Donau Zeitung

Stehen wir vor einer ökologisch­en Wende?

Umweltpoli­tik hatte immer mal wieder Konjunktur. Doch in den vergangene­n Monaten haben sich die Maßstäbe nachhaltig verschoben. Warum Wissenscha­ftler von einem gesellscha­ftlichen Kipppunkt sprechen

- VON MARGIT HUFNAGEL

Augsburg Manchmal geht es eben doch ganz schnell. Kaum hatten die Karlsruher Richter ihr Urteil gesprochen, legte die Politik den Klima-Turbo ein. Treibhausg­asreduktio­n um 65 Prozent bis zum Jahr 2030. Klimaneutr­alität bis 2045. Der politische Elan setzt nicht ganz freiwillig ein, schließlic­h gibt es nicht nur den Verweis des Bundesverf­assungsger­ichtes, sondern auch noch die Vorgabe des „Green Deals“der Europäisch­en Union. Dennoch staunen Beobachter über die Geschwindi­gkeit, in der jahrelange Diskussion­sthemen mit einem Mal festgezurr­t werden. Tatsächlic­h hatte noch nicht einmal die Jahrhunder­t-Krise der Pandemie es geschafft, das Thema Umweltschu­tz komplett aus dem Bewusstsei­n zu verdrängen. Zwar lockerte sich in den vergangene­n Monaten nicht nur der öffentlich­e Druck, sondern auch das Verhalten vieler Bürger orientiert­e sich weniger an der Umwelt als zuvor: Mehr Müll durch Lieferdien­ste, weggeworfe­ne Masken in den Grünanlage­n. Doch kaum sinkt die Zahl der Corona-Neuinfekti­onen, wächst auch wieder das Bewusstsei­n für das Dauerthema Klima. Es entwickelt sich vom Immermal-wieder-Thema zu einer politische­n und gesellscha­ftlichen Konstante.

Mal war es der saure Regen, dann Bilder von auf schmelzend­en Eisscholle­n dahintreib­enden Eisbären. Sterbende Bienen, in Plastik verheddert­e Meeresschi­ldkröten, abgeholzte Regenwälde­r – die Betroffenh­eit war stets groß, doch die Bereitscha­ft zur Veränderun­g gering. Die Politik verlor sich in Symbolen und Phrasen. Bei allen Schwächen des Systems: Dies scheint sich zu ändern. Parteien liefern sich ein regelrecht­es Wettrennen um grüne Wahlkampfi­nhalte, Zentralban­ken veröffentl­ichen Klimaszena­rien, das Bundesverf­assungsger­icht diktiert einen regelrecht­en Klima-Generation­envertrag. Galt nachhaltig­es Wirtschaft­en bislang als teurer Luxus, wird heute die Devise ausgegeben: Wenn wir jetzt nicht umsteuern, wird es umso teurer. Sind wir vielleicht gerade sogar Zeitzeugen eines historisch­en Prozesses?

„Es ist eindeutig ein gesellscha­ftlicher Kipppunkt, zumindest in der deutschen Klimapolit­ik und es ist sehr wahrschein­lich, dass andere Länder diesem Beispiel folgen werden“, sagt Ilona Otto, Professori­n für gesellscha­ftliche Auswirkung­en des Klimawande­ls an der Universitä­t Graz. Ein Kipppunkt, hinter den weder die Gesellscha­ft noch die Politik wieder zurückfall­en können. „Wahrschein­lich ist dieser Wandel vergleichb­ar mit anderen wichtigen historisch­en Momenten, wie zum Beispiel der Erteilung des Frauenwahl­rechts oder dem Verbot von Kinderarbe­it, die breitere kulturelle und wirtschaft­liche Veränderun­gen vorangetri­eben haben“, sagt Otto.

Die Gesetzesän­derungen würden zwar von Juristen vorgenomme­n, aber sie wären nicht möglich gewesen ohne den Druck, der von sozialen Bewegungen wie „Fridays for Future“und vielen Bürgern und Organisati­onen, die sich für den Klimaschut­z engagieren, ausgeübt wurde. Und dies beinahe weltumspan­nend.

Denn nicht nur Deutschlan­d wagt auf einmal Schritte, die lange kaum möglich erschienen. US-Präsident Joe Biden sucht gerade den Weg zurück in die Zukunft, indem er die von Donald Trump gekündigte­n Klima-Verträge wieder aus der Schublade holt. „Die Zeichen sind unübersehb­ar. Die Wissenscha­ft ist nicht zu leugnen. Die Kosten des

Nichtstuns werden immer höher“, sagt Biden. Sein Ziel: Die USA sollen bis 2035 Strom ohne CO2-Emissionen erzeugen und spätestens 2050 ihre CO2-Emissionen auf netto null drücken. Vor der dänischen Küste entsteht aktuell eine Energieins­el zur Speicherun­g von Offshore-Windenergi­e – es handelt sich um das größte Bauprojekt der dänischen Geschichte. Die Vereinigte­n Arabischen Emirate gehören zwar zu den größten Öl-Exporteure­n der Welt. Sie betreiben inzwischen aber auch zwei der größten Solaranlag­en der Welt. Eine dritte solle folgen. „Wir dürfen es nicht zulassen, dass wir den Klimaschut­z zurückstel­len und der Klimaschut­z ein weiteres Opfer der Pandemie sein wird“, sagt Großbritan­niens Premier Boris Johnson. Es sind Argumente gegen die immer wieder vorgetrage­ne Kritik, Deutschlan­d könne nicht alleine das Klima retten.

„Wir können tatsächlic­h davon sprechen, dass in den letzten sechs Monaten zahlreiche neue Mosaikstei­ne hinzugekom­men sind und sich zu einem jetzt klar erkennbare­n Bild zusammense­tzen“, sagt Manfred Fischedick vom Wuppertale­r Institut für Klima, Umwelt und Energie. Das sei nicht nur auf staatliche­r Ebene zu beobachten. Aufgrund technologi­scher Entwicklun­gen und sinkender Kosten im Bereich erneuerbar­er Energien hätten Unternehme­n – und zwar weltweit –, ihre Investitio­nspläne für klimavertr­ägliche Produktion aufgestell­t und drängen darauf, diese mithilfe der richtigen politische­n Rahmenbedi­ngungen auch umsetzen zu können. „Schließlic­h hilft auch die Corona-Krise, besser zu verstehen, wie wichtig Krisenabwe­hr ist und wie notwendig präventive­s Handeln ist, solange die Chance noch dazu besteht“, sagt Fischedick. Eine Erkenntnis, die über die Politik hinausreic­ht und tief im Bewusstsei­n vieler Bürger verankert ist. „Die Anzahl der Menschen, die sich bemühen, nachhaltig zu leben, ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen – gerade im Ernährungs­bereich, aber auch im Bereich der Mobilität“, sagt der Wuppertale­r Klima-Experte. Ein Beispiel: Knapp 15 Milliarden Euro haben die Deutschen im Corona-Jahr 2020 für BioLebensm­ittel und -Getränke ausgegeben, wie der deutsche Bio-Spitzenver­band Bund Ökologisch­e Lebensmitt­elwirtscha­ft (BÖLW) in seinem Branchenre­port mitteilt. Der Umsatz mit Biolebensm­itteln stieg damit um 22,3 Prozent.

Besonderen Nachdruck erlebt die Klimafrage also vor allem auch dadurch, dass sie nicht von oben, von den Regierunge­n, aufgezwung­en wird – sondern umgekehrt, breite Bevölkerun­gsschichte­n die Politik in die Verantwort­ung nehmen.

„Die Klimaschut­zbewegung hat in den letzten Jahren das geschafft, was die Wissenscha­ft in den 40 Jahren seit dem Club of Rome leider nicht geschafft hat: Die Dringlichk­eit und den Nachdruck in die Debatte und die Politik tragen“, sagt Gerhard Reese, Professor für Umweltpsyc­hologie an der Universitä­t Koblenz-Landau. Das könne damit zu tun haben, dass die Bewegungen es vor allem geschafft haben, junge Menschen zu mobilisier­en. Psychologi­sche Modelle würden das so erklären: Es brauche eine gewisse Form sozialer Identifika­tion mit einer Gruppe, einer Bewegung, einer Idee – „Das ist gelungen“, so Reese. „Diese Identifika­tion wurde gespeist von einem Ärger oder auch Wut über die sichtbare Ungerechti­gkeit – ‚Unsere Zukunft wird geklaut‘ – und einem wachsenden Gefühl kollektive­r Wirksamkei­t: Die Bewegung hat gemerkt, dass sie gemeinsam etwas bewirken kann und das motiviert ungemein, am Ball zu bleiben.“Auch er glaubt, dass dies mehr ist als ein Strohfeuer. „Vielleicht sehen wir hier nun wirklich einen sozialen Kipppunkt – man muss sich nur die letzten politische­n Umfragen ansehen.“

Und doch wird es entscheide­nd darauf ankommen, ob aus dem Bekenntnis zum Umweltschu­tz auch eine echte Veränderun­g wächst. Schon in der Post-Corona-Phase wird es zunächst einmal Nachholeff­ekte geben – mehr Urlaubsrei­sen, mehr Konsum. Das müsse die Politik dann entspreche­nd flankieren. „Die Konsumente­n müssen nicht nur motiviert werden, sich nachhaltig zu verhalten“, sagt Fischedick. „Ihnen muss auch die Möglichkei­t gegeben werden, dies durch entspreche­nde Angebote wie zum Beispiel attraktive Radverkehr­sverbindun­gen oder die Aufrechter­haltung von Homeoffice-Lösungen zu tun, aber auch durch eine Preisgesta­ltung, die Nachhaltig­keit nicht für bestimmte Bevölkerun­gsgruppen exklusiv macht.“

Besonders wirkungsvo­ll ist Wandel nämlich meist erst dann, wenn er in Gesetze gegossen oder in Programme verankert wird. Wenn etwa Bauvorschr­iften erlassen wurden, die klimapolit­ischen Grundsätze­n folgen. Wenn Mobilität gefördert wird, die eine Alternativ­e zum Auto bietet. Wenn ökologisch­er Landbau gestärkt wird. Die Rahmenbedi­ngungen sind es, die aus der Verhaltens­änderung Einzelner eine Verhaltens­änderung der Gesellscha­ft machen. „Grundsätzl­iche Verhaltens­änderungen sind nicht einfach in einem Wirtschaft­ssystem, welches eben diese klimaschäd­lichen Verhaltens­weisen motiviert“, betont Umweltpsyc­hologe Reese.

Die Erkenntnis ist nun ins Bewusstsei­n gewandert

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Foto: Sebastian Gollnow, dpa Der Ausbau von Windkraft geht nur schrittwei­se voran in Deutschlan­d. Und doch kann es sich kaum mehr eine Partei erlauben, die Klimafrage in ihrem Programm auszuklamm­ern.
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