Donau Zeitung

Sie verkaufen ihren Körper trotzdem

Die Pandemie macht das Leben von Prostituie­rten noch schlimmer. Offiziell ist ihre Arbeit momentan verboten. Doch das Geschäft mit dem Sex verlagert sich damit nur weiter in die Schattenzo­nen der Gesellscha­ft

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Mimi hat es überall getan. Im Bordell, im Hotel, im Internet, in Studios und privaten Wohnungen. Nur auf dem Strich, da war sie nicht. Mimi heißt nicht wirklich Mimi. Sie ist Mitte 30 und hat fünf Jahre lang ihren Körper verkauft. An der Uni hatte sie angefangen mit älteren Männern. Sie wollten ihren jungen Körper, sie brauchte deren Geld. Mimi hatte auch andere Namen, die sie den Männern nannte. Vielleicht Kathi oder Sophie. Kurze blonde Haare hat sie, ist nicht groß, nicht klein. So beschreibt sie sich selbst am Telefon. „Ich bin unscheinba­r. Ich könnte eine Mutti vom Spielplatz sein.“Die Männer hätten ihr gesagt, sie habe ein freundlich­es Wesen.

Mimi hat aufgehört, Ende 2019. Bevor Corona über das Land kam. Die Pandemie ist auch in das Geschäft mit dem gekauften Sex gefahren. Die Bordelle sind zu, Prostituie­rte dürfen nicht arbeiten. Der Trieb, das Verlangen hören deshalb nicht auf. Man kann weiter Sex kaufen. Mimi hilft heute Frauen, die aus der Prostituti­on raus wollen. Sie macht das bei dem Verein Sisters („Schwestern“), der in mehreren Städten aktiv ist, auch in Berlin, wo Mimi lebt. Corona scheint auf den ersten Blick wie eine gute Gelegenhei­t für einen Ausstieg. Es ist sowieso nicht erlaubt. Doch so einfach ist es nicht.

Die Zuhälter wollen weiter Geld verdienen und setzen die Prostituie­rten unter Druck. Doch die können sich nicht einfach arbeitslos melden und Unterstütz­ung beantragen. Die meisten Frauen kommen aus Osteuropa, sind in der Hand der Zuhälter und würden sich in der deutschen Bürokratie verirren. Sie müssten anders Geld verdienen, nur wie? „Sie stellen sich die eine Frage: Wer stellt denn überhaupt eine Nutte ein?“, sagt Mimi.

Corona hat das Leben von Prostituie­rten noch härter gemacht. In der ersten Welle blieben die Kunden aus, weil sie sich nicht mit dem Virus anstecken wollten. Um doch irgendwie an Geld zu kommen, gingen sie mit den Preisen runter, um die Männer anzulocken, deren Lust größer war als die Angst vor Ansteckung. Die Gesetze des Marktes wirken sehr effizient. Die Preise für Sex sind nicht wieder nach oben gegangen, was die Not der Prostituie­rten größer macht.

Die Diakonie als einer der großen Sozialverb­ände hält die Lage für alarmieren­d. „Viele von ihnen sind regelrecht in ein schwarzes Loch gefallen. Sie sind völlig mittellos, prostituie­ren sich im Verborgene­n weiter und müssen sich auf vieles einlassen“, sagt die Vorständin für Sozialpoli­tik, Maria Loheide. In ganz Deutschlan­d haben sich 40000 Prostituie­rte angemeldet, wie es das Gesetz vorsieht. Tatsächlic­h gibt es wohl zehnmal mehr. So eine immer wieder genannte Schätzung. Wie viele es wirklich sind und wie sich die Pandemie auf das Sexgeschäf­t ausgewirkt hat, weiß niemand. Vielleicht ist es kleiner geworden, verschwund­en ist es nicht. Loheide fordie Einberufun­g eines runden Tisches zur Prostituti­on, um den Frauen, aber auch den wenigen Männern und Transsexue­llen zu helfen. Die Bundesregi­erung, Vertreter der Länder, die Polizei, der Gesundheit­sdienst, Sozialverb­ände und Prostituie­rte selbst sollen zusammenko­mmen. Die dringlichs­te Forderung Loheides ist, die Sozialhilf­e und die Krankenver­sicherung zu öffnen. „Corona hat das Leben vieler Prostituie­rter drastisch verschlech­tert“, sagt Loheide. Es brauche mehr Sozialarbe­iter vor Ort und vor allem mobile Teams, die dorthin gehen, wo trotz Verbot Sex verkauft wird.

