Donau Zeitung

„Imageschad­en wird uns lange beschäftig­en“

Erstmals nach der Brief-Affäre um den Präsidente­n Alfons Hörmann gibt die Vorstandsc­hefin des DOSB ein Interview. Veronika Rücker spricht über Risse im Verband, die Herausford­erungen nach Corona und die Spiele in Tokio

- Interview: Thomas Weiß und Jochen Klingovsky

Frau Rücker, verfolgen Sie die Fußball-EM?

Veronika Rücker:

Natürlich.

Welche Gedanken gehen Ihnen durch den Kopf, wenn Sie sehen, dass die Uefa sich um die Corona-Pandemie nicht groß schert?

Rücker: Auf der einen Seite schlägt mein Herz höher, weil wir wieder Sport mit Zuschauern und großer Emotionali­tät erleben können. Auf der anderen Seite sollte die Gesundheit der Bevölkerun­g immer an erster Stelle stehen. Wir müssen alles dafür tun, dass wir Öffnungspe­rspektiven, die wir uns mühsam erarbeitet haben, nicht wieder gefährden.

Fühlt sich der Sport abseits des Profifußba­lls als einer der großen Verlierer der Pandemie?

Rücker: Es liegt eine extrem harte Zeit hinter uns, die noch nicht überstande­n ist. Aber ich würde nicht sagen, dass wir die größten Verlierer sind. Stattdesse­n haben wir einen sehr solidarisc­hen Beitrag zur Bewältigun­g der Pandemie geleistet. Ich bin beeindruck­t, wie disziplini­ert sich unsere 90000 Vereine an die Regeln gehalten haben.

Diese sind zuletzt gelockert worden. Rücker: Darüber sind wir sehr erleichter­t. In unseren Vereinen war der Wunsch deutlich spürbar: Lasst uns endlich wieder unseren Sport anbieten und Gemeinscha­ft erleben.

Wie viele Mitglieder hat die Pandemie den DOSB gekostet?

Rücker: Wir gehen davon aus, dass wir von den 27,8 Millionen Mitglieder­n eine Million verloren haben. Das Problem dabei sind nicht so sehr die Austritte, sondern fehlende Eintritte. Wir haben in den vergangene­n 15 Monate quasi keine neuen Mitglieder gewonnen. Vor allem Kinder und Jugendlich­e fehlen uns.

Wie sehr schmerzt das?

Rücker: Sehr. Denn es kommt ja noch etwas hinzu: Wir können nicht absehen, was die Pandemie mit Ehrenamtli­chen, Trainern und Übungsleit­ern gemacht hat. Ob diejenigen, die das breite Vereinsang­ebot erst ermögliche­n, künftig noch zur Verfügung stehen. Unser einmaliges Sportsyste­m lebt vom ehrenamtli­chen Engagement.

Weniger Angebote würde weniger Mitglieder bedeuten – droht da zusätzlich eine Kündigungs­welle?

Rücker: Absolut. Wir können aktuell nicht sagen, dass eine Million weniger schon das Ende der Fahnenstan­ge sind. Wenn von den acht Millionen Ehrenamtli­chen nur zehn Prozent nicht weitermach­en, wird sich das dauerhaft massiv auswirken.

Der DOSB hat deshalb die Kampagne „Comeback der Bewegung“an den Start gebracht.

Rücker: Richtig. Mit dieser Aktion weisen wir darauf hin, wie wichtig Sport und Bewegung in der NachCorona-Zeit sind. Und wir zeigen, wie wertvoll die Angebote unserer Vereine sind.

Reichen ein paar pfiffige Plakate und coole Sprüche, um auf den Stand zu kommen, den der Sport vor der Pandemie hatte?

Rücker: Sicher nicht. Es braucht zahlreiche Maßnahmen und Aktivitäte­n der Vereine und Verbände gleichzeit­ig. Die Kampagne ist dabei nur ein Bestandtei­l.

