„Bei der Geschwindigkeit ist die CoronaApp unschlagbar“
Die Netzexpertin Anke Domscheit-Berg erklärt, warum das Smartphone in den kommenden Wochen wieder wichtiger wird, um die Pandemie in den Griff zu bekommen, und was sie Menschen sagt, die Angst um ihre persönlichen Daten haben
Domscheit-Berg, wird die Corona-App jetzt wieder wichtiger, wenn Einschränkungen gelockert werden und die Menschen mehr Kontakte haben? Anke DomscheitBerg: Durch mehr Kontakte wird es wieder zu mehr Warnungen kommen. Aber so wenige sind es aktuell gar nicht. Wie viele Menschen eine Warnung hochgeladen haben, zeigt die App seit einiger Zeit an. Durch Datenspenden von sechs Millionen App-Nutzern weiß man inzwischen, dass im Durchschnitt sechs Menschen durch eine einzige hochgeladene Warnung gewarnt werden. Die meisten Gewarnten lassen sich testen und einige entdecken so eine Infektion, von der sie nichts ahnten. Was die App aber noch wichtiger machen wird: Sie hat neue Funktionen und wird so noch nützlicher – das wird zu einer größeren Verbreitung beitragen. Die ist jetzt schon hoch: Im Moment nutzt sie etwa ein Drittel der Menschen. Aber es reicht bei einer Risiko-Begegnung ja nicht, wenn nur einer von beiden die App installiert hat. Der Nutzen der App steigt deshalb mit der Anzahl der Nutzer.
Sie haben die neuen Funktionen angesprochen: Man kann jetzt Schnelltestergebnisse registrieren, die man zum Beispiel beim Friseurbesuch vorzeigen muss. Außerdem gibt es eine Check-inFunktion. Wer ein Restaurant besucht, scannt einen Code, um dort einzuchecken – in der App wird also gespeichert, dass man diesen Ort zu einer bestimmten Zeit besucht hat. DomscheitBerg: Die Check-inFunktion finde ich am wichtigsten. Die Corona-Warn-App misst ja die Nähe zu einer anderen Person und warnt nur, wenn man einer infizierten Person eine bestimmte Zeit lang nahegekommen ist. Das reicht bei Tröpfcheninfektionen. Seit etlichen Monaten weiß man aber, dass viele Corona-Ansteckungen über Aerosole entstehen. Die können in geschlossenen Räumen auch deutlich über zwei Meter entfernte Personen anstecken. Deshalb reicht es leider nicht, wenn man nur den Abstand misst. Genau da braucht es zusätzlich die Check-in-Funktion für geschlossene Räume. Die hätte schon im Herbst kommen müssen.
Der Infizierte kann also eine Infektion in der App eintragen – und Menschen, die sich mit dieser Person in einem kritischen Zeitraum mit der CoronaWarn-App etwa in einem Restaurant eingecheckt hatten, erhalten eine Warnung mit Empfehlung, sich testen zu lassen.
DomscheitBerg: Und das ohne Einbindung der Gesundheitsämter – und deshalb viel schneller. Das ist wichtig, weil die ansteckendere B.1.1.7-Variante des Virus eine kürzere Inkubationszeit hat. Manche Infizierte sind schon einen Tag nachdem sie sich angesteckt haben selbst ansteckend. Jeder einzelne Tag, den wir Menschen früher warnen, kann helfen, Infektionsketten abzuschneiden.
Die Check-in-Funktion ist aber nicht als Funktion der Corona-Warn-App bekannt geworden, sondern durch die Luca-App. Anders als bei der CoronaWarn-App trägt man in diese seine Kontaktdaten ein – damit sich das Gesundheitsamt im Fall der Fälle melden kann. Mit der App kann man dann genau wie mit der Corona-Warn-App an Orten einchecken. Diese Variante finden Sie aber weniger gut. Warum? DomscheitBerg: Weil die Luca-App eine sehr unsichere App ist. Sie setzt alles auf eine zentrale Datensicherung. Wer sich mit IT und Datensicherheit beschäftigt, bei dem schrillen da alle Alarmsignale. Das sind Bewegungsdaten, Daten über unser Sozialleben, von potenziell Millionen Menschen in Deutschland. Das alles auf einen Haufen – das ist wahnsinnig attraktiv für Datenjäger mit kriminellen Interessen. Außerdem ist die Warnung bei der LucaApp viel langsamer und unwahrscheinlicher. Denn die Kontaktdaten gehen im Fall einer Infektion an das Gesundheitsamt und nur das kann warnen, nach Prüfung der Daten. Die App soll die Papierlisten in Restaurants ersetzen und so die Gesundheitsämter entlasten. Ich habe mit Gesundheitsämtern gesprochen. Das im Bodenseekreis hat gesagt, dass sie solche Listen in einem Jahr Pandemie exakt dreimal abgefragt haben. Die versprochene wahnsinnige Entlastung durch elektronische Listen ist also eher nicht zu erwarten. Was mit Luca aber passieren kann: Wenn einmal etwas abgefragt wird, dann bekommen die Ämter jede Menge Datenmüll. Die Stadt Weimar zum Beispiel hat Luca getestet. Das Gesundheitsamt hat 655 Datensätze abgerufen und alle geprüft. Man konnte exakt null Datensätze verwenden. Das war mehr Arbeit und gar kein Nutzen. Das ist das Letzte, was die Gesundheitsämter in dieser Situation brauchen.