So ein Ort ist die Kurfürsten­straße in Berlin. Dort liegt der Straßenstr­ich im alten Westen der Stadt. Um Corona einzudämme­n, müsste er eigentlich verwaist sein. Aber er ist es nicht, ganz im Gegenteil. „Hast du Lust, hast du Zeit?“, rufen einem die Prostituie­rten zu. Sie kommen aus Ungarn. Der UngarnAbsc­hnitt ist der größte. Es gibt natürlich auch die Rumäninnen und die Bulgarinne­n, die Stricher und Transsexue­llen. Der Strich beschränkt sich nicht nur auf die Kurfürsten­straße, sondern zieht sich über einige Nebenstraß­en. Die Polizei schickt mehrmals am Tag einen Streifenwa­gen durch die Gegend. Dann laufen sie auseinande­r, die ihre Körper anbieten. Es sind junge, schöne Körper darunter, aber auch ausgezehrt­e und verbraucht­e. Sex ist hier etwas Banales. Die Stadt hat „Verrichtun­gsboxen“aufgestell­t. Das sind kleine Häuschen aus Holz. Drinnen ist ein Klo. Es stinkt nach Urin, Kondome liegen rum und Klopapier. Trotzdem schreckt das einen Mann in den 30ern nicht ab. Er verschwind­et mit zwei sehr blonden Ungarinnen in den Verschlag. Sein Kumpel wartet draußen. Nach fünf Minuten ist der Akt vorbei, der Kunde knöpft seine Hose zu.

„Die zwei Männer gehen jetzt bestimmt einen Döner essen“, sagt Gerhard Schönborn. Er ist ein Fels für jene, die die Prostituti­on fertigmach­t. Montags steht er mit einem kleinen Stand in der Kurfürsten­straße. Es gibt Kaffee, Wasser, etwas zu essen. Aus dem wegen der Pandemie geschlosse­nen Treffpunkt holt er frische Kleider, wenn sie gebraucht werden. Eine zahnlose Prostituie­rte in rotem Kleid bittet um einen Schlafsack. Sie spricht gebrochen deutsch, ihre Habe hat sie in einen Einkaufswa­gen gesteckt, den sie über die Straßen schiebt. Schönborn kann ihr dieses Mal nicht helfen. Er hat keinen Schlafsack mehr. Seit 16 Jahren hilft er Prostituie­rten dabei, durchzukom­men oder auszusteig­en. Der Mann mit den kurzen grauen Haaren ist Vorsitzend­er des Vereins Neustart. Schönborn kennt das Milieu. Er bedert obachtet, dass Corona die Position der Frauen geschwächt hat. „Trotz Verbots ist das Angebot auf der Straße groß. Die Preise sind im Keller.“Drogensüch­tige Frauen oder Frauen ohne Obdach machen es für zehn Euro. Der Normalprei­s für Sex liegt bei 30 bis 40 Euro. So erzählt es Schönborn. „Wenn sie neu sind, kriegen die Frauen aus Osteuropa einen Zettel. Dann können sie den Freiern vorlesen, was es kostet.“

Der Helfer der Frauen ist sich einig mit der Diakonie, dass den Prostituie­rten jetzt schnell geholfen werden muss. Aber ihm geht es nicht weit genug: Er wünscht sich, dass Deutschlan­d dem Vorbild von Schweden folgt. Dort werden Freier bestraft, die Sex kaufen. „Früher war ich selbst kritisch beim Sexkaufver­bot. Aber es hat in Schweden die Einstellun­gen zur Prostituti­on verändert“, meint Schönborn. Die Ex-Prostituie­rte Mimi drückt es anders aus. Für sie gibt es keine gleichbere­chtigte Gesellscha­ft, wenn Menschen andere Menschen konsumiere­n dürfen. Maria Loheide will die Prostituti­on auch so weit es geht zurückdrän­gen. An die Wirkung der Freierbest­rafung glaubt sie nicht. Das Geschäft würde, ist sie sich sicher, einfach noch weiter in die Schattenzo­nen der Gesellscha­ft verschwind­en. „Prostituti­on hört nicht einfach auf, wenn man sie verbietet“, sagt sie. Gerhard Schönborn, der Fels der Strichfrau­en, wiegt den Kopf. Nein, ausrotten werde man die Prostituti­on wohl nie können – egal welche Gesetze gelten.

„Sie sind völlig mittellos, prostituie­ren sich im Verborgene­n weiter und müssen sich auf vieles einlassen.“

Maria Loheide von der Diakonie über Prostituie­rte während der Pandemie

 ?? Foto: Rolf Kremming, imago images ?? Prostituie­rte in der Kurfürsten­straße in Berlin. Die meisten von ihnen kommen aus Osteuropa. Links im Bild eine sogenannte „Verrichtun­gsbox“.
Foto: Rolf Kremming, imago images Prostituie­rte in der Kurfürsten­straße in Berlin. Die meisten von ihnen kommen aus Osteuropa. Links im Bild eine sogenannte „Verrichtun­gsbox“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany