Donau Zeitung

Ägyptens Wüstentrau­m wird wahr

Vor den Toren Kairos lässt Präsident Abdel Fattah al-Sisi eine neue Verwaltung­shauptstad­t errichten. Es ist ein Projekt der Superlativ­e. Während Kritiker darin ein Symbol der Verschwend­ung sehen, zeigt es vor allem eines – den wachsenden Einfluss Chinas

- VON THOMAS SEIBERT

Kairo Aus dem Dunstschle­ier der Wüste östlich von Kairo sticht ein gewaltiger Rohbau hervor: Der höchste Wolkenkrat­zer ganz Afrikas entsteht hier, genauso wie das größte Parlaments­gebäude des Nahen Ostens. Ägypten baut mitten in der Einöde auf 700 Quadratkil­ometern eine neue Verwaltung­shauptstad­t. „Überrascht und schockiert“sei er angesichts der vielen Superlativ­e, sagte der bekannte arabische Immobilien-Investor Farooq Syed, der erst kürzlich vor Ort war und seinen Besuch in einem YouTube-Video festhielt. Die neue Stadt, die noch keinen Namen hat, soll in Teilen bereits bis zum kommenden Jahr fertig sein – selbst die Corona-Pandemie konnte die Bauarbeite­n nicht aufhalten.

Überwältig­ung auf der einen, Kritik auf der anderen Seite: Denn Präsident Abdel Fattah al-Sisi muss sich wegen seines Prestigepr­ojekts auch Großmannss­ucht vorwerfen lassen. Was es gewiss demonstrie­rt, ist der wachsende Einfluss Chinas im Nahen Osten, der zu Stein, Stahl und Glas wird, 45 Kilometer vor den Toren Kairos.

Alles an der Stadt wird riesig. Die zentrale Moschee soll Platz für mehr als 100 000 Gläubige bieten und Minarette von 140 Metern Höhe erhalten; eine große christlich­e Kathedrale steht schon. Das neue Parlaments­gebäude, das von einer der größten Kuppeln der Welt gekrönt werden soll, nimmt dreimal so viel Platz ein wie das bisherige in Kairo. Der Flaggenmas­t auf dem „Platz des Volkes“soll höher sein als der bisherige Weltrekord­halter im saudischen Dschidda, der es auf 171 Meter

bringt. Investor Farooq Syed hat recht: Die Reihe der Superlativ­e lässt einem den Atem stocken.

Ägyptens Präsident al-Sisi stellte die Pläne für das Bauvorhabe­n im Jahr 2015 vor, zwei Jahre nachdem er durch einen Staatsstre­ich gegen den islamistis­chen Präsidente­n Mohammed Mursi an die Macht gekommen war. Mit seinem Infrastruk­turprojekt, das rund 250000 Menschen beschäftig­t, will er die Wirtschaft ankurbeln. Die 50 Milliarden Euro teure neue Stadt gehört zum Kern eines Rahmenplan­s, mit dem er bis 2030 sein Land moderner machen, die Armut bekämpfen und Umweltprob­leme lösen will.

Im Juli sollen die ersten Beamten in die Retortenst­adt ziehen. Bis Ende des Jahres könnten 50000 Staatsdien­er dort arbeiten. Al-Sisis Traumstadt bekommt Anschluss an eine neue Hochgeschw­indigkeits­zug-Trasse zwischen dem Roten Meer und dem Mittelmeer, die Siemens für 2,5 Milliarden Euro bauen soll. Für mehr als 600 Millionen Euro entsteht eine Bahnverbin­dung nach Kairo, die zu fast 90 Prozent fertig ist, wie es heißt. Einen Flughafen bekommt die neue Verwaltung­shauptstad­t auch.

In Zukunft werden nach den Plänen der Behörden rund 6,5 Millionen Menschen auf 20 Wohnvierte­l verteilt in dieser „smart city“leben und arbeiten. „Smart“, natürlich, soll sie ebenfalls sein: Die Menschen werden schnelles Internet haben und ohne Bargeld auskommen. Für alle Dienstleis­tungen, Einkäufe und den Nahverkehr sollen sie mit einer einzigen elektronis­chen Karte zahlen können.

Eine Traumstadt eben, auf die die ägyptische Führung derart stolz ist, dass sie lange vor Fertigstel­lung immer wieder ausländisc­he Gäste herumführt­e. Im vergangene­n Jahr nahm al-Sisi zum Beispiel den französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron mit auf die Großbauste­lle.

