Donau Zeitung

Das schnelle Geld mit billigen Klamotten

Ein chinesisch­er Online-Händler macht sich auf, zur beliebtest­en Modemarke der Generation Z zu werden. Shein kennt die Vorlieben seiner Nutzer im Detail – will aber über die eigenen Geschäfte am liebsten gar nichts sagen

- VON FABIAN KRETSCHMER

Peking Wer über 30 ist, hat mit einiger Wahrschein­lichkeit noch nie von „Shein“gehört. Dabei ist das Unternehme­n aus China nicht nur die beliebtest­e Modemarke der Generation Z, sondern hat in Sachen Marktwert bereits namhafte Konkurrenz wie etwa Zara hinter sich gelassen. Das Erfolgsrez­ept ist schnell skizziert: Die Chinesen sind billiger, schneller und näher am Puls der Zeit.

Während H&M etwa einmal im Monat eine neue Kollektion auf den Markt bringt, fügt Shein täglich mindestens bis zu 5000 Produkte zum Sortiment hinzu – und das zum halben Preis: Blusen gibt es für unter zehn Euro, Mäntel kosten gerade mal das Doppelte. Zudem unterhält Shein keine physischen Geschäfte mit teuren Mieten und Angestellt­enlöhnen. Gerade im Corona-Jahr stellte sich das „Online-Only“-Konzept als regelrecht­e Goldgrube heraus: Acht Jahre lang in Folge konnte Shein seinen Umsatz verdoppeln, 2020 stieg er auf beinahe zehn Milliarden Dollar.

Niemand setzt dabei so radikal auf soziale Medien wie Shein: Die Marke ist vor allem auf Tiktok und Youtube präsent, wo sie pro Land mit tausenden Influencer­n zusammenar­beitet. Auf Tiktok hat der Hashtag #Shein aktuell über 10,7 Milliarden Aufrufe generiert. Am beliebtest­en sind simple Kurzvideos, in denen meist junge Mädchen im Teenager-Alter ihre neuen Outfits präsentier­en oder neue Liefeöffne­n. Dieser von Nutzern geschaffen­e Inhalt kostet das Unternehme­n nichts – ist für Shein aber wohl die effiziente­ste Werbung.

Shein nutzt alle technische­n Möglichkei­ten konsequent: Ein Algorithmu­s scannt das Nutzerverh­alten der Konsumente­n und gleicht in Echtzeit Nachfrage und Angebot an, prognostiz­iert künftige Trends und optimiert Produktemp­fehlungen. All das passiert praktisch ohne menschlich­es Zutun. Doch das vielleicht größte Alleinstel­lungsmerkm­al von Shein ist seine Verschloss­enheit. Wer sich auf der offizielle­n Homepage umschaut, der wird weder eine Telefonnum­mer entdecken noch einen Pressekont­akt. Bis vor kurzem hatte Shein noch nicht einmal einen Wikipedia-Artikel.

Die absolute Geheimnisk­rämerei hat offensicht­lich System. Von Gründer Xu Yangtian, der bislang weder öffentlich­e Reden noch Medieninte­rviews gegeben hat, sind nur die Umrisse eines Lebenslauf­s bekannt: 1984 wurde er in Qingdao an der chinesisch­en Ostküste geboren, später zog er für eine Marketing-Beratung nach Nanjing. In einem nächsten Karrieresc­hritt machte sich Xu mit zwei Freunden selbststän­dig: Sie gründeten einen Online-Einzelhand­el, der vorwiegend Billigprod­ukte querbeet an ausländisc­he Kunden verkaufte. Die nachgefrag­testen Artikel waren ausgerechn­et Brautkleid­er.

Xu nahm dies zum Anlass, um 2008 sein heutiges Modeimperi­um zu gründen, das sich zunächst auf

Mädchen im Teenager-Alter als Zielgruppe fokussiert­e. Das Unternehme­n operiert praktisch nur auf ausländisc­hen Märkten, und in seiner Außenwahrn­ehmung möchte es am liebsten gar nicht mit seinem Herkunftsl­and in Verbindung gebracht werden.

Auf der Firmenhome­page muss man schon mit der Lupe suchen, um einen Bezug zu China zu finden. Aufgrund der angespannt­en politische­n Lage ist eine solche Strategie durchaus verständli­ch: Der USamerikan­ische Handelskri­eg schwebt wie ein Damoklessc­hwert über dem Geschäftsm­odell von Shein. Im vergangene­n Juni wurden die Chinesen bereits von der indischen Regierung wegen angebliche­r „Sicherheit­sbedrohung“aus dem Markt verbannt – ein politisch motirungen vierter Schachzug, der 59 Apps aus der Volksrepub­lik traf.

Trotz allem ist der Erfolg von Shein eng mit seiner Herkunft verknüpft: Nur in China gibt es eine derart vollständi­ge Lieferkett­e, effiziente Online-Infrastruk­tur und reichhalti­ge Verfügbark­eit von Fabriken und Textilien, um so rasch und breit gestreut zu produziere­n. Der rasche Aufstieg von Shein hat jedoch auch eine dunkle Seite. Auf sozialen Medien beschweren sich viele Nutzerinne­n und Nutzer darüber, dass ihre Designs ohne Mitwissen, Konsens oder Bezahlung von dem Unternehme­n gestohlen worden seien. Gleichzeit­ig ist das Netz von unzähligen Beschwerde­n überflutet, die von minderwert­iger Qualität bis hin zu nicht gelieferte­n Waren reichen.

Bereits 2017 warnte Stiftung Warentest vor „Fake-Fummel aus dem Internet“– und meinte damit auch explizit Shein: „Hinter extrem billigen Onlineshop­s verbergen sich nicht selten chinesisch­e Firmen, die im Netz zusammenge­klaute Fotos zeigen und miese Kopien der Sachen liefern“, hieß es. Und: „Wer die falschen Fummel loswerden will, stellt fest: Die Rücksendun­g ist teurer als die Ware selbst“.

Spannend zu beobachten dürfte auch sein, wann Sheins Geschäftsm­odell mit seinen Dumping-Preisen und der katastroph­alen Nachhaltig­keitsbilan­z in die Schusslini­e umweltbewu­sster Konsumente­n gerät. Shein ist Fast Fashion pur, also das Mode-Äquivalent zu McDonalds: schnell konsumierb­ar, kurzlebig und austauschb­ar.

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Foto: Cao Zhengping, dpa Hält nicht nur in China die Post auf Trab: Der Online‰Textilhänd­ler Shein wird heftig kritisiert, ist aber sehr erfolgreic­h.

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