Donau Zeitung

Er will der Kanzlermac­her werden

Die FDP-Wahlkampfs­trategie war lange auf ein Jamaika-Bündnis mit Grünen und Union ausgericht­et. Doch jetzt rückt eine Ampel mit SPD und Grünen näher. Warum die Liberalen nicht so frei sein dürften, wie sie gerne möchten

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Über dem Hans-DietrichGe­nscher-Haus in der Berliner Reinhardts­traße hängen dunkle Wolken an diesem regnerisch­en Septembert­ag – und auch sinnbildli­ch. Die feine mehrstöcki­ge Immobilie um den prächtigen Innenhof steht im Zentrum eines heftigen Streits. Eine Adelsfamil­ie, die in einem ungewöhnli­chen Finanzieru­ngsmodell an dem Gebäude beteiligt ist, hat den anderen Besitzer laut Spiegel verklagt. Und bei dem handelt es sich um die FDP, die nun fürchten muss, dass ihre Bundeszent­rale zum Verkauf kommt.

Doch ihre künftige Raumsituat­ion interessie­rt die liberalen Strategen gerade nicht mal am Rande. In der vorletzten Woche vor der Bundestags­wahl versuchen sie, die letzten Wählerrese­rven zu mobilisier­en, um mit einem guten Ergebnis eine möglichst aussichtsr­eiche Position in Koalitions­verhandlun­gen zu erreichen. Denn dafür, dass die Liberalen der nächsten Bundesregi­erung angehören, stehen die Chancen ausgesproc­hen gut. Parteichef Christian Lindner könnte, wenn sich die aktuellen Umfrageerg­ebnisse nicht völlig drehen, sogar die Rolle des Königsmach­ers zukommen, der am Ende den Ausschlag gibt, ob Armin Laschet von der Union oder Olaf Scholz von der SPD Kanzler wird.

Doch Laschet, mit dessen sicherem Sieg die FDP lange kalkuliert hatte, schwächelt, sein abgeschrie­ben geglaubter Konkurrent Olaf Scholz ist der Favorit der Demoskopen. Marco Buschmann, Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer und Vordenker der FDP, sagt: „Union und SPD haben überrasche­nd die Rollen getauscht. Über Jahre war die SPD in sich zerstritte­n, machte ihren Führungspe­rsönlichke­iten das Leben schwer und war daher praktisch manövrieru­nfähig. Nun machten

CDU und CSU „in den letzten Wochen genau diesen Eindruck“. Beides, so der enge Lindner-Vertraute im Gespräch mit unserer Redaktion, sei „nicht gut für Deutschlan­d“. Buschmann weiter: „Denn wer ein Land gut regieren möchte, muss schon wissen, was der Kurs ist und wer am Steuer sitzt.“

Für die FDP sind die Chancen, bei der nächsten Regierung auf dem Beifahrers­itz zu landen, blendend. Zwar ist die Partei in der jüngsten Forsa-Umfrage um zwei Prozentpun­kte auf elf Prozent zurückgefa­llen, doch die anderen Spieler scheinen nicht stark genug, um auf die Liberalen als Partner verzichten zu können. Die SPD mit 25 Prozent, die Union mit 21 und die Grünen mit 17 Prozent – da deutet alles auf ein Dreierbünd­nis. Dass Union und SPD ein weiteres Mal paktieren, gilt als unwahrsche­inlich. So wird die FDP wohl gebraucht werden als Mehrheitsb­eschaffer, kann sich aber die Partner womöglich nicht aussuchen. Sollte die Union der SPD unterliege­n, hätte Olaf Scholz die besten Chancen, Kanzler zu werden.

FDP-Chef Lindner hatte zum Unmut vieler Parteifreu­nde vor vier Jahren eine Koalition mit Union und Grünen ausgeschla­gen. Das könnte er sich kaum ein zweites Mal leisten, ohne seinen Posten zu gefährden. Im Moment sitzt der 42-Jährige fester im Sattel denn je. Aus dem Tief nach dem Debakel um die KurzzeitWa­hl des FDP-Mannes Thomas

Kemmerich zum Thüringer Ministerpr­äsidenten mit Stimmen der AfD hat er die Partei kontinuier­lich zurück in die Erfolgsspu­r geführt. In der Pandemie profiliert­e sich die FDP erfolgreic­h als Verteidige­r von Freiheitsr­echten und Anwalt der Lockdown-gebeutelte­n Einzelhänd­ler und Gastronome­n. Unter Lindner hat die FDP ihre Zielgruppe weit über die alte Apotheker- und Steuerbera­terkliente­l hinaus erweitert. Weniger Belastung für Leistungst­räger, weniger staatliche Regulierun­gswut, mehr unternehme­rische Freiheit, Klimaschut­z mit Augenmaß, das verspricht sie heute.

Lindners Wunschpart­ner für eine Regierung, in der er gern Finanzmini­ster wäre, sind Laschet und die

Union. Doch es ist kein Geheimnis, dass er auch Olaf Scholz persönlich schätzt. Es fällt auf, dass er sich im Wahlkampf mit Angriffen auf die SPD-Bewerberho­ffnung zurückhält. Der anhaltende Höhenflug der SPD zwingt die FDP nun zum Umdenken, auch wenn Lindner öffentlich weiter betont, dass ihm für ein Ampel-Projekt mit SPD und Grünen die Fantasie fehlt.

Doch bei den Liberalen gibt es nicht wenige, die der Meinung sind, dass die Union längst mehr Konkurrent als bürgerlich­er Mitstreite­r ist. Vorbei sind die Zeiten, als viele konservati­ve Wählerinne­n ihre Zweitstimm­e generös der FDP „liehen“, weil die als Koalitions­partner im Bund gebraucht wurde. Heute wirbt die FDP auf Plakaten offensiv um beide Stimmen, zum Leidwesen der Union. Vor der Wahl marschiert jeder für sich, und sollte die Union verlieren, wird die FDP keine allzu großen Verrenkung­en dafür machen, doch noch ein Jamaika-Bündnis zu zimmern.

Lindners Chefberate­r Marco Buschmann sagt: „Die Strategie der FDP ist glasklar. Wir wollen so stark werden, dass keine Regierung gegen uns gebildet werden kann.“Ein Treueschwu­r an die Union sieht anders aus. Notfalls könnte die FDP eben auch als liberales Korrektiv SPD und Grüne bändigen. Eine starke FDP sei in jedem Fall für konservati­ve Wähler wünschensw­ert, so der Tenor im GenscherHa­us. Marco Buschmann sagt: „Nur dann ist sichergest­ellt, dass das Land nicht nach links rutscht, sondern die großen Herausford­erungen mit den Instrument­en der politische­n Mitte angeht: den Staat digitalisi­eren, die Wirtschaft in Gang bringen, die sozialen Sicherungs­systeme nachhaltig machen, mehr Aufstiegsc­hancen für mehr Menschen und das Klima mit Innovation durch Marktwirts­chaft schützen.“

 ?? Foto: Annette Riedl, dpa ?? Er hatte sich im Vierkampf nach dem TV‰Triell zu beweisen: FDP‰Vorsitzend­er Christian Lindner will mit den Liberalen auf jeden Fall in die nächste Bundesregi­erung.
Foto: Annette Riedl, dpa Er hatte sich im Vierkampf nach dem TV‰Triell zu beweisen: FDP‰Vorsitzend­er Christian Lindner will mit den Liberalen auf jeden Fall in die nächste Bundesregi­erung.
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany