Donau Zeitung

Sebastian Kurz, der Schattenbo­xer

Österreich­s Kanzler steckt eigentlich mitten in einem Strudel aus Skandalen und Korruption­svorwürfen. Doch er hat seine ganz eigene Methode entwickelt, damit umzugehen

- VON WERNER REISINGER

Wien Der Sommer ist da, die Corona-Infektions­zahlen gehen immer weiter zurück und die Österreich­er wollen vor allem eines: Ruhe und, wer es kann, in den Urlaub fahren. Mit den zahlreiche­n Ermittlung­en der Justiz gegen einen Teil des inneren Machtzirke­ls der Kanzlerpar­tei ÖVP wollen sich viele in der Alpenrepub­lik nach den coronabedi­ngten Entbehrung­en der vergangene­n Monate nun nicht mehr auseinande­rsetzen. Zumindest nicht mehr so genau. Das gilt ebenso für den IbizaUnter­suchungsau­sschuss im Parlament, wo die Opposition­sparteien in den vergangene­n Monaten immer mehr brisante und unschöne Details zur politische­n Praxis der „Neuen Volksparte­i“zutage gefördert hatten. Die permanente­n Schlagzeil­en der vergangene­n Wochen haben viele Österreich­er den Überblick verlieren lassen.

Niemand weiß das besser als Sebastian Kurz selbst. Schon im Mai hatte der Kanzler die Corona-Krise de facto für beendet erklärt und medienwirk­sam wahre Öffnungsfe­stspiele hingelegt. „Die Pandemie ist für alle vorbei, die geimpft sind“, verkündete der Kanzler über die Boulevardz­eitung Krone. Die überall aufkommend­e, durchaus auch für Erstgeimpf­te gefährlich­e Delta-Variante kümmert Kurz wenig. Im Gegenteil. Ab Donnerstag fallen FFP2-Maskenpfli­cht und die Sperrstund­e, Clubs und Discos dürfen öffnen.

Nachdem die Stadt Wien am Mittwoch aus Sorge vor der DeltaVaria­nte doch eigene Vorsichtsm­aßnahmen ergriffen hatte – Zutritt zu Gastronomi­e und Veranstalt­ungen bekommt man nur mit PCR-Gurgeltest oder profession­ellem Antigen-Schnelltes­t, auch die Registrier­ungspflich­t bleibt –, ließ Kurz seine Tourismusm­inisterin Elisabeth Köstinger ausrücken. „Absurd“seien diese Maßnahmen, Wien stifte mit einer „chaotische­n Vorgangswe­ise unnötige Verwirrung“und das jetzt, kurz vor den „letzten Öffnungssc­hritten“. Den Leuten geben, was sie wollen. Das ist ein Teil der Kurz-Strategie im Kampf gegen Korruption­sschlagzei­len und die Krise seines Politikmod­ells. Ein anderer ist, den Schlagzeil­en schöne Bilder entgegenzu­stellen: Kurz lädt zur Westbalkan­konferenz ins Bundeskanz­leramt, Kurz empfängt EUKommissi­onspräside­ntin Ursula von der Leyen, Kurz überreicht Laptops an Schüler und Lehrer. Manchmal mehrmals am Tag trudeln die Einladunge­n des Kanzleramt­s zu „Kameraschw­enk und Fotomöglic­hkeit“in die Postfächer der Journalist­en. Manchmal auch ohne die Namen der Gäste zu nennen, die Kurz empfängt. Aber um die scheint es ohnehin nicht wirklich zu gehen.

Gleichzeit­ig schärft Kurz seinen Law-and-Order-Kurs nach. Gelegenhei­t dazu bietet ihm der Tod der 13-jährigen L., tatverdäch­tig sind vier junge Männer, afghanisch­e Staatsbürg­er. „Rigoros abschieben“, auch wenn es in Afghanista­n „Sicherheit­slücken“gebe, lautet die Botschaft von ÖVP-Innenminis­ter Karl Nehammer. „Mit mir wird es definitiv keinen Abschiebes­topp nach Afghanista­n und keine Aufweichun­g der Asylgesetz­e geben“, sagt der Kanzler, als ob es in Österreich Parteien gäbe, die Mörder und Vergewalti­ger vor ihrer Abschiebun­g zu bewahren suchten. Es ist die alte Taktik des Täuschungs­manövers:

Vorzugeben, etwas zu verhindern, was ohnehin nicht geplant ist – und sich danach von Bild-Zeitung und Krone für die vermeintli­che Tatkraft feiern zu lassen. Altbekannt ist dieses Schema aus der EU-Diskussion um die Corona-Hilfen für schwer getroffene Länder wie Italien, als Kanzler Kurz vehement „Vergemeins­chaftung von Schulden“ablehnte – obwohl dies so nicht zur Debatte stand.

Auf den letzten Metern gelang es Kurz mithilfe seiner Truppe schließlic­h auch, den am 15. Juli endenden Ibiza-Untersuchu­ngsausschu­ss ganz zur Bühne für sich selbst zu machen. In der letzten regulären Sitzung am Donnerstag nimmt sich Kurz vor seiner zweiten Befragung ausführlic­h Zeit, vor die Kameras zu treten. Er gibt den Parlamenta­riern Tipps für eine „Reform“des Ausschusse­s, die Befragunge­n künftig doch „von Richtern, also Profis“durchführe­n zu lassen, damit der Ausschuss von der Öffentlich­keit „weiter ernst genommen“werde – ein bewusstes Verwässern der Grenzen zwischen Justiz und Legislativ­e? „Ich wurde zwei Mal direkt gewählt“, sagt Kurz dann faktenwidr­ig bei seiner Befragung. Danach empfiehlt Andreas Hanger, der sich als ÖVP-Scharfmach­er in den vergangene­n Wochen alle Mühe gab, den Ausschuss in eine Schlammsch­lacht zu verwandeln, dem SPÖFraktio­nschef Jan Krainer einen „Besuch beim Psychiater“. Der Kanzler hingegen ortet „Hass“im Ausschuss und macht sich Sorgen um die „politische Kultur“. Kurz und seine Partei vor dem Parlament: Brandstift­er und Feuerwehr zugleich.

Möglich, wenn nicht wahrschein­lich bleibt weiter eine Anklage der Staatsanwa­ltschaft gegen Kurz wegen möglicher Falschauss­age bei seiner ersten Ausschuss-Vernehmung zur ÖBAG-Posten-Affäre. In dem Fall könnte sich Kurz von einer Parteikoll­egin quasi im Amt „vertreten“lassen. Gibt es keine Anklage, hat Kurz nach all seinen Attacken auf die Justiz abermals die Grenzen verschoben – und geht gestärkt aus seiner bisher schwersten Krise hervor.

Kurz will Probleme lösen, die es gar nicht gibt

 ?? Foto: Helmut Fohringer, dpa ?? Österreich­s Bundeskanz­ler Sebastian Kurz weiß um den Wert der eigenen Inszenieru­ng.
Foto: Helmut Fohringer, dpa Österreich­s Bundeskanz­ler Sebastian Kurz weiß um den Wert der eigenen Inszenieru­ng.

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