Ende eines langen PipelineStreits
Joe Biden gibt den Widerstand gegen die Fertigstellung von Nord Stream 2 auf. Ein Kompromiss sieht Hilfen für die Ukraine und Sanktionsdrohungen gegen Russland vor
Washington Der jahrelange Streit zwischen den USA und Deutschland über die Ostseepipeline Nord Stream 2 steht vor der Beilegung. Die Top-Diplomatin Victoria Nuland aus dem US-Außenministerium sagte am Mittwoch bei einer Anhörung im Kongress in Washington, Deutschland habe sich in der Einigung unter anderem zu Maßnahmen verpflichtet, „sollte Russland versuchen, Energie als Waffe einzusetzen oder weitere aggressive Handlungen gegen die Ukraine zu begehen“. Das schließe mögliche Sanktionen ein.
In der Vereinbarung mit den USA zur Auflösung des Streits um die Gaspipeline Nord Stream 2 verspricht Deutschland der Ukraine zusätzliche Finanzhilfen in Höhe von gut 200 Millionen Euro. Mit rund 70 Millionen Euro will Berlin Projekte in der Ukraine im Bereich der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz fördern, wie es in der am Mittwochabend veröffentlichten Vereinbarung heißt. Mittelfristig wollen die USA und Deutschland einen Fonds mit mindestens einer Milliarde US-Dollar einrichten, um Investitionen in die Energiewende und Energiesicherheit der Ukraine zu finanzieren.
Außenminister Heiko Maas begrüßte den Durchbruch in dem Jahre langen Streit um die Gaspipeline. „Bin erleichtert, dass wir in Sachen Nord Stream 2 mit den USA eine konstruktive Lösung gefunden haben», schrieb der Minister am Mittwoch auf Twitter. „Wir werden die Ukraine beim Aufbau eines grünen Energiesektors unterstützen und uns dafür einsetzen, den Gastransit durch die Ukraine im nächsten Jahrzehnt zu sichern“, erklärte der SPD-Politiker.
Nach amerikanischen Medienberichten will die Biden-Regierung dauerhaft auf Sanktionen gegen das Projekt verzichten. „Die Deutschen haben nützliche Vorschläge eingereicht und es ist uns gelungen, Fortschritte zu machen“, sagte der amerikanische Außenamtssprecher Ned Price. Die inzwischen fast fertiggestellte, 2460 Kilometer lange Pipeline vom russischen Wyborg nach Greifswald belastet schon seit den Obama-Jahren die deutsch-amerikanischen Beziehungen. Republikaner und Demokraten in den USA sehen in der Leitung, die jährlich 55 Milliarden Kubikmeter Gas an der Ukraine und Polen vorbei in die Europäische Union leiten soll, eine Bedrohung der europäischen Energiesicherheit und eine fragwürdige Einnahmequelle des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Außerdem hat Washington ein Eigeninteresse am Export von amerikanischem Flüssiggas nach Deutschland.
Auch Präsident Joe Biden hält Nord Stream 2 nach eigenen Worten für eine „schlechte Idee“, hatte neue
Sanktionen des Kongresses gegen die russische Betreibergesellschaft und ihren deutschen Chef Matthias Warnig im Mai jedoch vorläufig ausgesetzt, um die Beziehungen zu Berlin als wichtigem Verbündeten nicht zu belasten. Seither suchen Berlin und Washington fieberhaft nach einem Kompromiss, bevor im September erneut Strafmaßnahmen des US-Parlaments drohen.
Gleichzeitig bemühen sich die USA, die schärfsten Pipeline-Kritiker Polen und Ukraine zu beruhigen: Ein Vertreter des State Departments ist deswegen in beide Länder gereist. Voraussichtlich Ende des Monats will Biden den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der vorige Woche auch in Berlin zu
Gast war, im Weißen Haus empfangen.
Nach Informationen der Nachrichtenagentur Bloomberg und des Wall Street Journal soll mit der deutsch-amerikanischen Einigung auch sichergestellt werden, dass die Ukraine auch in Zukunft jährlich rund drei Milliarden Dollar Transitgebühren erhält, die Russland bislang zahlt. Der zugrunde liegende Vertrag läuft jedoch 2024 aus. Es ist unklar, wie die angestrebte Fortsetzung der Zahlung um weitere zehn Jahre erreicht werden soll.
Politisch brisant ist vor allem die Frage, was passiert, wenn Moskau die Pipeline als politische Waffe nutzt und beispielsweise der Ukraine den Gashahn zudreht. Berlin hatte einen automatischen „Notschalter“zur Stilllegung der Röhre abgelehnt.
Im Kongress riskiert der Präsident damit viel
Nun sagt die Bundesregierung für diesen Fall offenbar unbestimmte Strafmaßnahmen gegen Russland zu. Kanzlerin Angela Merkel hatte bereits in der vergangenen Woche bei ihrem Besuch in Washington gedroht, „dass wir aktiv handeln werden, wenn Russland dieses Recht der Ukraine nicht einlösen wird“. Sie weigerte sich aber, konkreter zu werden.
Es erscheint unwahrscheinlich, dass diese Vereinbarungen die Kritiker aus beiden Parteien beruhigen werden, denen Biden im Kongress gegenübersteht. Der demokratische Senator Bob Menendez hatte schon die vorläufige Aussetzung der Sanktionen im Mai scharf kritisiert. Besonders aggressiv gibt sich der republikanische Senator Ted Cruz, der seit Wochen aus Protest gegen Nord Stream 2 die Bestätigung wichtiger Botschafter und Spitzenbeamter des State Departments blockiert. So könnte Biden einen hohen innenpolitischen Preis für den Deal mit Berlin zahlen müssen. Auch seine Kandidatin für den Botschafterposten in Deutschland, Amy Gutmann, ist noch nicht vom Kongress bestätigt.