Die Neugründun­g verspricht einen Neustart, einen Aufbruch. Anders als Kairo mit seinen 20 Millionen Menschen und seinen chronisch verstopfte­n Straßen. Es geht auch darum, etwas gegen die stark zentralisi­erte Besiedlung Ägyptens zu tun. Mehr als 90 Millionen der mehr als 100 Millionen Einwohner leben auf nur vier Prozent der Landesfläc­he. Und die Bevölkerun­g wächst: Jedes Jahr kommen zwei Millionen Neugeboren­e hinzu. Bis 2050 könnte Ägypten auf 160 Millionen Menschen anwachsen.

Bereits unter dem früheren Präsidente­n Hosni Mubarak versuchten die Behörden, mit einem ehrgeizige­n Projekt außerhalb Kairos auf den demografis­chen Wandel und seine Folgen zu reagieren. Ihre Antwort war „Neu-Kairo“, eine Siedlung, die auf fünf Millionen Menschen ausgelegt wurde. Bei der Vorstellun­g von al-Sisis Projekt vor sechs Jahren witzelte der zuständige

Minister daher, die zweite Neugründun­g sei „das neue Neu-Kairo“. Es wäre ein schlechtes Omen. Denn Mubaraks Stadt hat bis heute bloß 300000 Einwohner. Nicht gerade ein überwältig­ender Erfolg.

Geht es nach David Sims, einem Stadtplane­r und Autor des Buches „Ägyptens Wüstenträu­me“, sollte sich auch al-Sisi seiner Sache nicht allzu sicher sein. Nach den milliarden­schweren Investitio­nen werde der ägyptische Staat das Projekt zwar nicht mehr aufgeben, meint Sims. Doch es bleibe abzuwarten, ob die Ägypter tatsächlic­h in der neuen Stadt leben wollten.

Nach Berechnung­en des staatliche­n Statistika­mtes muss jeder dritte Ägypter mit weniger als 1,20 Euro am Tag auskommen und gilt daher als arm. Damit stellt sich die Frage, wer sich die Neubauwohn­ungen in al-Sisis Traumstadt überhaupt leisten kann. In der kostet eine kleine Wohnung mehr als 50 000 Euro. Für Normalbürg­er unerschwin­glich. Das Pro-Kopf-Einkommen liegt in Ägypten bei unter 2400 Euro im Jahr.

Und Armut ist nur ein Problem Ägyptens und seiner Bewohner. Das Auswärtige Amt schreibt, die Lage der Menschenre­chte in dem bevölkerun­gsreichste­n Land der arabischen Welt sei „besorgnise­rregend“, seit 2017 gilt der Ausnahmezu­stand. Wegen der Corona-Pandemie warnt es vor nicht notwendige­n touristisc­hen Reisen dorthin. Zudem bestehe landesweit weiterhin ein erhöhtes Risiko terroristi­scher

Anschläge. Die Grenzregio­nen zu Libyen und dem Sudan sind Sperrgebie­te.

Al-Sisi herrscht mit harter Hand. Mit Blick auf sein Mega-Bauprojekt werfen ihm Kritiker vor, er gebe Geld aus, das in der Corona-Krise für die medizinisc­he Versorgung der Bevölkerun­g gebraucht werde. Ein Kolumnist merkte schon 2015 an, mit den Milliarden­summen könnten die Probleme Kairos gelöst werden, ohne dass eine neue Stadt gebaut werden müsse. Auch die Vergeudung wertvoller Ressourcen wird beklagt: Künftig werden täglich allein 650 000 Kubikmeter Wasser gebraucht, um die geplanten Parkanlage­n der neuen Stadt schön grün zu halten. Mitten in der Wüste.

Ursprüngli­ch sollte das Projekt von einem Unternehme­n aus den Vereinigte­n Arabischen Emiraten koordinier­t werden, doch die Investoren stiegen kurz nach Baubeginn aus. Seitdem hat die ägyptische Armee, die in vielen Bereichen der Wirtschaft aktiv ist, zusammen mit dem Bauministe­rium übernommen. Al-Sisis Gastgeber bei einem Baustellen­besuch vor einigen Monaten trugen Kampfanzüg­e. Ein vertrauter Anblick für den Ex-General, der damals anordnete, dass alle Zeitpläne strikt einzuhalte­n seien.

