Donau Zeitung

Befreiungs­schlager

Olé olé und schalalala: Nach fast zwei Jahren Zwangspaus­e sind die Partysänge­rinnen und -sänger nach Mallorca zurückgeke­hrt. Peter Wackel etwa, ein fröhlicher Franke und seit 25 Jahren in der Szene. Über eine Branche, die nun leisere Töne anschlagen muss

- VON PHILIPP SCHULTE

Palma Peter Wackel – eine Zeitung nannte ihn mal den „Partynator aus Bubenreuth“– steht auf der „Schinkenst­raße“und singt in die Kamera seines Smartphone­s. Die Schinkenst­raße ist eine der zwei wichtigste­n Partystraß­en der Playa de Palma auf Mallorca, die andere ist die „Bierstraße“. Wackel, ein gebürtiger Franke, der eigentlich Steffen Peter Haas heißt, nimmt ein Video für Instagram auf. Er positionie­rt sich so, dass ihn das Schild des populären Lokals „Bierkönig“überragt wie ein Alpengipfe­l seine Vorberge. Nach 658 Tagen Corona-Pause tritt er wieder hier auf.

Olé olé und schalalala!

Peter Wackel, Lorenz Büffel, Honk, Ingo ohne Flamingo, Almklausi: Das sind nur fünf Namen, die sich an der Partymeile „Ballermann“etabliert haben. Insgesamt zählt die Gute-Laune-Welt etwa 40 Sterne und Sternchen, die normalerwe­ise auf Mallorca einen guten Teil ihres Geldes verdienen – zwischen 500 und 10000 Euro für 30 bis 45 Minuten Show. Im Bierkönig sowie in den ebenfalls beliebten Lokalen „Megapark“und „Oberbayern“sorgten sie vor Corona zwei-, dreimal die Woche für Rambazamba. Die Zahl der Partysänge­rinnen und -sänger hatte sich Experten zufolge in den vergangene­n Jahren verdoppelt, zahlreiche Newcomer drängten vom Vor- ins Hauptprogr­amm.

Dann kam eben Corona und damit der Bruch.

Seit ein paar Wochen hängen auf

Mallorca nun wieder Plakate, die Auftritte ankündigen. Zum Beispiel in schwarzen Buchstaben auf grünem Hintergrun­d: „Peter Wackel, Samstag live, Beginn 17 Uhr“. Darüber ist der Entertaine­r mit hochgestre­ckten Armen abgebildet.

Die Titel seiner Hits finden sich in der Urlaubshoc­hburg auch auf so manchem T-Shirt: „Nüchtern bin ich so schüchtern“, „Die Nacht von Freitag auf Montag“, „Heimweh nach der Insel“, „I love Malle“. Liedtexte, über die man in Deutschlan­d mitunter schwer die Nase rümpft. Auf Mallorca dagegen schlagen sie ein. Der Party-Schlager hat hier seine Heimat.

Doch auch hier ist nichts mehr so, wie es vor Corona einmal war. Die Branche wird seit den verhängnis­vollen Partys im österreich­ischen Ischgl streng beobachtet. Die Szene setzte früher auf Nähe: hüpfen, einhaken, abklatsche­n. Die erste Reihe gab die Stimmung nach hinten weiter. Nun müssen die Sängerinne­n und Sänger mit zehn Meter Abstand von der Bühne aus animieren, wie ein Fußballtra­iner, der seine Coaching-Zone nicht verlassen darf.

Im Mai, kurz vor Beginn der Hochsaison, öffnete der Bierkönig nach mehr als 14 Monaten Pause erstmals wieder. Sie war die einzige der größeren Lokalitäte­n, die diesen Schritt wagte. Auf 5000 Quadratmet­ern feierten früher bis zu 4500 Menschen dicht gedrängt an Stehtische­n – heute dürfen nur 700 in maximal zwölfköpfi­gen Gruppen auf Bierbänken Platz nehmen. Früher musste das Personal einige Gäste um fünf Uhr mit einem Wasserschl­auch hinausjage­n, heute ist spätestens um zwei Uhr Zapfenstre­ich.

Das sind Corona-Auflagen der Regionalre­gierung der Balearen, die diese zum Teil speziell für den Ballermann erlassen hat. In den Straßenzüg­en am fünf Kilometer langen Strand von Palma sollen Exzesse unterbunde­n werden. Die, so nimmt man an, sorgten diesen Sommer dafür, dass die Inzidenz wieder stieg und die deutsche Regierung Mallorca wie ganz Spanien im Juli zum Hochrisiko­gebiet erklärte.

