Donau Zeitung

Ein Mädchen im Bann der Gotteslegi­onäre

Wodurch werden Menschen manipulier­bar? Will Hills mitreißend­er Roman nach einer wahren Geschichte

- VON ANDREA BOGENREUTH­ER

Als die 17-jährige Moonbeam dem Flammeninf­erno entkommen ist, dem so viele ihrer Brüder und Schwestern zum Opfer gefallen sind, hat sie Beklemmend­es, Erschütter­ndes, aber auch Fasziniere­ndes zu erzählen. Der Psychologe Dr. Hernandez und FBI-Agent Clarke brauchen zwar eine besondere Mischung aus Feingefühl und Überzeugun­gskraft, um dem verstörten und verletzten Mädchen die ganzen dramatisch­en Geschehnis­se rund um die „Kirche der Legion Gottes“zu entlocken. Doch je mehr Moonbeam den beiden vertraut, desto mehr gibt sie ihre Geheimniss­e preis und schockt ihre Zuhörer wie Leser gleicherma­ßen.

Denn in dem mitreißend­en Roman „After the Fire“von Will Hill bildet das große Feuer am abgeschott­eten Sektensitz der Gottesle

inmitten der texanische­n Wüste die zeitliche Zäsur. In den verschiede­nen Kapiteln „Davor“und „Danach“erzählt Moonbeam aus ihrer Perspektiv­e die Erlebnisse vor und nach dem Brand. Ein genialer Kunstgriff des Autors, der das „Davor“und „Danach“filigran und ohne Verständni­sbrüche zusammenla­ufen lässt – bis zum flammenden Inferno, das Moonbeams Leben für immer verändert.

Bis dorthin ist sie nach außen hin ein Mitglied der Sekte wie viele andere. Zum Glauben, Arbeiten und Gehorchen erzogen und zum Schießen ausgebilde­t. Denn Sektenführ­er Vater John fordert von seinen Anhängern nicht nur jederzeit blinden Gehorsam, sondern auch unerschütt­erlichen Einsatz in der angekündig­ten Endschlach­t gegen die Feinde der Gotteslegi­onäre, die nach seinen Worten kurz bevorsteht.

Während die meisten Glaubensbr­üder und -schwestern Vater Johns Worten und Taten unbeirrbar folgen, seine Strafen widerspruc­hslos akzeptiere­n und seine Wutausbrüc­he klaglos erdulden, rebelliert es in Moonbeam. Besonders seit der unfehlbare Prophet ihre Mutter mit Schimpf und Schande hinaus in die Wüste schickte, weil sie ihm zu widerspens­tig wurde. Seitdem hat Moonbeam nichts mehr von ihr gehört.

Doch das junge Mädchen ist mit ihren Zweifeln allein. Sie kann sich niemanden offenbaren, sondern muss ständig fürchten, dass ihre geheimen Gedanken ans Licht kommen. Ihre Lage wird noch prekärer, als sie versucht, die jüngeren Mädchen vor den männlichen Übergriffe­n zu schützen, die in der Glaubensge­meinschaft zum Alltag gehören. Als das große Inferno beginnt ist Moonbeam überzeugt davon, dass sie mit ihrem Handeln die Kagionäre tastrophe heraufbesc­hworen und Dinge getan hat, die durch nichts zu verzeihen sind. So misstraut sie auch nach ihrer Rettung im Krankenhau­s allem und jedem. Doch zunehmend spürt sie, dass ihre psychische­n Wunden nur heilen können, wenn ihr Leben endlich nicht mehr auf Lügen, sondern auf der Wahrheit aufbaut.

Will Hill geht mit seinem Roman dem spannenden Thema auf den Grund, wie sehr Menschen beeinfluss­bar und manipulier­bar sind. Und wie unverschäm­t das wiederum machtbeses­sene Führungspe­rsonen und selbst ernannte Propheten ausnützen. So stark, dass sich unter ihren Anhängern keinerlei Gefühl mehr für Recht und Unrecht, Wahrheit oder Lüge entwickelt. Jeder Andersdenk­ende wird dann als Gefahr gesehen.

Moonbeam gibt einen Einblick in die Zerrissenh­eit eines Mädchen, das ahnt, dass Menschen so nicht miteinande­r umgehen dürfen. Und sie wehrt sich mit ihren begrenzten Möglichkei­ten tapfer dagegen. So ist aus „After the Fire“ein ergreifend­er Appell für das Recht auf Selbstbest­immung und die persönlich­e Freiheit eines jeden Einzelnen geworden. Umso mehr als die Idee zu diesem Buch von einer wahren Geschichte stammt – der Belagerung von Waco. 1993 lieferten sich die „Branch Davidians“um Sektenführ­er David Koresh nach 51-tägiger Belagerung eine Schlacht mit der amerikanis­chen Bundespoli­zei, bei der 76 Davidianer starben.

Will Hill: After The Fire. Aus dem Englischen von Wolf‰ ram Ströle; dtv Reihe Hanser, 480 Seiten, 15,95 Euro – ab 14

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany