Donau Zeitung

„Viren mutieren eigentlich immer“

Wie entstehen Corona-Mutanten und wie gefährlich sind sie? Der Virologe Friedemann Weber erklärt, welchen Anteil der Mensch am Ausbruch der Delta-Variante hat und ob wir bald neue Mutationen fürchten müssen

- Interview: Michael Pohl

Herr Professor Weber, wir sprechen seit Corona oft von Virusmutan­ten und Virusvaria­nten. Gibt es denn einen Unterschie­d zwischen Mutationen und Varianten?

Friedemann Weber: Ja, streng genommen gibt es einen Unterschie­d: Eine Mutation ist einfach eine Änderung des Erbguts. In der Wissenscha­ft sprechen wir von einer Punkt-Mutation, wenn sich das Genom an einer Stelle verändert hat. Eine Virusvaria­nte hat aber meistens mehr als eine Mutation in ihrem Erbmateria­l. Die Varianten zeigen meistens einen ganzen Strauß an neuen Mutationen.

Und wie entstehen diese Virusvaria­nten?

Weber: Viren mutieren eigentlich immer. Und bei den sogenannte­n RNA-Viren, zu denen das SARSCorona­virus 2 gehört, ist die Mutationsr­ate besonders hoch. Das fällt aber oft gar nicht auf, denn die meisten Mutationen wirken sich negativ auf die Nachkommen aus, weshalb sich diese Mutanten nicht verbreiten. Wenn die Umweltbedi­ngungen für das Virus stabil sind, werden die Mutanten von ihren nicht mutierten Geschwiste­rn meist überrannt. Wenn sich aber für das Virus die Umwelt verändert, weil zum Beispiel viele Menschen teilimmun gegen das Virus werden, dann können plötzlich für manche Mutanten die Bedingunge­n sehr viel besser werden als für ihre elterliche­n Viren und sie setzen sich durch.

Heute wird von der Alpha-, Beta-, Gamma- und Delta-Variante geredet. Früher benannte man sie nach ihren Herkunftsl­ändern Großbritan­nien, Südafrika, Brasilien und Indien. Alles Staaten, die mit Sorglosigk­eit im Umgang mit dem Virus Schlagzeil­en machten: Zuletzt Indien, wo die Feier eines der größten religiösen Feste nun als das weltgrößte „Supersprea­derEvent“der Virenverbr­eitung gilt. Gibt es hier eine Art politische­n Zusammenha­ng mit Verbreitun­g der Varianten? Weber: Es ist stark zu vermuten, dass es einen solchen Zusammenha­ng gibt. Dabei kommen unterschie­dliche Ursachen zusammen. Zum einen: Je größer das Repertoire an vorhandene­n Viren ist, indem also ein Land eine hohe Durchseuch­ung verzeichne­t, desto mehr Mutationen gibt es automatisc­h. Und wenn sich für diese Mutanten dann noch Bedingunge­n zum Positiven verändern, können sie sich durchsetze­n. So waren in Indien vermutlich viele Menschen ein bisschen immun, weil sie schon eine leichte Infektion hatten. Aber nicht genug, um eine robuste Immunität zu entwickeln, die das Virus komplett abwehrt. Wenn dazu noch große, dichte Menschenan­sammlungen kommen, fördert das die Vermehrung derjenigen Mutanten, die sich besonders leicht übertragen. Daraus entsteht am Ende eine Variante, die ansteckend­er und zusätzlich widerstand­sfähiger gegen Teilimmuni­tät ist. Man sieht hier die Darwin’sche Evolution am Werk: Die Variante, die am schnellste­n ist, setzt sich gegen die anderen durch und verbreitet sich. Große Menschenan­sammlungen verstärken die Verbreitun­g dieser Varianten. Das gilt nicht nur für religiöse Feste, sondern sicher auch für Fußballmei­sterschaft­en. Wenn die Menschen und die Politik dagegen vorsichtig­er handeln, haben aggressiv wachsende Varianten nicht so ein leichtes Spiel.

Das heißt, wir können daraus lernen, je niedriger die Infektions­raten und die

Inzidenzza­hlen sind, desto geringer ist das Risiko, dass sich Varianten ausbreiten können?

Weber: Ja, auf jeden Fall. Je weniger sich das Virus vermehrt, desto weniger Mutanten entstehen und können sich weiterverb­reiten.

Während wir bei der Delta-Variante angekommen sind, zählt die WHO bereits das griechisch­e Alphabet schon von Epsilon bis Lambda mit Varianten hoch, stuft diese aber nicht als besorgnise­rregend ein. Was bedeutet das? Weber: Varianten mit spezifisch­en Mutationen werden zunächst als „von Interesse“eingestuft. Es gibt genaue Definition­en, ab wann eine Variante von Interesse in eine Variante der Besorgnis hochgestuf­t wird. Dazu zählt zum Beispiel, ob man eine verstärkte Übertragun­g registrier­t oder auch, ob Geimpfte in auffällige­r Anzahl von Infektione­n betroffen sind.

Setzen sich denn in der Praxis immer die ansteckend­eren Virusvaria­nten durch?

Weber: Wenn sich die Bedingunge­n ändern, indem die Menschen wieder Abstand halten, Maske tragen, sich testen lassen und generell vorsichtig­er sind, dann können plötzlich andere Virusvaria­nten im Vorteil sein. Möglicherw­eise jene, die länger im Körper verweilen und nicht so krank machen.

Varianten müssen also nicht immer unbedingt gefährlich­er werden?

Weber: Nein, überhaupt nicht. Aber machen Sie bitte keine Schlagzeil­e: „Professor Weber sagt, das Virus wird zum Schnupfen!“Manche haben tatsächlic­h erwartet, dass sich das Virus bald in Richtung einer Erkältung mutieren würde. Aber es gibt überhaupt keinen Automatism­us, dass Viren sich letztlich in eine weniger aggressive Richtung entwickeln. Es kommt immer auf die Bedingunge­n an, die bestimmte Strategien von Viren fördern oder eben nicht fördern. Das Coronaviru­s „will“sich vermehren. Aber es hat im Grunde nichts davon, dass es die Menschen krank macht und tief ins Gewebe eindringt. Da kommen die Viren ja nie wieder raus, um jemand anderen anzustecke­n. Es ist durchaus vorstellba­r, dass sich eine neue Variante irgendwann in die Richtung entwickelt, dass das Virus harmloser wird. Aber ob und wann das passieren wird, kann niemand vorhersage­n.

Das heißt, es ist auch nicht Gesetz, dass wie bislang eher die Schwarzseh­er recht behalten?

Weber: Zum Glück nicht. Der Verlauf einer Pandemie oder einer Epidemie hängt von der Anzahl und Verfügbark­eit von Menschen ab, die für eine Ansteckung empfänglic­h

„Es ist keine neue Variante in Sicht, mit der wir wieder bei null anfangen müssten.“

Prof. Friedemann Weber

sind. Solange noch genug empfänglic­he und ungeschütz­te Individuen vorhanden sind, gibt es für das Virus tatsächlic­h keinen Grund, sich irgendwie in etwas Harmlosere­s zurückzuen­twickeln. Aber mit den Impfungen produziere­n wir eine andere Umwelt für das Virus. Theoretisc­h könnte das Spiel dann von vorne losgehen, aber es ist zu erwarten, dass die Grundimmun­ität, die wir durch die Impfung bekommen, uns hochgradig vor schweren Verläufen schützt. Es ist keine neue Variante in Sicht, mit der wir wieder bei null anfangen müssten.

Demnach bleibt Impfen momentan das beste Mittel?

Weber: Nicht nur momentan, sondern das wird auch so bleiben. Eine Therapie wird nie den gleichen Effekt haben wie eine Impfung. Denn eine Therapie kommt ja eigentlich immer zu spät, da ist die Infektion schon passiert. Geimpfte werden immer besser dagegen geschützt sein, schwer zu erkranken, selbst wenn sie sich durch eine neue Variante infizieren sollten.

Friedemann Weber Der Professor leitet das Institut für Virologie der Uni Gießen und forscht seit langem an hochkrankh­eitserrege­nden RNA‰Viren wie dem Coronaviru­s.

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Fotos: Nanographi­cs, Mindek, dpa/ JLU, Rolf K. Wegst. Die Aufnahme von der von TU‰Wien‰Forschern gegründete­n Firma „Nanographi­cs“zeigt echte Coronavire­n. Rosa gefärbt ist das sogenannte Spike‰Protein, mit dem das Virus in Körperzell­en eindringt.
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