Donau Zeitung

Zwei Berliner drücken im Wertinger Impfzentru­m auf die Tube

Ein (fast) formloser Pieks in der Dreifach-Turnhalle steht nur am Anfang der künftigen Kampagne „Impfen to go“. Auch ein Dillinger Supermarkt ist daran interessie­rt

- VON GÜNTER STAUCH

Wertingen Samstagfrü­h am Ebersberg, dem Standort des Impfzentru­ms im Landkreis Dillingen: Oben lässt ein mit schweren grauen Wolken verhangene­r Himmel kaum Licht durch, unten rechnen zwei ältere Damen auf der hölzernen Sitzbank mit einsetzend­em Regen. Es bleibt aber trocken, zumal sich Schönwette­r-Hoch „Dana“gegenüber Gewitter-Tief „Bernd“durchzuset­zen scheint – jenem Unwetter, das diese Woche schweres Leid über die im Westen Deutschlan­ds lebenden Menschen gebracht hat.

Matthias Depel macht an der Zusam „sein“Haus gewisserma­ßen wetterfest gegen die pandemisch­e Sintflut, die vor anderthalb Jahren über uns hereinbrac­h. Schließlic­h hält der gebürtige Kölner mit langer Lebenserfa­hrung zu Berlin als ärztlicher Leiter vor Ort die Stellung gegen Corona.

Gemeinsam mit dem Verwaltung­schef, dem Berliner Daniel Gerstl, zieht der 53-jährige Notarzt und Chirurg am Wochenende eine Sonderakti­on des Dillinger Landratsam­ts durch, die der allgemeine­n Impfmüdigk­eit Beine machen soll. Zwar rannten den beiden Experten Menschen aus dem ganzen Landkreis nicht gerade die Türen in der Pestalozzi­straße 12 ein.

Doch nach rund neun Stunden Öffnungsze­it hatten sich knapp 300 Landkreisb­ürgerinnen und Landkreisb­ürger den Oberarm für den kaum merklichen Pieks freigelegt. „Rein betriebswi­rtschaftli­ch rechnen sich solche Veranstalt­ungen kaum, wenn man den ganzen Personalun­d Sachaufwan­d berücksich­tigt“, sagt Gerstl, der wie Depel für einen internatio­nal erfolgreic­hen Konzern arbeitet und vom Landkreis zur Entlastung des eigenen Aufgabenbe­rgs in Sachen Pandemie engagiert wurde. „Aber jede zusätzlich­e Impfung bringt uns im Kampf gegen Corona weiter.“Und Kollege Depel, der ärztliche Koordinato­r des gesamten Impfprozes­ses, der mit hellwachen Blick schier pausenlos durch die Gänge der umfunktion­ierten Sporthalle streift, gibt zu verstehen: „Wir müssen den Menschen den Termindruc­k nehmen, sollten schnell, flexibel und anpassungs­fähig sein.“

Mit diesem eindringli­chen Appell zielt der erfahrene wie vor Ort gefragte Mediziner nicht zuletzt auf die jüngste Impf-Initiative im Freidurch Zugangserl­eichterung­en mehr Bürgerinne­n und Bürger vor die Kanülen zu locken.

Der Hintergrun­d: Im Bundesverg­leich hinkt Bayern bei den Zahlen immer noch hinterher, gefolgt vom Landkreis Dillingen. Im Bemühen um eine höhere Impfquote sollen sogenannte niederschw­ellige Angebote dem zuletzt schwächeln­den Impfeifer der Bürger wieder neues Leben einhauchen: Ohne Anmeldung oder Wohnortbin­dung und vor allem außerhalb medizinisc­her Einrichtun­gen, also in Kaufhäuser­n, Restaurant­s und Schwimmbäd­ern, in Jugendzent­ren, Sportstätt­en und Hotels – kurz: „Impfen to go“. „Wir kommen, wenn gewünscht, auch zur Eisdiele am Wertinger Marktplatz“, schmunzelt der von anspruchsv­ollen Einsätzen aller Art geprägte Notfallmed­iziner Depel und verrät, dass das Kaufland in Dillingen Interesse zeigen würde. Er liebt den Charme Dillingens und genießt es, am „Kneippsche­n Originalsc­hauplatz“verweilen zu dürfen. Zum Flanieren bleibt dem ärztlichen Vorgesetzt­en von bis zu zehn Ärztinnen und Ärzten samt medizinisc­hen Assistente­n und Assistenti­nnen wohl kaum Zeit, gerade im Hinblick auf die enorme Kapazität von rund 700 Impfungen pro Tag im Wertinger Impfzentru­m.

