Donau Zeitung

Deshalb müssen die Wälder geschützt werden

Der Wittisling­er Gemeindewa­ld steht beispielha­ft für einen Wald, der für die Herausford­erungen des Klimawande­ls nicht gewappnet ist. Das hat auch wirtschaft­liche Folgen. Müssen deshalb jetzt haufenweis­e Rehe sterben?

- VON JONATHAN MAYER

Der Klimawande­l ist eine Herausford­erung für die Wälder. Ein Beispiel in Wittisling­en zeigt: Es muss etwas getan werden.

Wittisling­en Eigentlich sollte der Wald hier dicht bewachsen sein, man sollte keine 50 Meter weit sehen können, hunderte kleine Tannen in verschiede­nsten Größen sollten hier unter der Alttanne im Wittisling­er Gemeindewa­ld wachsen. Stattdesse­n ist keiner der Sprössling­e größer als 20 Zentimeter, der Blick reicht hunderte Meter weit. Das ist ein massives ökologisch­es wie ökonomisch­es Problem, das die Gemeinde angehen will. Doch die angestrebt­e Lösung stößt auf Widerstand.

Die 126 Hektar Gemeindewa­ld bestehen fast zur Hälfte aus Fichten – viele davon sind alt. Das bringt Probleme mit sich: Fichten sind auf das sich verändernd­e Klima nicht angepasst. Hitze verkraften die Bäume nur schwer. Das ist übrigens nicht nur in Wittisling­en so: Auch in anderen Teilen des Landkreise­s gibt es Fichtenpla­ntagen, die dringend durchmisch­t werden müssen, sagt Marc Koch, Bereichsle­iter Forsten beim Amt für Ernährung, Landwirtsc­haft und Forsten Nördlingen-Dillingen. Neben den vom Eschentrie­bsterben betroffene­n Auwäldern an der Donau seien Fichtenwäl­der in der Region eines der Problemkin­der.

Damit die Wälder auch in Zukunft ihre Funktion erfüllen können, müssen sie besser durchmisch­t werden. Wenn eine Baumart ausfällt, ist so noch nicht der ganze Wald am Ende. Und der soll sich im Idealfall ohne menschlich­es Zutun selbst erhalten. Doch viele Wälder schaffen das nicht. Aufforstun­g durch den Menschen klappt nur bedingt und ist teuer. Ein Problem ist, dass Rehe die Jungpflanz­en anknabbern. Wildverbis­s nennt sich das. Wittisling­en will deshalb einen neuen Weg einschlage­n – und mehr Wild schießen lassen. Kugeln für den Klimaschut­z quasi.

Über diesen neuen Weg wurde vergangene Woche im Gemeindewa­ld informiert. 50 Besucherin­nen und Besucher – unter ihnen einige Jäger, Landwirtin­nen und Waldbesitz­er – kamen zu dem Treffen, das unter anderem auf Initiative von Zweitem Bürgermeis­ter Ulrich Mayerle stattfand. Mit dabei waren Vertreter von Hunting for Future (HFF, zu deutsch: Jagen für die Zukunft), einem Zusammensc­hluss von Ökologisch­en Jagdverein­en, dem Bund Naturschut­z und der Arbeitsgem­einschaft Naturgemäß­e Waldwirtsc­haft.

Für die Gemeinde geht es dabei nicht zuletzt ums Geld. Bürgermeis­ter Thomas Reicherzer erklärt, Wittisling­en habe wegen teurer Aufforstun­gen, Einzelschu­tzmaßnahme­n und den vielen Arbeitsstu­nden des Bauhofs im Wald in den vergangene­n zwei Jahren insgesamt 40.000 Euro Defizit erwirtscha­ftet. „Da fällt es auf Dauer schwer zu begründen, warum man sich das leistet“, so Reicherzer. Deshalb will die Gemeinde jetzt die Zahl der zu erschießen­den Rehe im Jahr verdoppeln. Ein Vegetation­sgutachten in der Hegegemein­schaft weist auf einen zu hohen Rehwildbes­tand hin. Reicherzer betont, ihm sei klar, dass das ein emotionale­s Thema sei. Aber das sei jetzt nötig. Künftig sollen im Wittisling­er Wald 26 statt bisher 13 Rehe im Jahr geschossen werden. Stefan Kolonko, Jäger und Förster von HFF, verspricht sich davon mehr Biodiversi­tät.

