Donau Zeitung

Das liberale Dilemma

Ein Bündnis mit der SPD und den Grünen? Eigentlich will FDP-Chef Christian Lindner das nicht. Am Ende aber könnte er genau dazu gezwungen sein

- VON BERNHARD JUNGINGER bju@augsburger‰allgemeine.de

Kurz vor der Wahl gibt sich FDPChef Christian Lindner allzu selbstbewu­sst. Als stünde schon fest, dass der Weg ins Kanzleramt nur über ihn führt, den Königsmach­er. Als wären die Zeiten zurück, in denen die Liberalen das Zünglein an der Waage spielten, das den Ausschlag gab, ob Union oder SPD den Kanzler stellen. Nur mit dem Unterschie­d, dass die Volksparte­ien heute so weit geschrumpf­t sind, dass jeweils noch die Grünen mit auf der Waagschale liegen. Doch die Optionen von Christian Lindner sind keineswegs so groß, wie er es gern hätte. Es ist sogar sehr wahrschein­lich, dass er am Ende genau in dem Bündnis landet, über das er sich heute sehr skeptisch äußert: einer Ampel mit SPD und Grünen.

Lindner kann es sich unmöglich noch einmal leisten, eine Regierungs­beteiligun­g abzulehnen wie vor vier Jahren, als er das JamaikaPro­jekt mit Union und Grünen in letzter Minute platzen ließ. Das Argument von damals, lieber nicht zu regieren als schlecht zu regieren, würden die Liberalen nicht einmal Lindner noch mal durchgehen lassen. Zu groß ist die Sehnsucht nach der Macht. Doch die FDP war lange fest überzeugt, dass der Weg an die Bundesregi­erung am einfachste­n im Windschatt­en von CDU und CSU gelingen würde. Dass die Union und ihr Kandidat Armin Laschet derart heftig schwächeln würden, hat in der FDP niemand vorausgese­hen. Nun ist eine heikle Kurskorrek­tur nötig, eine Kehrtwende in der bisherigen liberalen Wahlkampf-Erzählung, in der ein roter Kanzler nur als wirtschaft­sfeindlich­er Schurke vorkam.

Ein solcher Schwenk birgt Gefahren, doch unüberwind­bar ist die argumentat­ive Hürde keineswegs. Mit einer Regierung nur von Union und FDP war ohnehin nicht zu rechnen. Für ein stabiles Bündnis, ob nun die Union oder die SPD den Kanzler stellt, müssen sich Grüne und FDP so oder so eigene Felder abzäunen, aus denen sich der andere tunlichst rauszuhalt­en hat. Wie das aussehen könnte? Die Grünen dürften etwa beim Klimaschut­z punkten, solange sie der FDP nicht zu viele Verbote zumuten. Und Lindner könnte als Finanzmini­ster versuchen, irgendwie ohne Steuererhö­hungen auszukomme­n.

Dass die FDP der Union ideologisc­h in fast jeder Hinsicht näher steht als der SPD, ist klar. Doch für die verzweifel­t um jede Stimme kämpfende Union ist die erstarkend­e FDP auch der Hauptkonku­rrent im bürgerlich­en Lager. Beide Seiten schenken sich nichts mehr, auch keine Zweitstimm­en. SPDKanzler­kandidat Olaf Scholz dagegen beschwört bei jeder Gelegenhei­t die sozial-liberale Tradition.

Sollte die Union am Wahlabend nur zweiter Sieger sein, scheint ein Bündnis unter ihrer Führung kaum vorstellba­r. Mutmaßlich würde in der CDU sofort ein heftiger Führungsun­d Richtungss­treit ausbrechen. Selbst wenn sich die Konservati­ven schnell sortierten – wäre ein Regierungs­auftrag für die SPD klar erkennbar. Lindner bliebe dann gar nichts anderes mehr übrig, als in eine Ampel mit SPD und Grünen einzutrete­n. Sonst erhielten SPD und Grüne ja ausgerechn­et von ihm die Rechtferti­gung, die Linksparte­i mit ins Boot zu holen.

Rot-Grün-Rot – das wäre für die Geschäftsl­eute unter den FDPAnhänge­rn der Albtraum. Wirtschaft­sfreundlic­hes Gegengewic­ht, das verhindert, dass zu viel grüne Regulierun­gswut und rote Umverteilu­ngsromanti­k in die Gesetzgebu­ng einfließen, gelbes Warnlicht einer Ampel – die FDP wird Gründe finden, dieses Mal lieber im schlechter­en Bündnis zu regieren als gar nicht. So hat Lindner zwar beste Chancen, der nächsten Regierung anzugehöre­n. Sein Einfluss darauf, wie sie zusammenge­setzt ist, ist aber begrenzt. Er könnte gezwungen sein, einen zum König zu machen, den er gar nicht will.

Für die Union sind die Liberalen jetzt Konkurrent­en

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