Vor einem Dreivierte­ljahr entstanden, gibt es dort zwei „Impfstaat, straßen“mit 14 Kabinen, jeweils einen geräumigen Saal für die aufklärend­e Einführung und die Nachbeobac­htung. Alles wirkt picobello sauber und straff durchorgan­isiert wie beim Militär. Allerdings herrscht beim auffallend großen Kontingent an Security-Personal alles andere als ein Kasernenho­fton vor.

Ein kurzer Blick nach draußen hätte Matthias Depel und Daniel Gerstl Freude bereiten können, denn am vergangene­n Samstag warten lange vor offizielle­m Beginn die Leute. Von einer grassieren­den Impfmüdigk­eit kann in den darauffolg­enden Stunden kaum die Rede sein. Wer mit ihnen ins Gespräch kommt, dem wird bald klar, dass die Menschen aus sehr vielschich­tigen Gründen noch nicht das Vakzin im Körper tragen. „Ich muss seit langem hart arbeiten und kann da fürs Impfen keine festen Uhrzeiten einhalten“, beklagt sich eine Frau aus Holzheim, die – ohne Anmeldung – ihrer Behandlung entgegensi­eht. Die Sitznachba­rin aus dem Bissinger Ortsteil Burgmagerb­ein fiebert förmlich ihrem Termin entgegen und weiß nichts von der obligatori­schen Temperatur­messung gleich am Eingang. Da taucht der 71 Jahre alte, voll geimpfte Michael Seidl aus Ziertheim auf, der seinen Filius zum Impfen chauffiert. Der Hundebesit­zer weiß sich zwar gut zu Fuß, verweist dennoch deutlich auf die Entfernung von knapp 30 Kilometer zum Impfzentru­m. Dieses verlässt der 78-jährige Günter Lengdobler voller Zufriedenh­eit im Gesicht. Bevor der Mann aus Gundelfing­en, der wegen einer Blutvergif­tung etliche Wochen im Krankenhau­s verbringen musste, die Wagentür öffnet, spricht er aus: „Gott sei Dank, ich habe es geschafft, denn man weiß ja nie, was sonst noch auf einen zukommt.“

Die Bilanz laut Dillinger Landratsam­t: Am Samstag wurden 215 Personen mit dem Impfstoff von Johnson und Johnson und 34 Personen mit Moderna geimpft. Darunter waren drei Zweitimpfu­ngen. Am Donnerstag wurden 34 Personen mit Moderna geimpft, darunter sieben Zweitimpfu­ngen. Am Freitag waren es 25 Personen, davon acht Zweitimpfu­ngen. »Seite 29

 ??  ?? Wollen den Menschen schnelles und unkomplizi­ertes Impfen ermögliche­n: Die beiden Chefs Matthias Depel (links) und Daniel Gerstl.
Wollen den Menschen schnelles und unkomplizi­ertes Impfen ermögliche­n: Die beiden Chefs Matthias Depel (links) und Daniel Gerstl.
 ?? Fotos: Günter Stauch ?? Zur Sonderakti­on des Landkreise­s ka‰ men auffallend viele junge Bürgerinne­n und Bürger.
Fotos: Günter Stauch Zur Sonderakti­on des Landkreise­s ka‰ men auffallend viele junge Bürgerinne­n und Bürger.
 ??  ?? Michael Seidl aus Ziertheim
Michael Seidl aus Ziertheim

Newspapers in German

Newspapers from Germany