Wie KinderpornoErmittler ihre Seele schützen
Die Anzahl der Fälle von Kinderpornografie steigt in Bayern dramatisch an. Der Augsburger Kriminalpolizist German Knoll sichtet solches Material. Hier berichtet er von seiner Arbeit – und von der psychischen Belastung
Augsburg Es ist das Schlimmste vom Schlimmsten, was sich German Knoll ansehen muss. Bilder von Kindern, die leicht bekleidet oder nackt vor der Kamera posieren, brutale Szenen, schwerer sexueller Missbrauch von Mädchen und Jungen. Doch was sich so grausam anhört, gehört für Knoll zum Alltag dazu. Er ist stellvertretender Leiter der Arbeitsgruppe Sexualdelikte im Fachkommissariat K1 der Kriminalpolizeiinspektion Augsburg – zu seiner Arbeit gehört es deshalb, kinderpornografisches Material zu sichten. Eine Aufgabe, die von Jahr zu Jahr wächst, wie der 45-Jährige berichtet: „Kinderpornografie nimmt immer mehr Zeit in Anspruch. Die Verbreitung wird durch die neuen technischen Möglichkeiten wahnsinnig leicht gemacht.“
Eine Einschätzung, die auch die Statistik bestätigt. Die Anzahl der Fälle von Herstellung, Besitz und Verbreitung von Kinderpornografie ist dem Bundeskriminalamt zufolge im vergangenen Jahr drastisch gestiegen, um 53 Prozent auf 18761 Fälle. In Bayern waren es zuletzt 2762 Fälle und damit sogar 63 Prozent mehr als 2019. Das Spektrum der Delikte ist groß: Es beginnt mit dem Oben-ohne-Foto der Freundin, das ein Minderjähriger an seine Freunde schickt, ohne sich seiner Tat bewusst zu sein, reicht über intime Selfies bis hin zu Abbildungen schweren Kindesmissbrauchs.
Wie gehen Ermittler wie German Knoll dabei vor, wenn sie solche Dateien sichten? „Letztendlich ist das eine manuelle Arbeit“, beschreibt der Kriminalbeamte seinen Job. „Ich muss mir die Bilder anschauen, muss genau arbeiten und darauf achten, ob ich etwas sehe, das eventuell einen Rückschluss auf das Kind, die Tatörtlichkeit oder sogar den Täter zulässt.“Die meisten arbeiteten extrem vorsichtig. Es gebe kaum Bilder, auf denen die Person abgebildet sei, wie sie ein Kind missbrauche. Also achten die Ermittler auf die kleinsten Details: Wie sieht das Kind aus, was ist im
zu sehen, ist die Stimme des Täters zu hören, spricht er vielleicht mit Akzent? Feinheiten können zu den entscheidenden Erkenntnissen führen. „Es ist nicht einfach, solche Bilder oder Videos anzuschauen“, sagt Knoll. Doch seine Motivation verleihe ihm Kraft: „Möglicherweise kann das missbrauchte Kind identifiziert und der Täter gefasst werden – das ist mein Anspruch: So viel zu investieren, dass man die Tat aufklären kann.“Aber auch German Knoll kommt manchmal an seine psychischen Belastungsgrenzen, wenn er Gewalt an Kindern sieht. „Ich muss wirklich sagen, solche Videosequenzen, wenn auch noch ein Ton mit dabei ist, wie die Kinder schreien, so was bleibt im Gedächtnis. So was kann man nicht ablegen, wenn man am Abend aus dem Büro herausgeht.“Es gebe Sequenzen, über die er noch den einen oder anderen Tag nachdenken müsse. Und manches, was Knoll beschäftigt, findet auch den Weg nach Hause, wenn er mit seiner Frau spricht. „Aber sonst bin ich eher der Typ, der Dienst und Privat trennt“, erzählt er.
Ein Einzelfall? Oder geht es anderen Beamten da ähnlich? Rita Rosner, Psychologin an der katholischen Universität Eichstätt-IngolHintergrund stadt, kann das beurteilen. Sie hat vor mehreren Jahren einige bayerische Ermittler für eine Studie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München befragt. Sie sagt: „Bei den Ermittlern gibt es diese Lösungskomponente,
bei der man versucht, die Täter zu jagen. Das kann stärken und gibt die Möglichkeit, durchzuhalten.“Doch auch eine zwischenmenschliche Komponente sei wichtig, um mit der Belastung umzugehen. Es könne helfen, wenn man mit Kollegen sprechen könnte und es Möglichkeiten gebe, sich Auszeiten zu nehmen. Aber: „Es wird schon lange diskutiert, wie nahe Beamte an Fällen sein müssen, damit sich tatsächlich Folgen entwickeln“, sagt Rosner. „Studien haben gezeigt, dass die Arbeit zu Intrusionen, also zum ungewollten Wiedererleben, führen kann. Die Betroffenen träumen davon, sind gereizt, vermeiden daran zu denken und versuchen es wegzuschieben“, erklärt Rosner.
German Knoll bezeichnet sich selbst als jemanden, „der mit so was umgehen und verarbeiten kann“. Was ihm hilft, ist, über das Gesehene mit seinen Kollegen zu sprechen, ob nach der Morgen besprechung auf einen Kaffee oder noch kurz nachdem gemeinsamen Mittagessen. Darüber hin ausgibt es Supervis ions veranstaltungen, den sozialen Dienst, mit dem Mitarbeiter reden können, Betreuungs angebote, um traumatische Erlebnisse abzufangen. Andreas Rohrmair, stellvertretender Dienststellen leiter der Kriminalpolizei inspektion im Augsburger Präsidium, sagt :„ Wenn es zur Dauerbelastung wird und ein Kollege sagt, dass er nicht mehr kann, dann wird das respektiert.“
Belastend ist für die Beamten allerdings nicht nur das Material selbst, sondern auch die große Menge. „Wir ersaufen in Daten“, wie es Rohrmair ausdrückt. Personelle Verstärkung, Gutachter, die auch Daten sichten, Auslagerung von technischen Diensten, frühe Absprachen mit der Staatsanwaltschaft – an den verschiedensten Stellen wird versucht, zumindest für einen Teil eine Lösung des Problems zu finden. Auch an intelligenten Softwares, die Ermittler bei der Sichtung unterstützen könnten, wird vielerorts geforscht. Die Augsburger Kriminalpolizei inspektion arbeitet mit der Hochschule vor Ort zusammen und stellt Informatik fachkräfte ein. G er manKnoll hofft sehr auf solche Lösungen: „Diese immense Flut an Material, das uns erreicht, ist für uns fast genauso belastend wie die Bilder und Videos, die wir anschauen. Aktuell arbeiten wir an unserer Belastungsgrenze.“
Die Schreie der Kinder bleiben im Gedächtnis
Nicht nur das Material ist belastend, auch die Masse