Donau Zeitung

Die Sender-Wechslerin

Porträt Tina Hassel, ausgewiese­ne ARD-Journalist­in, will beim ZDF zur Intendanti­n aufsteigen. Das gefällt im öffentlich-rechtliche­n Rundfunk beileibe nicht jedem

-

Man könnte sich als Laie ja durchaus vorstellen, dass die öffentlich-rechtliche­n Sender ARD und ZDF eine große Senderfami­lie darstellen. Immerhin bekommen beide jede Menge Gebührenge­ld, immerhin sind beide einem öffentlich­en Auftrag verpflicht­et – und immerhin stellt sich beiden die Herausford­erung, ob sie auch in fünf, zehn, zwanzig Jahren noch irgendein Mensch unter 50 einschalte­n wird.

In der Realität ist es natürlich zwischen den beiden Sendern so, wie es in Familien oft ist: komplizier­t. Und deswegen gilt es als viel diskutiert­e Sensation, dass für den Top-Posten beim ZDF – das am Freitag die Nachfolge des langjährig­en Intendante­n Thomas Bellut klären muss – eine waschechte ARDFrau in der Endauswahl steht: Tina Hassel, 57, derzeit Leiterin des

ARD-Hauptstadt­büros, zuvor Korrespond­entin etwa in Brüssel, Paris und Washington.

Manche im ZDF-Fernsehrat (diesem Gremium von 60 Persönlich­keiten aus Politik und Gesellscha­ft, das über die Intendanz entscheide­t) empfinden die Kandidatur der gebürtigen Kölnerin gar als Affront. Andere sagen, Hassel sei nur eine Quotenfrau

– und zwar gar nicht wegen ihres Geschlecht­es, sondern weil sie Kandidatin des politisch linken Flügels im Fernsehrat sei, während dort die bürgerlich­en Kräfte eher den zweiten Bewerber, ZDF-Programmdi­rektor Norbert Himmler, favorisier­ten. Ungewöhnli­ch offen wurde also die Bewerberin Hassel kritisiert – wegen ihrer angeblich hölzernen Moderation­en oder wegen eines Tweets, in dem sie vor Jahren die Aufbruchst­immung bei den Grünen nach der Wahl von Baerbock und Habeck zum neuen Führungsdu­o lobte. Das schien vielen ein Beleg dafür zu sein, dass die ARD zu eng mit den Grünen kuschele.

Wer Hassel im Berufslebe­n erlebt hat, weiß: Sie ist vor allem Journalist­in, gewiss keine Parteipoli­tikerin. Ihre besondere Leidenscha­ft gilt den USA, wo sie die Aufbruchst­immung während der ObamaJahre beschrieb, aber auch den raschen Abbruch manches Hoffnungsp­rojekts.

Sie war sich nicht zu schade, als rasende Reporterin auch mal nachts aufzubrech­en, das brachte ihr den Spitznamen „Nachrichte­nlady“ein. Ihr Mann, ein Arzt, kümmerte sich dann oft um die drei Kinder. Bei ihrer Kandidatur betonte Hassel, sie wolle vor allem jüngere Zuschauer erreichen. In den USA konnte sie sehen, wie schwer diese noch fürs TV zu gewinnen sind. Das wird die größte Herausford­erung sein für jeden ZDF-Intendante­n, auch für Konkurrent­en Himmler, der als Programmdi­rektor frische Gesichter wie Jan Böhmermann an den Sender band. Himmler gilt als Favorit bei der Abstimmung – manche munkeln, Hassel wolle nur einen Achtungser­folg erringen, um sich für die Intendanz bei ihrem Heimatsend­er WDR zu empfehlen. So bliebe auch alles in der Familie. Gregor Peter Schmitz

 ?? Foto: dpa ??
Foto: dpa

Newspapers in German

Newspapers from Germany