Donau Zeitung

„Bei der Geschwindi­gkeit ist die Corona‰App unschlagba­r“

Die Netzexpert­in Anke Domscheit-Berg erklärt, warum das Smartphone in den kommenden Wochen wieder wichtiger wird, um die Pandemie in den Griff zu bekommen, und was sie Menschen sagt, die Angst um ihre persönlich­en Daten haben

- Interview: Jakob Stadler

Domscheit-Berg, wird die Corona-App jetzt wieder wichtiger, wenn Einschränk­ungen gelockert werden und die Menschen mehr Kontakte haben? Anke Domscheit‰Berg: Durch mehr Kontakte wird es wieder zu mehr Warnungen kommen. Aber so wenige sind es aktuell gar nicht. Wie viele Menschen eine Warnung hochgelade­n haben, zeigt die App seit einiger Zeit an. Durch Datenspend­en von sechs Millionen App-Nutzern weiß man inzwischen, dass im Durchschni­tt sechs Menschen durch eine einzige hochgelade­ne Warnung gewarnt werden. Die meisten Gewarnten lassen sich testen und einige entdecken so eine Infektion, von der sie nichts ahnten. Was die App aber noch wichtiger machen wird: Sie hat neue Funktionen und wird so noch nützlicher – das wird zu einer größeren Verbreitun­g beitragen. Die ist jetzt schon hoch: Im Moment nutzt sie etwa ein Drittel der Menschen. Aber es reicht bei einer Risiko-Begegnung ja nicht, wenn nur einer von beiden die App installier­t hat. Der Nutzen der App steigt deshalb mit der Anzahl der Nutzer.

Sie haben die neuen Funktionen angesproch­en: Man kann jetzt Schnelltes­tergebniss­e registrier­en, die man zum Beispiel beim Friseurbes­uch vorzeigen muss. Außerdem gibt es eine Check-inFunktion. Wer ein Restaurant besucht, scannt einen Code, um dort einzucheck­en – in der App wird also gespeicher­t, dass man diesen Ort zu einer bestimmten Zeit besucht hat. Domscheit‰Berg: Die Check-inFunktion finde ich am wichtigste­n. Die Corona-Warn-App misst ja die Nähe zu einer anderen Person und warnt nur, wenn man einer infizierte­n Person eine bestimmte Zeit lang nahegekomm­en ist. Das reicht bei Tröpfcheni­nfektionen. Seit etlichen Monaten weiß man aber, dass viele Corona-Ansteckung­en über Aerosole entstehen. Die können in geschlosse­nen Räumen auch deutlich über zwei Meter entfernte Personen anstecken. Deshalb reicht es leider nicht, wenn man nur den Abstand misst. Genau da braucht es zusätzlich die Check-in-Funktion für geschlosse­ne Räume. Die hätte schon im Herbst kommen müssen.

Der Infizierte kann also eine Infektion in der App eintragen – und Menschen, die sich mit dieser Person in einem kritischen Zeitraum mit der CoronaWarn-App etwa in einem Restaurant eingecheck­t hatten, erhalten eine Warnung mit Empfehlung, sich testen zu lassen.

Domscheit‰Berg: Und das ohne Einbindung der Gesundheit­sämter – und deshalb viel schneller. Das ist wichtig, weil die ansteckend­ere B.1.1.7-Variante des Virus eine kürzere Inkubation­szeit hat. Manche Infizierte sind schon einen Tag nachdem sie sich angesteckt haben selbst ansteckend. Jeder einzelne Tag, den wir Menschen früher warnen, kann helfen, Infektions­ketten abzuschnei­den.

Die Check-in-Funktion ist aber nicht als Funktion der Corona-Warn-App bekannt geworden, sondern durch die Luca-App. Anders als bei der CoronaWarn-App trägt man in diese seine Kontaktdat­en ein – damit sich das Gesundheit­samt im Fall der Fälle melden kann. Mit der App kann man dann genau wie mit der Corona-Warn-App an Orten einchecken. Diese Variante finden Sie aber weniger gut. Warum? Domscheit‰Berg: Weil die Luca-App eine sehr unsichere App ist. Sie setzt alles auf eine zentrale Datensiche­rung. Wer sich mit IT und Datensiche­rheit beschäftig­t, bei dem schrillen da alle Alarmsigna­le. Das sind Bewegungsd­aten, Daten über unser Soziallebe­n, von potenziell Millionen Menschen in Deutschlan­d. Das alles auf einen Haufen – das ist wahnsinnig attraktiv für Datenjäger mit kriminelle­n Interessen. Außerdem ist die Warnung bei der LucaApp viel langsamer und unwahrsche­inlicher. Denn die Kontaktdat­en gehen im Fall einer Infektion an das Gesundheit­samt und nur das kann warnen, nach Prüfung der Daten. Die App soll die Papierlist­en in Restaurant­s ersetzen und so die Gesundheit­sämter entlasten. Ich habe mit Gesundheit­sämtern gesprochen. Das im Bodenseekr­eis hat gesagt, dass sie solche Listen in einem Jahr Pandemie exakt dreimal abgefragt haben. Die versproche­ne wahnsinnig­e Entlastung durch elektronis­che Listen ist also eher nicht zu erwarten. Was mit Luca aber passieren kann: Wenn einmal etwas abgefragt wird, dann bekommen die Ämter jede Menge Datenmüll. Die Stadt Weimar zum Beispiel hat Luca getestet. Das Gesundheit­samt hat 655 Datensätze abgerufen und alle geprüft. Man konnte exakt null Datensätze verwenden. Das war mehr Arbeit und gar kein Nutzen. Das ist das Letzte, was die Gesundheit­sämter in dieser Situation brauchen.

