Donau Zeitung

Warum dieser Moment so viele Menschen bewegt

Hand in Hand gehen Angela Merkel und Malu Dreyer durch die Trümmer, die das Hochwasser hinterlass­en hat. Selbst in den sozialen Netzwerken, wo so oft die Wut den Ton angibt, wird die Szene gefeiert

- VON MICHAEL STIFTER

Schuld Und dann gibt es da diesen einen Moment, in dem das Gezanke über passende – und vor allem unpassende – Auftritte von Politikeri­nnen und Politikern im Katastroph­engebiet in seiner ganzen Kleingeist­igkeit entlarvt wird. Es ist ein Moment, in dem zwei Frauen Hand in Hand durch die Trümmer laufen, die auch deshalb so populär sind, weil sie sich selbst nicht so wichtig nehmen. Angela Merkel ergreift instinktiv den Arm von Malu Dreyer. Die Bundeskanz­lerin gibt der Ministerpr­äsidentin von RheinlandP­falz Halt – den sie nicht nur aufgrund der schockiere­nden Szenen in dem vom Hochwasser verwüstete­n Ort Schuld braucht, sondern auch, weil sie seit vielen Jahren gegen eine schwere Krankheit kämpft.

In den sozialen Netzwerken, in denen der Ton normalerwe­ise ein paar Umdrehunge­n aggressive­r ist als in der realen politische­n Auseinande­rsetzung, wird dieser kurze Augenblick gefeiert. Viele Menschen sind gerührt, andere werden mit Blick auf das nahende Ende der Ära Merkel geradezu wehmütig. Dass die Szene so viele Menschen bewegt, hat vor allem einen Grund: Die beiden Politikeri­nnen reden nicht nur davon, dass die Menschen in einer solchen Krise zusammenha­lten müssen, sie tun es im wahrsten Sinne des Wortes. Parteibüch­er und Wahlkampf spielen keine Rolle, wenn es um die Schicksale von so vielen Menschen geht, die Angehörige oder ihr Zuhause verloren haben, die noch um vermisste Familienmi­tglieder bangen. Dreyer versucht, den Betroffene­n Kraft zu geben und gerät dabei selbst an die Grenzen ihrer körperlich­en Kräfte.

Die SPD-Politikeri­n leidet an Multipler Sklerose, einer chronische­n Erkrankung des zentralen Nervensyst­ems. Ihr Körper wird immer schwächer. Lange stehen kann sie nicht. Für größere Strecken weicht sie auf den Rollstuhl aus. Bei ihrem Besuch in Schuld bewegt sie sich zum Teil mit einem ElektroDre­irad. Obwohl ihr das Laufen schwerfäll­t, will sie vor Ort sein, will mit eigenen Augen sehen, was die Menschen durchmache­n.

1995 wurde die Krankheit entdeckt, lange bevor Dreyer Landesmini­sterin und 2013 sogar Ministerpr­äsidentin wurde. Damals war sie Bürgermeis­terin der Stadt Bad Kreuznach. Sie ging weiter ihren Weg, wollte kein Mitleid – und machte die Diagnose erst elf Jahre später öffentlich.

Wie in Nordrhein-Westfalen stellen sich auch in Rheinland-Pfalz die Fragen, ob man die Menschen besser vor der Flut hätte schützen können. Warum die Warnsystem­e nicht mehr Leben gerettet haben. Welche Lehren die Regierende­n aus dieser Katastroph­e ziehen werden. Aber Malu Dreyer versteht es besser als Armin Laschet, Empathie zu zeigen und den Bürgerinne­n und Bürgern das Gefühl zu geben, dass es ihr tatsächlic­h wichtig ist, diese Fragen zu beantworte­n. Sie stellt sich gemeinsam mit Merkel auf einer Pressekonf­erenz unter freiem Himmel auch der Verzweiflu­ng der Menschen vor Ort. Härter hätte der Kontrast zu den Bildern des Unions-Kanzlerkan­didaten Laschet kaum ausfallen können, der mit Parteifreu­nden gejuxt und gelacht hatte, während Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier über menschlich­e Tragödien sprach.

„Es ist total wichtig, dass wir nicht aus dem Blick verlieren, noch mehr für den Klimaschut­z zu tun, damit wir den Klimawande­l in den Griff bekommen“, sagt Dreyer. Kollege Laschet hatte in einem Fernsehint­erview beinahe beleidigt verkündet, dass die schockiere­nde Naturgewal­t, die wie aus dem Nichts über seine Landsleute hereingebr­ochen war, für ihn kein Anlass sei, seine Politik zu ändern.

Bei der Landtagswa­hl im März holte Malu Dreyer ein für SPDVerhält­nisse heutzutage phänomenal­es Ergebnis und wurde im Amt bestätigt. Alle waren sich damals einig, dass es vielmehr die Person als die Partei war, die da gewählt wurde. Die Menschen in RheinlandP­falz schätzen Dreyer als moderieren­de Landesmutt­er. Viele Sozialdemo­kratinnen und Sozialdemo­kraten hätten sich die 60-Jährige auch als Parteichef­in gewünscht. Oder sogar als Kanzlerkan­didatin? Dazu wird es nicht kommen. Auch wenn sie selbst ihre Krankheit nur ganz selten thematisie­rt, scheint Malu Dreyer zu spüren, dass ihre Kräfte endlich sind. Nicht nur in der momentanen Situation.

 ?? Foto: Christof Stache, dpa ?? Kanzlerin Angela Merkel und Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer beim Besuch des ver‰ wüsteten Ortes Schuld.
Foto: Christof Stache, dpa Kanzlerin Angela Merkel und Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer beim Besuch des ver‰ wüsteten Ortes Schuld.

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