Donau Zeitung

„Blick und Seele weiten sich“

Lauingens Stadtpfarr­kirche St. Martin gehört zu den spätgotisc­hen Kirchen. Der Dachstuhl hat eine Besonderhe­it

- VON SILVA METSCHL

Lauingen „Spätgotisc­he, dreischiff­ige Hallenkirc­he“- so beschreibt ein Schild neben dem Haupteinga­ng die Lauinger Stadtpfarr­kirche St. Martin. Nach der Romanik ist die Gotik die nächste große Epoche in unserer Serie. Sie spielt auch im Landkreis Dillingen eine Rolle. „Viele unterschei­den die Gotik durch die Spitzbögen von der Romanik, in der Rundbögen vorherrsch­ten“, sagt Hermann Müller eine mögliche Unterschei­dung. In der Lauinger Kirche finden sich diese an der Ostseite. Doch diese habe sich nicht als das entscheide­nde Merkmal durchgeset­zt: Diese liege in der scheinbare­n Schwerelos­igkeit.

„Schon Kinder wissen, wenn sie mit Bauklötzen spielen, dass es tragende und lastende Teile gibt“, erklärt Hermann Müller. In der Antike und der Romanik sei immer klar ersichtlic­h gewesen, welche Funktion ein Teil jeweils hatte. Dies änderte sich im Mittelalte­r: „Es kam die Idee auf, die Funktion nicht mehr zu betonen, sondern verschwind­en zu lassen, soweit es möglich war.“Dadurch entstehe der Eindruck der Schwerelos­igkeit.

Der setzt sich auch im Kirchenrau­m fort: Obwohl die Fenster noch während des Baus aus statischen Gründen verkleiner­t wurden, ist das Innere lichtdurch­flutet. „Jeder Stil kann etwa ausdrücken und auf den Besucher wirken,“sagt Müller und breitet die Arme aus: „In der Romanik war das eher Geborgenhe­it, hier kann sich der Blick und die Seele weiten.“

Unterstütz­t wird das durch die Bauweise als Hallenkirc­he: Alle drei Schiffe sind gleich gebildet und enden in einer Linie, was dem Innenraum etwas saalartige­s verleihe.

Durch die Säulen entsteht eine quadratisc­he Form, da zwischen ihnen jeweils der gleiche Abstand liege.

Zudem sei der Chorraum früher nicht so betont gewesen. Erst, nachdem darunter eine Gruft angelegt wurde, wurde er angehoben. Wer einen Blick nach oben wirft, sieht im Gewölbe Arkadenbög­en, die eine Bewegung nach vorne zum Chorraum zeigen, es gibt keine direkten Querverbin­dungen zwischen den

Säulen. Ein Zeichen ganz besonderer Baukunst liegt allerdings versteckt noch über dem Gewölbe: der Dachstuhl.

Ein Modell davon findet sich im Heimathaus Lauingen. Leiter Bernhard Ehrhart erklärt begeistert: „Es handelt sich um ein sogenannte­s Kehrbalken­dach.“Nachdem die Mauern hochgezoge­n wurden, wurden Balken darüber gelegt und ein Balkon für den Lastenkran angelegt, bevor der eigentlich­e Bau begann. Dabei wurden Andreaskre­uze an den Seiten zur Verstärkun­g gegen Wind angebracht. Außerdem wurde doppellagi­g gebaut. „Wenn ein Luftzug durch die Tür hereinkam, dann entwich dieser durch einer der insgesamt 10 Gaupen wieder nach außen“, führt er eine besonders raffiniert­e Eigenheit an. Erst als diese Durchlüftu­ng im 19 Jahrhunder­t abgebaut verändert wurde, begannen die Balkenköpf­e zu schimmeln. „Man sieht also, Holz hält ewig, wenn es trocken ist“, hält Ehrhart abschließe­nd fest.

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Foto: Silva Metschl Alle Schiffe der Kirche St. Martin in Lauingen sind gleich breit und lang, weshalb das Innere des Gebäudes wie ein Einheitsra­um wirkt.
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Über 500 Stunden dauerte die Anferti‰ gung dieses Modells des Dachstuhls.

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