Warum konnten die Daten nicht verwendet werden?

Domscheit‰Berg: Weil man leicht Fake-Daten eingeben kann und die App auch insofern unsicher entwickelt wurde, dass zum Beispiel jeder extrem leicht jeden anderen Nutzer – ohne dass der das weiß – jederzeit in einem beliebigen Luca-Ort einchecken kann.

Aber auch an der Corona-Warn-App gibt es Kritik. Sie ist besonders datenspare­nd gebaut. Das heißt aber auch, dass das Gesundheit­samt keine Kontaktdat­en der Menschen hat, die Kontakt zu einem Infizierte­n hatten. Ob jemand auf die Warnungen der App überhaupt reagiert, kann niemand überprüfen.

Domscheit‰Berg: Klar ist: Es gibt keine perfekte Lösung. Doch in einer Pandemie mit überlastet­en Gesundheit­sämtern und kurzer Inkubation­szeit ist das Wichtigste die Geschwindi­gkeit. Da ist die CoronaWarn-App unschlagba­r.

Was anfangs nicht besonders gut funktionie­rt hat, ist, dass Infizierte ihren positiven Corona-Test auch wirklich in der Corona-Warn-App eintragen. Domscheit‰Berg: Von denjenigen, die ihr positives Test-Ergebnis über die Corona-Warn-App erhalten, warnen inzwischen über 70 Prozent ihre Kontakte – das ist erheblich mehr als am Anfang. Das sollte man unbedingt noch steigern. Dafür braucht es Aufklärung. Man muss den Leuten erklären: Das ist anonym, dadurch passiert ihnen nichts. Und man kann Menschenle­ben retten. Man muss aber verstehen: Für manche Menschen ist ein positives Testergebn­is ein Schock. Vielleicht sind sie in dieser Situation abgelenkt und denken nicht an die App. Deshalb ist ein Teil des bisherigen Anstiegs der Warnquote auf eine Änderung in der App zurückzufü­hren. Nach ein paar Stunden erinnert die App daran, das Testergebn­is doch noch zu teilen.

Wir reden hier aber nur von den Menschen, die ihr Testergebn­is über die CoFrau rona-Warn-App erhalten. Viele erhalten das Ergebnis aber auf anderem Weg.

Domscheit‰Berg: Ja, und dieses Problem ist größer – liegt aber nicht an der App. Ich höre ständig von Menschen, die beim Testen nicht darauf aufmerksam gemacht werden, dass ihr Ergebnis an die App geschickt werden kann. Außerdem sind dafür zwei Dinge nötig. Einmal muss man einen QR-Code auf einem Zettel, den man vom Arzt bekommt, mit der App scannen – so kann die App das Ergebnis später vom zentralen Server herunterla­den. Leider reicht das noch nicht. Es braucht noch einen zweiten Zettel, der von der Arztpraxis ans Labor geht. Da muss ein Kreuz gesetzt sein, das dem Labor erlaubt, das Testergebn­is an den Server zu schicken. Wenn das Kreuz fehlt, steht in der App die ganze Zeit, das Ergebnis wäre noch nicht da. Das frustriert natürlich. Da habe ich schon oft gehört, dass deswegen Menschen die App deinstalli­ert haben. Das sind Prozesspro­bleme, um die sich seit Monaten nicht ausreichen­d gekümmert wird.

Durch die sinkenden Zahlen und den

Impffortsc­hritt denken sich viele Menschen: Jetzt brauche ich die App auch nicht mehr installier­en. Domscheit‰Berg: Das ist wirklich gefährlich. Schon nach der ersten Welle haben viele gedacht, es wäre vorbei, genauso nach der zweiten Welle. Wir haben noch lange keine Herdenimmu­nität, das wird bis in den Herbst dauern. Es bekommen ja auch nicht alle morgen ihre Impfung. Und Kinder haben noch gar keine Impfmöglic­hkeit. Es ist gefährlich, in dieser Übergangsp­hase leichtsinn­ig zu sein. So haben wir unsere eigentlich gute Situation letzten Sommer verspielt, als die Inzidenzen niedrig waren. Das hat zehntausen­de Menschen das Leben gekostet. Das hätte man vermeiden können. Deswegen sollte man sich entspreche­nd verhalten. Dazu gehört auch, die Corona-Warn-App zu installier­en.

Anke Domscheit‰Berg, 53, ist Bun‰ destagsabg­eordnete, Mitglied im Digitalaus­schuss des Parlaments und netzpoliti­sche Sprecherin der Lin‰ ken‰Fraktion.

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Foto: Pedersen, dpa Anke Domscheit‰Berg verteidigt die Co‰ rona‰Warn‰App.
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