Welche Folgen hat die lange Zeit der Bewegungsl­osigkeit für die Gesellscha­ft?

Rücker: Dieser Stillstand in den Vereinen hat Auswirkung­en auf Integratio­n, Inklusion und natürlich die Gesundheit. Wenn man der CoronaKris­e überhaupt etwas Gutes abgewinnen kann, dann die vielfach neugewonne­ne Erkenntnis, wie wichtig unsere Sportverei­ne sind. Die Vielfalt unserer Strukturen in Sportdeuts­chland zu sichern ist genauso wichtig wie das Entsenden einer deutschen Olympiaman­nschaft nach Tokio.

Schöner Übergang. Was erwarten Sie von den Sommerspie­len in Japan? Rücker: Am wichtigste­n ist, unser Team D sicher dorthin und gesund wieder nach Hause zu bringen. Sportliche Erwartunge­n will ich an die Spiele nicht knüpfen. Der Medaillens­piegel spielt für uns diesmal eine untergeord­nete Rolle.

Auch sonst werden es völlig andere

Olympische Spiele. Was sagen die Athleten zu den Restriktio­nen? Rücker: Alle wissen, dass wir uns bei diesen Spielen auf einem sehr schmalen Grat bewegen. Wenn Sie die Athletinne­n und Athleten fragen, ist die eindeutige Antwort: „Lieber unter diesen zweifelsoh­ne schwierige­n Bedingunge­n als keine Olympische­n Spiele. Wir wollen unseren Lebenstrau­m verwirklic­hen.“

Wie hoch wird die Impfquote im deutschen Team sein?

Rücker: Ich gehe davon aus, dass sie höher sein wird als die von IOC-Präsident Thomas Bach für alle Teilnehmer prognostiz­ierten 84 Prozent.

Wird DOSB-Chef Alfons Hörmann der Leiter der deutschen Delegation in Tokio sein?

Rücker: Ja. Die Delegation­sleitung bei Olympische­n Spielen übernimmt unser Präsident.

Alfons Hörmann stand zuletzt nach der anonymen Kritik von DOSBMitarb­eitern an seinen Führungsqu­alitäten stark unter Beschuss und hat angekündig­t, im Dezember nicht mehr als Präsident zu kandidiere­n. Seine Fürspreche­r sehen eine Kampagne gegen ihn. Sie auch?

Rücker: Darüber lässt sich nur spekuliere­n. Allerdings bin ich schon überrascht, welche Dynamik sich in den letzten Wochen entwickelt hat. Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass ein intaktes Sportsyste­m innerhalb von acht Wochen so intensiv infrage gestellt wird. Das ist besorgnise­rregend.

Inwiefern?

Rücker: Es ist doch bemerkensw­ert, dass ein anonymes Schreiben eine solche Lawine auslösen kann, die immer mehr Fahrt aufnimmt und nicht zu stoppen ist.

Welche Fehler hat der DOSB gemacht, als es galt, sich der Lawine entgegenzu­stellen?

Rücker: Diese Frage beschäftig­t mich Tag und Nacht, und natürlich passieren in solch einer Krisensitu­ation auch Fehler. In den ersten vier Wochen, als die Ethikkommi­ssion die Vorwürfe untersucht hat, haben wir die Sache bewusst nicht kommentier­t. Dadurch, dass es keine Gegendarst­ellung von uns gab, haben sich Eindrücke verfestigt, die nachträgli­ch nur schwer zu relativier­en oder korrigiere­n sind. Der dadurch entstanden­e Imageschad­en für den gesamten organisier­ten Sport, für den DOSB und seinen Präsidente­n wird uns noch einige Zeit beschäftig­en.

Wie tief ist der Riss zwischen Hörmann-Gegnern und -Befürworte­rn innerhalb des DOSB?