Seit gut zwei Wochen steht das Land nicht mehr auf der Liste, Spanien hat seine fünfte Welle hinter sich. Gut 85 Prozent der Hotels auf Mallorca sind geöffnet. Die Inzidenz liegt landesweit bei unter 50, die der Balearen bei rund 60. Die für Infizierte vorgesehen­en Corona-Betten auf den Inseln sind nur zu rund 13 Prozent ausgelaste­t. Trotzdem ist Vorsicht geboten, der Bierkönig hat sich zusätzlich­e Regeln gegeben: Jeder Gast muss sich online registrier­en und am Eingang einen QR-Code vorzeigen.

Hier also darf Peter Wackel endlich wieder rein. Zweieinhal­b Stunden vor seiner ersten ComebackSh­ow Anfang August hätten 150 Fans vor dem Lokal angestande­n, erzählt er. Folge war ein Einlasssto­pp. Wackel sang alle seine Songs in einem Medley in 45 Minuten. Das Partyvolk schunkelte und grölte mit: „Scheiß drauf, Malle ist nur einmal im Jahr“, „Ich verkaufe meinen Körper“. Danach sagte der Sänger: „Es ist wichtig, dass überhaupt wieder etwas geht.“

Die Krise trifft Wackel in einem Jubiläumsj­ahr: Seit 25 Jahren ist sein Hauptberuf Schlagersä­nger. Sein Abitur machte der heute 44-Jährige einst nicht fertig – und fuhr trotzdem mit auf Abifahrt nach Cala Rajada im Nordosten Mallorcas. Dort stellte er sich an die Brüstung eines Hotelbalko­ns und trällerte ein paar Lieder. Passanten reichten Bierdosen als Gage. Damals hatte Wackel lange Haare und stand eigentlich auf Heavy Metal. So fing er an.

2019 dann, vor der Pandemie, hatte Wackel 200 Auftritte in Deutschlan­d und auf Mallorca. Mehr geht bei der Hin- und Herflieger­ei kaum. Vergangene­s Jahr waren es noch 30 – beim Après-Ski und Karneval. Dieses Jahr kommt Wackel immerhin auf 20, was zwei bis fünf Shows im Monat entspricht. „Ich gebe das Jahr noch nicht auf“, sagt er – auch wenn gerade viele Oktoberfes­t-Ableger in Deutschlan­d abgesagt würden.

Wackel tritt auf, um im Gespräch zu bleiben, um Kontakt zu halten. Kürzlich machte er Stimmung auf einer Hochzeit in Mallorcas Nobelort Camp de Mar mit 50 Gästen aus Köln, die Anzug trugen und Champagner­nudeln aßen. Der Unterhalte­r hatte nur eine Akku-Musikbox dabei und fühlte sich in sein Premierenj­ahr 1996 versetzt. „Bei so etwas gehe ich auf“, sagt Wackel, als er in einer Kneipe drei Gehminuten vom Bierkönig entfernt sitzt und aufs

Meer schaut. Sein neues Credo lautet: „Lieber was Kleines mitnehmen, als nichts haben.“

Gagen werden generell angepasst an die Gästezahl – was derzeit deutlich weniger Einnahmen bedeutet. Was Wackel für einen Auftritt im Bierkönig bekommt, will er nicht verraten. Nur so viel: „10000 Euro für eine Party mit 10000 Leuten gibt es aktuell nicht mehr.“Seit Corona sei sein Umsatz um 85 bis 90 Prozent zurückgega­ngen. CoronaHilf­en, die seine Firma Hotmusic GmbH erhielt, seien schnell aufgebrauc­ht gewesen.

Die Corona-Zeit habe aber auch etwas Gutes, sagt er. Als er immer zwischen Deutschlan­d und Mallorca hin- und herflog, sei er nur Tagesgast auf seiner fünf Hektar großen Finca in Llucmajor im Südosten gewesen. Seit 20 Jahren lebt Peter Wackel fest auf der Insel, sein Spanisch ist gut.

Auf dem Grundstück gibt es auch abseits von Corona immer was zu tun. Wackel sitzt dort gerne zwischen Oliven- und Zitronenbä­umen auf seinem Traktor und pflügt Erde um. Er produziert im Jahr mehrere hundert Liter Olivenöl. Letztens habe er eine 800-Kilo-Palette mit Zitrusfrüc­hten an einen deutschen Zwei-Sterne-Koch verschickt. Dann sind da noch Schweine, Melonen, Hühner und Eier. „Wir haben das ganze Jahr Ostern“, sagt er.

Verluste konnte er während der auftrittlo­sen Zeit auch kompensier­en, weil er zusammen mit einem lokalen Weingut eigenen Wein anbietet, weißen, roten und Rosé. Restaurant­s an der Playa de Palma verkaufen ihn für 15 bis 30 Euro die Flasche. Die Idee kam ihm während des Lockdowns, bei dem die Menschen in Spanien das Haus nur zum Einkaufen verlassen durften. Zudem vermieten Wackel und seine

Frau Claudia eine Villa und eine Finca an Urlauber.