Warum konnten die Daten nicht verwendet werden?
DomscheitBerg: Weil man leicht Fake-Daten eingeben kann und die App auch insofern unsicher entwickelt wurde, dass zum Beispiel jeder extrem leicht jeden anderen Nutzer – ohne dass der das weiß – jederzeit in einem beliebigen Luca-Ort einchecken kann.
Aber auch an der Corona-Warn-App gibt es Kritik. Sie ist besonders datensparend gebaut. Das heißt aber auch, dass das Gesundheitsamt keine Kontaktdaten der Menschen hat, die Kontakt zu einem Infizierten hatten. Ob jemand auf die Warnungen der App überhaupt reagiert, kann niemand überprüfen.
DomscheitBerg: Klar ist: Es gibt keine perfekte Lösung. Doch in einer Pandemie mit überlasteten Gesundheitsämtern und kurzer Inkubationszeit ist das Wichtigste die Geschwindigkeit. Da ist die CoronaWarn-App unschlagbar.
Was anfangs nicht besonders gut funktioniert hat, ist, dass Infizierte ihren positiven Corona-Test auch wirklich in der Corona-Warn-App eintragen. DomscheitBerg: Von denjenigen, die ihr positives Test-Ergebnis über die Corona-Warn-App erhalten, warnen inzwischen über 70 Prozent ihre Kontakte – das ist erheblich mehr als am Anfang. Das sollte man unbedingt noch steigern. Dafür braucht es Aufklärung. Man muss den Leuten erklären: Das ist anonym, dadurch passiert ihnen nichts. Und man kann Menschenleben retten. Man muss aber verstehen: Für manche Menschen ist ein positives Testergebnis ein Schock. Vielleicht sind sie in dieser Situation abgelenkt und denken nicht an die App. Deshalb ist ein Teil des bisherigen Anstiegs der Warnquote auf eine Änderung in der App zurückzuführen. Nach ein paar Stunden erinnert die App daran, das Testergebnis doch noch zu teilen.
Wir reden hier aber nur von den Menschen, die ihr Testergebnis über die CoFrau rona-Warn-App erhalten. Viele erhalten das Ergebnis aber auf anderem Weg.
DomscheitBerg: Ja, und dieses Problem ist größer – liegt aber nicht an der App. Ich höre ständig von Menschen, die beim Testen nicht darauf aufmerksam gemacht werden, dass ihr Ergebnis an die App geschickt werden kann. Außerdem sind dafür zwei Dinge nötig. Einmal muss man einen QR-Code auf einem Zettel, den man vom Arzt bekommt, mit der App scannen – so kann die App das Ergebnis später vom zentralen Server herunterladen. Leider reicht das noch nicht. Es braucht noch einen zweiten Zettel, der von der Arztpraxis ans Labor geht. Da muss ein Kreuz gesetzt sein, das dem Labor erlaubt, das Testergebnis an den Server zu schicken. Wenn das Kreuz fehlt, steht in der App die ganze Zeit, das Ergebnis wäre noch nicht da. Das frustriert natürlich. Da habe ich schon oft gehört, dass deswegen Menschen die App deinstalliert haben. Das sind Prozessprobleme, um die sich seit Monaten nicht ausreichend gekümmert wird.
Durch die sinkenden Zahlen und den
Impffortschritt denken sich viele Menschen: Jetzt brauche ich die App auch nicht mehr installieren. DomscheitBerg: Das ist wirklich gefährlich. Schon nach der ersten Welle haben viele gedacht, es wäre vorbei, genauso nach der zweiten Welle. Wir haben noch lange keine Herdenimmunität, das wird bis in den Herbst dauern. Es bekommen ja auch nicht alle morgen ihre Impfung. Und Kinder haben noch gar keine Impfmöglichkeit. Es ist gefährlich, in dieser Übergangsphase leichtsinnig zu sein. So haben wir unsere eigentlich gute Situation letzten Sommer verspielt, als die Inzidenzen niedrig waren. Das hat zehntausende Menschen das Leben gekostet. Das hätte man vermeiden können. Deswegen sollte man sich entsprechend verhalten. Dazu gehört auch, die Corona-Warn-App zu installieren.
Anke DomscheitBerg, 53, ist Bun destagsabgeordnete, Mitglied im Digitalausschuss des Parlaments und netzpolitische Sprecherin der Lin kenFraktion.