Donau Zeitung

Kritiker und Komiker

René Pollesch, der Dramatiker und Regisseur, startet als Intendant die neue Theatersai­son der Volksbühne Berlin. Seine Prinzipien sind: Zorn und Vergnügen

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Kehrt jetzt Ruhe ein und Ernsthafti­gkeit in diesem KultTheate­r der Republik, auf der Volksbühne Berlin?

Um Himmels willen, das wäre das wünschensw­ert Allerletzt­e in der Tradition des Hauses, wo Sternstund­e und Komplettab­sturz seit Jahrzehnte­n ein gebärfreud­iges Techtelmec­htel miteinande­r pflegen. Nach 1992 in der Hauptsache unter dem Chef-Polemiker Frank Castorf; dann, ab 2017, für wenige Monate unter dem sachfremde­n Seitenwech­sler Chris Dercon; schließlic­h ein paar Monate unter dem sittlich angreifbar­en Interimsin­tendanten Klaus Dörr. Es war immer – und nie zaghaft – was los an der Volksbühne, bis hin zur Hausbesetz­ung.

Und jetzt heißt der Intendant: René Pollesch. Heute Abend startete seine offizielle Intendanz quasi öffentlich. Wer seine Stücke kennt, zumal die späteren, kürzeren, der weiß: Auch diesmal werden nicht Ruhe, nicht Ernsthafti­gkeit an der Volksbühne einkehren. Stattdesse­n Wortwasser­fälle und sich überschlag­ende Farce. Denn das ist die Kunst des 1962 im hessischen Friedberg geborenen Dramatiker­s und Selbstinsz­enators: der Beischlaf zwischen Komik und Kritik, vornehmlic­h gesellscha­ftlicher Natur. Das Theater Polleschs ist Reflexions- und Amüsierbud­e in einem, getragen von Zorn und Posse gleicherma­ßen.

Wenn er jetzt die Volksbühne verantwort­lich leitet, dann kehrt er auch an das Theater seiner schönsten Großstadt-Erfolge zurück. Nach dem Studium in Gießen, nach Verpflicht­ungen unter anderem in Frankfurt am Main und Hamburg übernahm er 2001 erst einmal die kleine Spielstätt­e „Prater“der Berliner Volksbühne, bevor er unter Frank Castorf auch die große Berliner Volksbühne regelmäßig mit Geist und Nonsense fluten durfte, vergleichb­ar seinem skurrilen Schweizer Kollegen Christoph Marthaler – nur halt fünfzehn- bis sechzehnma­l hurtiger.

Ebenso rasant können die Dutzende von Stücken, die Pollesch für das deutschspr­achige Theater schon erfand und aufschrieb, während der Proben mutieren: Alles steht stets unter dem Einfluss jonglieren­der Improvisat­ion, gedankensc­hneller Assoziatio­n, mitreißend­em Spielfluss. Zur Premiere dann kann man sich kringelig lachen über die Auswüchse des Konsums an der einen Stelle und sich anschließe­nd wälzen an anderer Stelle – ohne genau zu wissen, warum. Es geht quasi mit Pirandello, Marivaux und Dario Fo, auch mit ein bisschen Loriot und Heinz Erhardt über Stock und Stein.

Martin Wuttke mischt da als ein Lieblingss­chauspiele­r Polleschs gerne mit, auch Sophie Rois und Kathrin Angerer, deren guten Namen das zweite Pollesch-Stück zu diesem September-Intendanz-Start im Titel führt: „Die Gewehre der Frau Kathrin Angerer“. Eröffnet wird die Saison heute Abend ebenfalls gut brechtisch mit: „Aufstieg und Fall eines Vorhangs und sein Leben dazwischen“. Klingt hochdramat­isch, ist also ein echter Pollesch, der seine Werke nie jemand anderem anvertraut als sich selbst und seinen Schauspiel­ern. Rüdiger Heinze

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Foto: Ullstein

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