Der Franke ist nicht der einzige Partysänge­r, der improvisie­rt. Lorenz Büffel – Markenzeic­hen: Hörner – tourt mit einem Foodtruck in Hessen von einem Supermarkt­parkplatz zum anderen. 150 Gramm Rindfleisc­h, Laugenbrot, Schinken, Tomaten, Zwiebeln: Für 7,80 Euro gibt es „Burger Johnny“. Der ist angelehnt an Büffels Hit „Johnny Däpp – Ich will Malle zurück“. Der Song wurde bei Youtube schon mehr als 43 Millionen Mal angeklickt; mehr als 200 Engagement­s hatte Büffel im Jahr.

Einer, der die Schlagersz­ene genau beobachtet, ist Thomas Schenkel, 36. Er ist Geschäftsf­ührer der Veranstalt­ungsreihe „Mallorcapa­rtys Deutschlan­d“und Chef einer Buchungsag­entur in Kuppenheim unweit von Baden-Baden. In seinem Büro hängen Auszeichnu­ngen des

Bundesverb­ands der Musikindus­trie, unter anderem für mehr als 200000 verkaufte Einheiten des „Saufen“-Songs von Ingo ohne Flamingo. Dessen Kennzeiche­n ist die Entenmaske, durch die er kaum etwas sieht. Schenkel sagt: „Die Künstler vermissen Mallorca sehr. Wir haben gehofft, dass da ein bisschen mehr geht.“

Ein Großteil der 15 Sängerinne­n und Sänger, die er betreut, tritt im Megapark auf. Der leidet stark unter den Corona-Auflagen. Für wenige hundert Gäste lohnt es sich nicht aufzumache­n.

Auch in Deutschlan­d sei es schwierig, Auftritte zu organisier­en, sagt Schenkel. Manchmal plant er eine Party und muss sie wieder absagen. „Wir sind ein Spielball der Inzidenzen.“Immerhin: Drei Mallorca-Partys für den Herbst halten sich hartnäckig im Terminkale­nder. Dieses Jahr laufe insgesamt schon besser als das vergangene, als Schenkel noch Autokonzer­te organisier­te. Nun feierten die Menschen bei Sitzplatzk­onzerten: „Der nächste Schritt ist die Normalität.“

Auf die bereiten sich die Schlagersä­nger mit neuen Songs vor. Almklausi singt nun über einen Hahn, der klemmt, und Ikke Hüftgold überlegt, mit dem Trinken aufzuhören – aber er schwankt noch. Das Geschäft in Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz ist wichtiger als das auf Mallorca, da sie in diesen Ländern ganzjährig auftreten können. Sind in normalen Jahren die Sommerpart­ys vorbei, steigen Oktoberfes­te, dann wird bei HüttenGaud­is

Hüpfen, einhaken, abklatsche­n – nix da!

Vielen Deutschen waren die Corona‰Regeln egal

und Après-Ski gefeiert, ehe der Karneval ansteht. Später treten die Sänger bei Frühlingsf­esten auf und alles geht wieder von vorne los. Die Saison in Urlaubsort­en wie Mallorca, in Bulgarien und Kroatien dauert hingegen nur von April bis Oktober.

Zurück zu Peter Wackel an die Playa de Palma. Als im vergangene­n Jahr nach der ersten Corona-Welle im Juni wieder Urlauber auf die Insel kamen, stand er auf der Schinkenst­raße und verteilte 50 Rosen. Einen Monat später zeigte ein Video, wie auf der Bierstraße vor allem deutsche Urlaubsgäs­te Corona-Regeln missachtet­en. Sie feierten, als wäre das Virus eine Zutat, die Sangria noch süßer schmecken lässt. Wenig später waren die Lokale wieder dicht.

Das soll sich nicht wiederhole­n. Peter Wackel ist nach seinem ersten Auftritt ein paar weitere Male im Bierkönig gebucht. Jeden Nachmittag gibt es dort nun wieder Shows: Rick Arena, Mia Julia, Tim Toupet, Oli P.

Jetzt im September kommen zahlreiche Kegelklubs nach Mallorca. Auch 40 Bekannte von Peter Wackel fliegen bald extra auf die Insel, erzählt er, eine Prinzengar­de aus Aachen. Mit einem anderen Fan hat der Entertaine­r vor dem Neustart ein Foto gemacht. Der hielt ein Schild in der Hand: „658 Tage – Das Leben macht wieder Sinn.“

 ?? Foto: Wackel ?? „Lieber was Kleines mitnehmen als nichts haben“: Partysänge­r Peter Wackel (links) und ein Fan, mit dem er vor dem Neustart im „Bierkönig“auf Mallorca ein Foto gemacht hat.
Foto: Wackel „Lieber was Kleines mitnehmen als nichts haben“: Partysänge­r Peter Wackel (links) und ein Fan, mit dem er vor dem Neustart im „Bierkönig“auf Mallorca ein Foto gemacht hat.

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