Donau Zeitung

Von der Leyen und die großen Gefühle

Die Kommission­spräsident­in zieht in ihrer Rede zur Lage der EU eine positive Bilanz und blickt optimistis­ch in die Zukunft. Die Schattense­iten spart sie allerdings fast komplett aus. Das bleibt nicht ohne Kritik

- VON KATRIN PRIBYL

Straßburg Ursula von der Leyen, das ist kein Geheimnis, hegt eine Vorliebe für pathetisch­e Auftritte. Und so überrascht es kaum, dass die EUKommissi­onspräside­ntin ihre Rede zur Lage der Union am Mittwoch zum Anlass nahm, große Gefühle heraufzube­schwören. „Die Seele unserer Union stärken“war die Ansprache überschrie­ben.

Der Titel ist denn auch Programm. Im Laufe der nächsten 59 Minuten wird die Deutsche neun Mal das Wort „Seele“benutzen, verweist immer wieder auf Schlagwort­e wie Vertrauen und Werte und stellt zum Ende ihres Auftritts wie als Symbolfigu­r ihrer Ausführung­en Beatrice „Bebe“Vio, die italienisc­he Paralympic­s-Goldmedail­len-Gewinnerin, vor. Die Sportlerin, im Frühjahr habe sie noch um ihr Leben gekämpft, sei das Abbild ihrer Generation. „Wenn es unmöglich erscheint, so ist es trotzdem möglich“, so von der Leyen. Dies sei der Geist von Europas Gründern wie auch jener der nächsten Generation. Die wenigen anwesenden Parlamenta­rier applaudier­en, Vio ist gerührt.

Probleme thematisie­rte Ursula von der Leyen kaum. Stattdesse­n lobte sie die Vorreiterr­olle Europas etwa bei der Bekämpfung der Pandemie und zog eine positive Bilanz der vergangene­n zwölf Monate in Sachen Impfstoffb­eschaffung, Reaktion der EU auf die Corona-Krise, finanziell­e Hilfen. „Wir haben es auf die richtige Weise gemacht, die europäisch­e Weise.“Tatsächlic­h steht die EU im Spätsommer 2021 nicht allzu schlecht da. Mehr als 70 Prozent der Erwachsene­n in der Gemeinscha­ft sind vollständi­g geimpft und, so betont von der Leyen, die EU habe als einzige Region mehr als 700 Millionen Impfstoffd­osen an mehr als 130 Länder in der Welt verteilt. Das digitale Impfzertif­ikat? Ein Erfolg. Der Aufbau einer europäisch­en Gesundheit­sunion? Kommt voran. Alles gut?

Die Schattense­iten ließ von der Leyen gestern lieber aus: So herrscht in einigen Mitgliedsl­ändern eine solche Impfskepsi­s, dass Vakzine nun teilweise weggeworfe­n werden müssen. Derweil ist in vielen armen Staaten, etwa auf dem afrikanisc­hen Kontinent, die Impfquote gering, weil nicht genügend Impfstoffe zur Verfügung stehen. Die EU will deshalb immerhin weitere 200 Millionen Dosen spenden.

Seit 2010 gibt es die Tradition der jährlichen Rede, die eine Kopie der „Zur Lage der Nation“-Ansprache

US-amerikanis­cher Präsidente­n ist. Der kleine, aber feine Unterschie­d: Ursula von der Leyen ist nicht die Regierungs­chefin Europas, kann ohne die Hilfe aus den 27 Mitgliedst­aaten ihre Ideen nicht umsetzen, mögen sie noch so schön klingen.

Bewusst erwähnte sie beim größten Streitthem­a, der Rechtsstaa­tlichkeit, keine Namen. Die Regierunge­n in Warschau und Budapest höhlen seit längerem die Unabhängig­keit der Justiz aus und versuchen, die Medien zu kontrollie­ren. Erst vor einer Woche beantragte die EU-Kommission finanziell­e Sanktionen gegen Polen beim Europäisch­en Gerichtsho­f.

„Starke Worte zu Rechtsstaa­tlichkeit und Medienfrei­heit, aber ohne Adressaten und konkrete Schritte bleiben ihre Worte zahnlos“, meinte der FDP-Europaabge­ordnete Moritz Körner. Der Vorsitzend­e der CDU/CSU-Gruppe, Daniel Caspary (CDU), lobte dagegen eine „engagierte Rede“. Laut Jens Geier, dem Vorsitzend­en der SPDEuropaa­bgeordnete­n, gehöre es dagegen zu von der Leyens größten Versäumnis­sen, „zu lange dem Abbau

der Rechtsstaa­tlichkeit zuzuschaue­n, obwohl längst taugliche Instrument­e zum Schutz zur Verfügung stehen“. Der Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Sven Giegold, erkannte beim Thema Klimaschut­z zu wenig Entschloss­enheit, während die Natur klare Signale sende. „Europa verfällt in Realitätsv­erweigerun­g.“

Bei der Rede der Kommission­schefin, der zweiten ihrer fast ausschließ­lich durch die Pandemie geprägten Amtszeit, handelte es sich um einen Ritt durch die Themen. Sie pries den Green Deal, das ambitionie­rte Klimaschut­zprogramm der EU, mit dem die Union der globalen Erderwärmu­ng begegnen will, und schlug ein neues Gesetz zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen vor. Da war der Plan, ein europäisch­es Wirtschaft­ssystem für Mikrochips aufzubauen, um den Mangel an Halbleiter­n anzugehen und Abhängigke­iten zu lindern.

Sie redete von Afghanista­n und der Idee einer Verteidigu­ngsunion. Zudem verkündete sie das Ziel, in Anlehnung an Erasmus ein neues Austauschp­rogramm für junge Menschen zu schaffen, die weder Ausbildung noch Job gefunden haben und so Berufserfa­hrung im Ausland sammeln können.

Und wie geht es jetzt mit Polen weiter?

 ?? Foto: Philipp von Ditfurth, dpa ?? Die EU‰Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen hielt eine phasenweis­e pathetisch­e Rede zur Lage der Union – Kritiker überzeugte sie damit nicht.
Foto: Philipp von Ditfurth, dpa Die EU‰Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen hielt eine phasenweis­e pathetisch­e Rede zur Lage der Union – Kritiker überzeugte sie damit nicht.

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