werden derzeit noch nicht vermittelt, bitte haben Sie in dieser arbeitsrei­chen Zeit Verständni­s, dass wir auf Anfragen nicht eingehen können.“Bisher gehören die Tiere dem Händler. Erst wenn sie freigegebe­n werden, kann das Tierheim sie vermitteln. „Wir haben schon hunderte Anfragen bekommen“, sagt Schnabel. Ob die Welpen nach Ende der Quarantäne an ihren Eigentümer zurückgege­ben werden müssen, ist offen. Derzeit können ihm nur Verstöße gegen die vorgeschri­ebene Tollwut-Impfung nachgewies­en werden. Die Kriminalpo­lizei ermittelt – wegen möglicher tierschutz­rechtliche­r Verstöße.

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Archivfoto: Armin Weigel, dpa Immer wieder stoppt die Polizei illegale Tiertransp­orte auf Bayerns Autobahnen.
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Foto: Michael Postl Die Leiterin des Nürnberger Tierheims, Tanja Schnabel, ist für etwa 500 Tiere ver‰ antwortlic­h. Vor allem für Hunde.

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