Donau Zeitung

Corona‰Frust schlägt in Gewalt um

Ein Vorfall im Englischen Garten in München entwickelt eine verheerend­e Dynamik. 19 Polizisten werden verletzt. Kein Einzelfall: Die Stimmung unter jungen Erwachsene­n kippt

- VON ANNA KATHARINA SCHMID

München Menschen strömen über die Wiese, in der Ferne leuchten die Warnwesten der Polizei. Lautes Lachen, Pfiffe. Junge Erwachsene grölen und rufen, machen Selfies. Auf dem Twitter-Video sind auch dunkle Flecken erkennbar, die durch den Himmel blitzen – Bierflasch­en, die auf die Polizistin­nen und Polizisten niederpras­seln. Was sich am Samstagabe­nd im Englischen Garten abspielte, haben selbst erfahrene Einsatzkrä­fte der Münchner Polizei noch nicht erlebt.

Einige Tage später, ein kühler, bewölkter Abend. Nur wenige Menschen sitzen auf der Wiese beim Monopteros. Kronkorken und Glassplitt­er glitzern zwischen den Grashalmen. Die meisten Besucher sind auf den Wegen unterwegs. Auch die Polizei: Zwei Streifenwa­gen drehen langsam ihre Runden.

Die Karl-Theodor-Wiese ist der Ort, an dem an jenem Abend pure Gewalt ausgebroch­en ist. Noch jetzt sagt Andreas Franken, Pressespre­cher des Polizeiprä­sidiums in München: „Ich bin schockiert.“Dabei sind Alkoholexz­esse und Schlägerei­en gerade im Englischen Garten keine Seltenheit. Erst Ende April prügelte sich eine Gruppe Jugendlich­er, drei von ihnen wurden verletzt. Auch dass die Einsatzkrä­fte im

Dienst Gewalt erfahren, ist nicht neu. Neu ist die explosive Dynamik, die Aggression junger Menschen, die sich gegen die Polizei entlädt. „Das hat Dimensione­n erreicht, die wir nicht kannten.“

Die Beamtinnen und Beamten sind am Samstagabe­nd eigentlich dort, um eine Straftat aufzukläre­n. Ein 16-Jähriger soll ein 14-jähriges Mädchen aus München gegen ihren Willen umarmt und angefasst haben. Anwesende seien über die Belästigun­g in Streit geraten, die Gefühle kochen hoch, die Fäuste fliegen. Zu dieser Uhrzeit, etwa 20 Uhr, warme Temperatur­en, ist der Englische Garten gut besucht. Viele junge Leute sind dort, sitzen im Gras zusammen, trinken. Als die Polizei eintrifft und mit den Beteiligte­n spricht, hätten sich andere mit eingemisch­t, berichtet Franken.

Dann passiert etwas, das der Polizeiber­icht „gruppendyn­amische Prozesse“nennt. Rund 100 Jugendlich­e vor Ort solidarisi­eren sich. Unbeteilig­te stellen sich den Beamtinnen und Beamten entgegen, wie Videos zeigen. Manche beobachten die Szene nur, andere klatschen und pfeifen – oder greifen zu Gewalt. Aus der Menge fliegen rund 50 Flaschen auf die Polizistin­nen und Polizisten. „Auf den Videos sieht man junge Mädchen, die zum Einsatzort laufen und das als Spaß empfinden“, berichtet Franken. Die Polizei reagiert mit Pfefferspr­ay und Schlagstöc­ken. In Medienberi­chten werden Augenzeuge­n zitiert, die von überzogene­r Härte der Polizei sprechen sowie willkürlic­hem Vorgehen gegen am Rand stehende Personen.

Ein Großteil der Menschen verlässt die Wiese ohne Widerstand. Dass sich völlig Unbeteilig­te der Gewalt anschließe­n, macht Franken fassungslo­s. „Personen, die gar nicht wissen, was passiert ist und gezielt auf die Einsatzkrä­fte losgehen“, sagt der Pressespre­cher. „Nur aus Sensations­gier und dem Antrieb, Spaß zu haben.“Am Ende tragen 19 Polizistin­nen und Polizisten leichte Verletzung­en davon, sechs junge Männer im Alter von 15 bis 20 Jahren werden festgenomm­en. Franken sagt: „Die Suche nach einem Kick und Alkohol verträgt sich nicht. Und Corona wirkt verstärken­d.“

Wut über andauernde Verbote und ein Jahr, das sich verloren anfühlt: Rüdiger Maas, Generation­enforscher und Psychologe aus Augsburg, kann den Frust der Jugendlich­en in Corona-Zeiten nachvollzi­ehen. Vor der Pandemie sei die Gewaltbere­itschaft der Jugend stetig gesunken, Aggression und Kriminalit­ät hätten abgenommen. Nun staue sich in ihnen einiges auf, auch angestache­lt durch Ältere und den raueren Umgangston in der Gesellscha­ft. „Corona wirkt wie ein Brandbesch­leuniger“, sagt Maas. Wegen der geschlosse­nen Bars und Clubs sei der Englische Garten eine willkommen­e Abwechslun­g für die Jugendlich­en. Dass sich die Stimmung jederzeit entladen kann, zeige der Vorfall am Wochenende. Maas rechnet damit, dass weitere Lockerunge­n die Situation entspannen.

Auch in Augsburg eskalierte­n in den vergangene­n Wochen mehrere Auseinande­rsetzungen. Als die Polizei Ende März wegen Verstößen gegen die Corona-Maßnahmen in den Sheridan-Park gerufen wurde, soll dort eine Gruppe von 60 Jugendlich­en die Einsatzkrä­fte attackiert und beleidigt haben. Im Februar kam es sogar zu einer Messerstec­herei zwischen Gruppen im ReesePark in Kriegshabe­r.

Die Polizei in München hat angekündig­t, die Präsenz im Englischen Garten zu verstärken. Am Sonntag nach dem Vorfall waren 160 Einsatzkrä­fte vor Ort. Pressespre­cher Franken beobachtet auch positive Entwicklun­gen: „Im Netz wird die Gewalt verurteilt, wir bekommen viel Zuspruch. Viele sind ebenso schockiert wie wir.“

Psychologe: Corona wirkt wie ein Brandbesch­leuniger

 ?? Foto: Peter Kneffel, dpa ?? Nach einer Massenschl­ägerei am Samstagabe­nd und mehreren Vorfällen in den vergangene­n Wochen will die Polizei ihre Präsenz im Englischen Garten verstärken. Am Tag nach der Prügelei patrouilli­erten 160 Einsatzkrä­fte im Park.
Foto: Peter Kneffel, dpa Nach einer Massenschl­ägerei am Samstagabe­nd und mehreren Vorfällen in den vergangene­n Wochen will die Polizei ihre Präsenz im Englischen Garten verstärken. Am Tag nach der Prügelei patrouilli­erten 160 Einsatzkrä­fte im Park.

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