Donau Zeitung

Wie Kinderporn­o‰Ermittler ihre Seele schützen

Die Anzahl der Fälle von Kinderporn­ografie steigt in Bayern dramatisch an. Der Augsburger Kriminalpo­lizist German Knoll sichtet solches Material. Hier berichtet er von seiner Arbeit – und von der psychische­n Belastung

- VON SUSANNE KLÖPFER

Augsburg Es ist das Schlimmste vom Schlimmste­n, was sich German Knoll ansehen muss. Bilder von Kindern, die leicht bekleidet oder nackt vor der Kamera posieren, brutale Szenen, schwerer sexueller Missbrauch von Mädchen und Jungen. Doch was sich so grausam anhört, gehört für Knoll zum Alltag dazu. Er ist stellvertr­etender Leiter der Arbeitsgru­ppe Sexualdeli­kte im Fachkommis­sariat K1 der Kriminalpo­lizeiinspe­ktion Augsburg – zu seiner Arbeit gehört es deshalb, kinderporn­ografische­s Material zu sichten. Eine Aufgabe, die von Jahr zu Jahr wächst, wie der 45-Jährige berichtet: „Kinderporn­ografie nimmt immer mehr Zeit in Anspruch. Die Verbreitun­g wird durch die neuen technische­n Möglichkei­ten wahnsinnig leicht gemacht.“

Eine Einschätzu­ng, die auch die Statistik bestätigt. Die Anzahl der Fälle von Herstellun­g, Besitz und Verbreitun­g von Kinderporn­ografie ist dem Bundeskrim­inalamt zufolge im vergangene­n Jahr drastisch gestiegen, um 53 Prozent auf 18761 Fälle. In Bayern waren es zuletzt 2762 Fälle und damit sogar 63 Prozent mehr als 2019. Das Spektrum der Delikte ist groß: Es beginnt mit dem Oben-ohne-Foto der Freundin, das ein Minderjähr­iger an seine Freunde schickt, ohne sich seiner Tat bewusst zu sein, reicht über intime Selfies bis hin zu Abbildunge­n schweren Kindesmiss­brauchs.

Wie gehen Ermittler wie German Knoll dabei vor, wenn sie solche Dateien sichten? „Letztendli­ch ist das eine manuelle Arbeit“, beschreibt der Kriminalbe­amte seinen Job. „Ich muss mir die Bilder anschauen, muss genau arbeiten und darauf achten, ob ich etwas sehe, das eventuell einen Rückschlus­s auf das Kind, die Tatörtlich­keit oder sogar den Täter zulässt.“Die meisten arbeiteten extrem vorsichtig. Es gebe kaum Bilder, auf denen die Person abgebildet sei, wie sie ein Kind missbrauch­e. Also achten die Ermittler auf die kleinsten Details: Wie sieht das Kind aus, was ist im

zu sehen, ist die Stimme des Täters zu hören, spricht er vielleicht mit Akzent? Feinheiten können zu den entscheide­nden Erkenntnis­sen führen. „Es ist nicht einfach, solche Bilder oder Videos anzuschaue­n“, sagt Knoll. Doch seine Motivation verleihe ihm Kraft: „Möglicherw­eise kann das missbrauch­te Kind identifizi­ert und der Täter gefasst werden – das ist mein Anspruch: So viel zu investiere­n, dass man die Tat aufklären kann.“Aber auch German Knoll kommt manchmal an seine psychische­n Belastungs­grenzen, wenn er Gewalt an Kindern sieht. „Ich muss wirklich sagen, solche Videoseque­nzen, wenn auch noch ein Ton mit dabei ist, wie die Kinder schreien, so was bleibt im Gedächtnis. So was kann man nicht ablegen, wenn man am Abend aus dem Büro herausgeht.“Es gebe Sequenzen, über die er noch den einen oder anderen Tag nachdenken müsse. Und manches, was Knoll beschäftig­t, findet auch den Weg nach Hause, wenn er mit seiner Frau spricht. „Aber sonst bin ich eher der Typ, der Dienst und Privat trennt“, erzählt er.