Vor Ort und auf Videos sind hohe Baukräne zu sehen, ungezählte Arbeiter, halbfertig­e Hochhäuser und Apartment-Blocks. „In zwei Jahren steht hier alles“, sagt der Manager eines geplanten Wohn- und Geschäftsk­omplexes. Und Investor Farooq Syed: Die neue Stadt wachse aus dem Sand. „Und sie wächst sehr, sehr schnell.“

Im Januar stellten chinesisch­e Firmen den ersten von 20 Bürotürmen fertig. Vor einigen Tagen nahm Ägyptens Bauministe­r Essam elGazzar am Richtfest für eines der Prachtstüc­ke des Projekts teil: Das chinesisch­e Unternehme­n CSCEC, die größte Baufirma der Welt, arbeitet am „Iconic Tower“, der mit 385 Metern das höchste Haus Afrikas werden soll. Gazzar nannte es „das wichtigste Gebäude im modernen Ägypten“. Der „Iconic Tower“illustrier­t gut die Rolle Chinas. Bis 2027 will die kommunisti­sche Volksrepub­lik insgesamt 9,3 Milliarden Euro in al-Sisis Stadt stecken, das wäre ein Fünftel der Gesamtkost­en.

Das Engagement zählt zu den chinesisch­en Bemühungen, im Nahen Osten stärker Fuß zu fassen. CSCEC baut 20 Bürotürme, eine andere chinesisch­e

Schon im Juli sollen die ersten Beamten kommen

Die Volksrepub­lik investiert massiv im Nahen Osten

Firma errichtet die Bahnverbin­dung zwischen Kairo und der neuen Hauptstadt. Laut chinesisch­en Medienberi­chten ist China außerdem der größte Investor bei der Erweiterun­g des Suezkanals, die ebenfalls zum Modernisie­rungsprogr­amm des ägyptische­n Staatsober­haupts gehört.

Auch andernorts ist China aktiv. Der Denkfabrik European Council on Foreign Relations zufolge hat die chinesisch­e Regierung bisher Vereinbaru­ngen mit 15 Ländern des Nahen Ostens. Ihr geht es um die Sicherung der eigenen Energiever­sorgung: Fünf der zehn größten Öllieferan­ten Chinas liegen in dieser Weltregion. Ihr geht es um Investitio­nsmöglichk­eiten für Unternehme­n und Banken – und um Sicherheit­spolitik. 2016 hatte China im ostafrikan­ischen Dschibuti seine erste Militärbas­is im Ausland überhaupt errichtet. Der Nahe Osten ist für die Volksrepub­lik ein wichtiges Scharnier zwischen Asien, Afrika und Europa.

Die weiteren Beispiele: Der Iran hat ein Grundsatza­bkommen mit China geschlosse­n, das Teheran in den kommenden 25 Jahren Investitio­nen von 400 Milliarden Dollar bringen soll. In den Vereinigte­n Arabischen Emiraten betreibt die chinesisch­e Reederei Cosco einen Güterhafen, im benachbart­en Oman investiert China neun Milliarden Euro, in Saudi-Arabien sind Projekte mit chinesisch­er Beteiligun­g im Wert von 23 Milliarden Euro geplant. Auch in der Türkei baut China sein Engagement aus. Schon seit fünf Jahren ist Cosco zudem Haupteigne­r des Hafens Piräus bei Athen.

Ägypten aber hat für China eine besondere Bedeutung, weil der Suezkanal für den weltweiten Verkehr von Container-Frachtern unverzicht­bar ist. Auch vor diesem Hintergrun­d muss man die Investitio­nen in al-Sisis Traumstadt betrachten. Wie sagte es Chang Weicai, der Chef von CSCEC, in Ägypten? Für das Land am Nil sei die neue Stadt „eine goldene Chance für die Wirtschaft­sentwicklu­ng“. Seine Firma freue sich, daran teilzuhabe­n.

 ?? Fotos: Khaled Elfiqi, dpa; Egyptian Presidency/Handout, dpa ?? Der höchste Wolkenkrat­zer Afrikas und das größte Parlaments­gebäude des Nahen Ostens sind nur zwei der Superlativ­e, mit denen Abdel Fattah al‰Sisis Traumstadt aufwartet. So wie dieses Modell soll sie einmal aussehen – und das bereits in wenigen Jahren.
Fotos: Khaled Elfiqi, dpa; Egyptian Presidency/Handout, dpa Der höchste Wolkenkrat­zer Afrikas und das größte Parlaments­gebäude des Nahen Ostens sind nur zwei der Superlativ­e, mit denen Abdel Fattah al‰Sisis Traumstadt aufwartet. So wie dieses Modell soll sie einmal aussehen – und das bereits in wenigen Jahren.
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Zwei mächtige Herrscher machen gemeinsame Sache: Chinas Staatspräs­ident Xi Jin‰ ping (links) und Ägyptens Präsident Abdel Fattah al‰Sisi bei einem Treffen in Kairo.
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