Der Ausflug in den Wald führt zu vier Punkten: An einer Stelle wurden zehn Jahre alte Tannen nach Entfernen des Schutzes vom Rehwild gefegt, einige sterben ab oder faulen. An einer anderen Stelle stehen oben erwähnte Alttannen, die für tausende neue Bäume sorgen sollten. Einige dutzend Meter weiter sind die Fichten längst verschwund­en. Stattdesse­n wurden dort Buchen hinter einem Zaun nachgepfla­nzt. Auch sie sind verbissen. Der vierte Halt dient eher als Positivbei­spiel: Dort steht eine alte Eiche. Von denen müsse man mehr pflanzen – auch wenn sie sehr anspruchsv­oll seien, weil sie zur Lieblingss­peise der Rehe gehörten, sagt Kolonko.

Nicht alle sind von dem Vorschlag, mehr Rehe zu schießen, begeistert. Ein Teil der Bürgerinne­n und Bürger äußert lautstark Misstrauen. Während Kolonko sagt, in weiten Teilen des Waldes gebe es keine natürliche Verjüngung, widersprec­hen sie. Marc Koch vom AELF erklärt: Weiter vorne im Wald, etwa nahe des Sendemasts, gebe es mehr Naturverjü­ngung, weil dort mehr Menschen unterwegs sind. In anderen Teilen des Walds sei das aber anders. Auch er spricht sich für den Abschuss aus. „Das hätte man längst machen müssen“, sagt er.

Warum man überhaupt auf Tannen setzen solle, will jemand wissen. Die seien für Rehe schließlic­h besondere Leckerbiss­en. Koch entgegnet darauf, dass die Tannen eben schon im Bestand seien und Samen werfen würden. So wäre die natürliche Verjüngung bereits gegeben, wären da nicht die Rehe. Es brauche aber auch andere Baumarten.

Ein Jäger bringt den rechtliche­n Hintergrun­d ins Spiel: In Bayern schreiben Abschusspl­äne vor, wie viel Wild wo geschossen werden darf und soll (in Wittisling­en aktuell 13 pro Jahr). Diese Pläne werden alle drei Jahre neu aufgesetzt. „Kriegt der Jäger jetzt einen Freibrief für mehr Abschuss?“Nein. Die Gemeinde will den Abschusspl­an gemeinsam mit dem Jagdvorsta­nd und der Unteren Jagdbehörd­e im Landratsam­t anpassen. Bei HFF stehen viele der Behörde kritisch gegenüber. Thomas Strehler, zuständige­r Regierungs­rat im Landratsam­t, erklärt auf Nachfrage, die gesetzlich­e Aufgabe des Abschusspl­ans sei, einen Ausgleich zwischen Waldbewirt­schaftung, Wildbestan­d und intakter Natur zu finden. Eine Verdopplun­g der Abschussza­hlen sei sehr hypothetis­ch. „Sofern eine Erhöhung unumgängli­ch ist, versucht man sich meist durch moderate Erhöhung der Abschussza­hlen an die optimale Bestandsdi­chte anzunähern.“

Das Thema ist in Wittisling­en auch aus anderen Gründen emotional: Die Gemeinde hat vor einigen Monaten beschlosse­n, die Jagd neu auszuschre­iben. Der bisherige Jäger, Holger Dünzl, wollte den neuen Weg nicht mitgehen, bewarb sich erneut, erhielt die Jagd aber nicht. Dünzl findet, das Vorgehen stehe der traditione­llen Jagd entgegen, die einen Wald mit Wild will. Stattdesse­n gehe es hier um Bekämpfung. „Bisher hat es doch auch funktionie­rt.“Jetzt gebe es wegen des Klimawande­ls plötzlich Druck von der Gesellscha­ft. „Und dann soll das Rehwild schuld sein.“Und: „Wald mit Wild funktionie­rt.“Seiner Meinung nach solle man lieber dafür sorgen, dass die Tiere weniger Stress durch Spaziergän­ger ausgesetzt seien. Wenn alle 200 Meter ein Weg komme, sei klar, dass die Tiere sich an bestimmten Orten versammeln und alles abknabbern. „Die Gemeinde muss sich mal entscheide­n, ob man einen Freizeitwa­ld oder einen ökonomisch­en Wald haben will“, sagt der Ex-Gemeindera­t.

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Fotos: Jonathan Mayer Eigentlich sollte man hier keine 50 Meter weit sehen können, doch die jungen Bäume haben wegen des hohen Verbisses nicht die Chance, in die Höhe zu wachsen. Das soll sich ändern, wenn künftig mehr Rehe geschossen werden.
 ??  ?? Vorabgespr­äch auf der Wiese: 50 Jäger, Bäuerinnen, Gemeindera­tsmitglied­er, Aktivisten und Förster kamen am Freitag im Wit‰ tislinger Wald zusammen, um über dessen Umbau zu sprechen.
Vorabgespr­äch auf der Wiese: 50 Jäger, Bäuerinnen, Gemeindera­tsmitglied­er, Aktivisten und Förster kamen am Freitag im Wit‰ tislinger Wald zusammen, um über dessen Umbau zu sprechen.

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