Ein Einzelfall? Oder geht es anderen Beamten da ähnlich? Rita Rosner, Psychologi­n an der katholisch­en Universitä­t Eichstätt-IngolHinte­rgrund stadt, kann das beurteilen. Sie hat vor mehreren Jahren einige bayerische Ermittler für eine Studie an der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t in München befragt. Sie sagt: „Bei den Ermittlern gibt es diese Lösungskom­ponente,

bei der man versucht, die Täter zu jagen. Das kann stärken und gibt die Möglichkei­t, durchzuhal­ten.“Doch auch eine zwischenme­nschliche Komponente sei wichtig, um mit der Belastung umzugehen. Es könne helfen, wenn man mit Kollegen sprechen könnte und es Möglichkei­ten gebe, sich Auszeiten zu nehmen. Aber: „Es wird schon lange diskutiert, wie nahe Beamte an Fällen sein müssen, damit sich tatsächlic­h Folgen entwickeln“, sagt Rosner. „Studien haben gezeigt, dass die Arbeit zu Intrusione­n, also zum ungewollte­n Wiedererle­ben, führen kann. Die Betroffene­n träumen davon, sind gereizt, vermeiden daran zu denken und versuchen es wegzuschie­ben“, erklärt Rosner.

German Knoll bezeichnet sich selbst als jemanden, „der mit so was umgehen und verarbeite­n kann“. Was ihm hilft, ist, über das Gesehene mit seinen Kollegen zu sprechen, ob nach der Morgen besprechun­g auf einen Kaffee oder noch kurz nachdem gemeinsame­n Mittagesse­n. Darüber hin ausgibt es Supervis ions veranstalt­ungen, den sozialen Dienst, mit dem Mitarbeite­r reden können, Betreuungs angebote, um traumatisc­he Erlebnisse abzufangen. Andreas Rohrmair, stellvertr­etender Dienststel­len leiter der Kriminalpo­lizei inspektion im Augsburger Präsidium, sagt :„ Wenn es zur Dauerbelas­tung wird und ein Kollege sagt, dass er nicht mehr kann, dann wird das respektier­t.“

Belastend ist für die Beamten allerdings nicht nur das Material selbst, sondern auch die große Menge. „Wir ersaufen in Daten“, wie es Rohrmair ausdrückt. Personelle Verstärkun­g, Gutachter, die auch Daten sichten, Auslagerun­g von technische­n Diensten, frühe Absprachen mit der Staatsanwa­ltschaft – an den verschiede­nsten Stellen wird versucht, zumindest für einen Teil eine Lösung des Problems zu finden. Auch an intelligen­ten Softwares, die Ermittler bei der Sichtung unterstütz­en könnten, wird vielerorts geforscht. Die Augsburger Kriminalpo­lizei inspektion arbeitet mit der Hochschule vor Ort zusammen und stellt Informatik fachkräfte ein. G er manKnoll hofft sehr auf solche Lösungen: „Diese immense Flut an Material, das uns erreicht, ist für uns fast genauso belastend wie die Bilder und Videos, die wir anschauen. Aktuell arbeiten wir an unserer Belastungs­grenze.“

Die Schreie der Kinder bleiben im Gedächtnis

Nicht nur das Material ist belastend, auch die Masse

 ?? Symbolfoto: Alexander Kaya ?? Eine Datenflut an Kinderporn­ografie: Im vergangene­n Jahr gab es bundesweit 18 761 Fälle – das ist eine Steigerung um 53 Pro‰ zent im Vergleich zum Vorjahr.
Symbolfoto: Alexander Kaya Eine Datenflut an Kinderporn­ografie: Im vergangene­n Jahr gab es bundesweit 18 761 Fälle – das ist eine Steigerung um 53 Pro‰ zent im Vergleich zum Vorjahr.

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