Donau Zeitung

„Ich würde Curevac nicht abschreibe­n“

Der Naturwisse­nschaftler Wolfgang Klein war lange Jahre Finanzchef von Curevac. Wie er die Lage des Unternehme­ns nach dem Dämpfer bei der Impfstoffe­ntwicklung sieht, wo die Konkurrenz besser ist und in welchen Bereichen er noch große Chancen sieht

- Interview: Mirjam Moll

Herr Klein, von der großen Hoffnung auf einen Corona-Impfstoff made in Tübingen scheint nicht viel übrig zu sein. Hat sich Curevac übernommen? Wolfgang Klein: Das würde ich nicht sagen. Der Impfstoff steht kurz vor der Zulassung und die Daten sind so, dass das auch gelingen könnte. In Sachen Geschwindi­gkeit wäre das vor Corona als sensatione­ller Weltrekord gefeiert worden: Wenn Sie mir gesagt hätten, man kann innerhalb eines Jahres einen wirksamen Impfstoff auf den Markt bringen, hätte ich gesagt, das geht nicht. Curevac hat weniger etwas falsch gemacht, als dass andere etwas noch besser gemacht haben. Das Unternehme­n ist nicht das einzige, dessen erster Versuch eines Corona-Impfstoffs zu scheitern droht. Nur einer von zehn Wirkstoffe­n, gerechnet ab dem Beginn der klinischen Entwicklun­g, erreicht im Durchschni­tt die Marktzulas­sung. Bei Curevac waren selbst Wissenscha­ftler überrascht, die Erwartunge­n waren ganz andere.

Woran liegt es denn?

Klein: Sicherlich spielen die neuen Virusvaria­nten eine Rolle. Ich bin davon überzeugt, dass Curevac vor einem halben Jahr problemlos die Zulassung bekommen hätte, wer weiß, vielleicht nicht mit ganz so hohen Wirksamkei­tsdaten wie Biontech und Moderna. Denn auch bei diesen beiden Impfstoffe­n zeigt sich, dass sie nicht mehr ganz so gut gegen die Varianten wirken wie gegen das ursprüngli­che Virus.

Aber die Frage ist doch: Bringt ein schwacher Impfstoff überhaupt etwas? Klein: Ganz persönlich glaube ich, wir konzentrie­ren uns zu sehr darauf, keine Infektion zu bekommen. Kommt es nicht eher darauf an, dass wir schwere Verläufe bis hin zum Tod verhindern wollen? Denn da sind alle zugelassen­en Impfstoffe sehr wirksam, auch der noch nicht zugelassen­e von Curevac.

Hätte es früher einen entwicklun­gserfahren­en Partner gebraucht?

Klein: Das wäre hilfreich gewesen. Aber gute Pharma-Partner zu finden, kann durchaus ein bis zwei Jahre dauern. Biontech und Pfizer, wie schnell die beiden zusammenka­men, das ist wirklich ungewöhnli­ch für die Branche. Hinzu kommt: Curevac hat es im ersten Halbjahr 2020 deutlich stärker an Geld gefehlt als den anderen mRNA-Unternehme­n: Biontech hatte gerade Geld aufgenomme­n, Moderna war ohnehin immer sagenhaft gut finanziert.

Sicherlich haben die Führungswe­chsel bei Curevac ihr Übriges getan … Klein: Natürlich. Curevac-CEO Daniel Menichella war Anfang März beim damaligen US-Präsidente­n

Donald Trump zu Besuch. Kurz darauf war er nicht mehr CEO, Curevac-Gründer Ingmar Hoerr übernahm für wenige Tage, bis er wegen einer Blutung im Hirn auch ausfiel und der heutige CEO, Franz-Werner Haas, übernahm. Unter diesen schlechten Voraussetz­ungen war Curevac auf der Suche nach Investoren, während sich die Konkurrenz ausschließ­lich auf die Impfstoffe­ntwicklung konzentrie­ren konnte.

Hat Curevac noch eine Chance, mitzumisch­en auf dem Impfstoffm­arkt – Stichwort Virusvaria­nten?

Klein: Curevac ist gut aufgestell­t, um schnell auf neue Varianten zu reagieren. Der Weg von der Sequenz der neuen Variante bis zum neuen Impfstoff kann sehr kurz sein. Das ist bei der Konkurrenz nicht anders, Curevac hat mit der betriebsei­genen Roboterpro­duktion künftig vielleicht einen gewissen Vorteil, aber das macht nur Tage oder Wochen aus. Wenn man ein Grundgerüs­t des mRNA-Impfstoffs hat, das zugelassen ist und funktionie­rt, kann man schnell reagieren und auch mehrere Varianten in einem Impfstoff vereinen. Curevac muss jetzt eben dieses Grundgerüs­t bringen. Aber da ist das Unternehme­n mit Partner GlaxoSmith­Kline auf einem guten Weg.

Was passiert, wenn Curevac keine Zulassung bekommt? Stürzt die Aktie dann ins Bodenlose und macht Curevac damit handlungsu­nfähig?

Klein: Ich habe keine Glaskugel. Mein Eindruck ist, Curevac ist gut aufgestell­t, hat langfristi­g denkende Investoren. Es werden nicht alle das Schiff verlassen, weil es vermeintli­ch sinkt. Die direkte Konkurrenz hat jetzt allerdings schon Milliarden verdient und kann investiere­n in die Weiterentw­icklung der mRNATechno­logie. Trotzdem würde ich Curevac nicht abschreibe­n.

Der Bund hält 16 Prozent der Anteile von Curevac – ist das gut oder schlecht? Sollte der Staat sich finanziell an solchen Unternehme­n überhaupt beteiligen?

Klein: Der Staat sollte, und das schreibe ich in meinem Buch „Die CureVac Story“, Rahmenbedi­ngungen schaffen, dass andere gerne investiere­n und er dann nicht selbst investiere­n muss. Denn privates Geld gibt es viel mehr. Damit es hierherkom­mt oder hierbleibt und in Sprunginno­vationen investiert, müssen wir es diesem Geld für diesen Zweck angenehm machen. Sonst werden transforma­tive Technologi­en in den USA oder China entstehen und auch dort ihre segensreic­he

Wirkung hinsichtli­ch Arbeitsplä­tzen, Wohlstand und sozialer Sicherung entfalten. Ein Beispiel: Wir lassen gerade das Zeitalter des Verbrennun­gsmotors hinter uns. Das hat uns lange getragen, die ganze Wirtschaft. Aber jetzt kommt nichts nach, das ähnlich tragfähig wäre, und wir verlieren in vielen Bereichen den Anschluss.

Hätte der Bund mit Blick auf China früher in die Branche investiere­n müssen?

Klein: Da bin ich skeptisch. Das Investment des Bundes war begleitet von Beteuerung­en Altmaiers, dass der Staat nicht der bessere Investor ist. Vielmehr hat die Bundesregi­erung die Notwendigk­eit gesehen wegen der akuten Notlage und des internatio­nalen Wettbewerb­s: Weil dort – vor allem in den USA – verzerrt wurde, wurde hier nachgezoge­n. Eine gute langfristi­ge Strategie ist das nicht, im Zweifel wird das Falsche gefördert.

Wolfgang Klein studierte mit Curevac‰Gründer Ingmar Hoerr und war von 2002 bis 2010 Finanz‰ und Personalch­ef der Firma.

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Foto: dpa Bayer ist Partner für die Produktion des Curevac‰Impfstoffs.
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