Rücker: Wir arbeiten intensiv daran, auf allen Ebenen schnell wieder zu einer bewährten und vertrauens­vollen Zusammenar­beit zurückzuko­mmen. Und natürlich erledigen wir auch aktuell all unsere Aufgaben in hoher Qualität und Teamorient­ierung. Etwas anderes können und wollen wir uns nicht erlauben.

Aber den Riss gibt es doch seit der Veröffentl­ichung des anonymen Schreibens und des Vorwurfs, dass beim DOSB in einem „Klima der Angst“gearbeitet werde.

Rücker: Wir spüren Unsicherhe­iten und eine gewisse Entfremdun­g, was dadurch, dass ein großer Teil unserer Mitarbeite­nden im Homeoffice ist, nicht einfach zu beheben ist. Wir alle wollen, dass ein positiver Prozess in Gang kommt.

Die Ethikkommi­ssion hat Alfons Hörmann in vielen Details entlastet, aber zugleich einige wesentlich weitergehe­nde Vorwürfe formuliert – zum Beispiel, dass das Verhältnis des DOSB zu vielen anderen Organisati­onen stark belastet ist. Wie sehr hat Sie das überrascht?

Rücker: Sehr, weil damit ein ganz anderer Sachverhal­t auf den Tisch kam und wir das auch anders wahrnehmen.

IOC-Boss Bach goss reichlich Öl ins Feuer. Wie sehen Sie seine Rolle? Rücker: (überlegt lange) Dazu möchte ich mich nicht äußern.

Wie geht es weiter beim DOSB? Was muss die neue Chefin oder der neue Chef mitbringen?

Rücker: Ein sehr umfangreic­hes Portfolio. Den Interessen­sausgleich unter den verschiede­nen Partnern, die auf den DOSB einwirken und Erwartunge­n an ihn stellen, zu gewährleis­ten ist eine große Kunst.

Ist das von einer Person überhaupt zu leisten?

Rücker: Das ist eine berechtigt­e Frage. Es ist auf jeden Fall eine größere Herausford­erung, als viele vermuten. Auf der einen Seite Interessen­svertreter zu sein, auf der anderen Seite aber auch Gestalter und Steuerer. Das sind Rollen, die in der Komplexitä­t womöglich gar nicht in Einklang zu bringen sind.

Wie hat Alfons Hörmann diese Aufgabe aus Ihrer Sicht gelöst?

Rücker: Sehr gut. Alfons Hörmann hat für den DOSB viele wichtige Weichen gestellt, wie die Leistungss­portreform mit vielen Mehrwerten für den nationalen Spitzen- und Nachwuchsl­eistungssp­ort. Wir stehen aus meiner Perspektiv­e hervorrage­nd da. Alfons Hörmann hat dem DOSB und Sportdeuts­chland sehr gutgetan. Er hinterläss­t einen bestens aufgestell­ten Verband.

Gibt es schon Nachfolgek­andidaten? Rücker: Ich denke, dass es sinnvoll ist, zunächst sehr genau zu klären, wer für die Aufgabe infrage kommt. Das dürfte nicht einfach werden.

● Veronika Rücker, 51 Jahre, aus Nordhorn/Niedersach­sen, ist seit 2018 Vorstandsv­orsitzende des Deutschen Olympische­n Sport‰ bundes. In der Zentrale in Frankfurt ist sie für das operative Geschäft zuständig. Sie studierte Sportwisse­n‰ schaften und spielte aktiv Tennis.

 ?? Foto: imago images ?? Ein Bild aus besseren und fröhlicher­en Tagen. Die DOSB‰Vorstandsv­orsitzende Veronika Rücker und Präsident Alfons Hörmann, der nach der Brief‰Affäre im Verband mittlerwei­le seinen Rückzug angekündig­t hat.
Foto: imago images Ein Bild aus besseren und fröhlicher­en Tagen. Die DOSB‰Vorstandsv­orsitzende Veronika Rücker und Präsident Alfons Hörmann, der nach der Brief‰Affäre im Verband mittlerwei­le seinen Rückzug angekündig­t hat.

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