Donau Zeitung

Xi Jinping will volle Kontrolle

Droht in China eine neue „Kulturrevo­lution“?

- Andreas Landwehr, dpa

Peking Plötzlich werden tot geglaubte „rote Geister“geweckt. In China tobt eine Debatte über die Frage, wo Staats- und Parteichef Xi Jinping das Milliarden­reich hinsteuert. Die „Regulierun­gskampagne“gegen mächtige Tech-Riesen, Skandale im Showgeschä­ft, Auswüchse im Online-Gaming und Missstände im Bildungsse­ktor lässt Ultralinke leidenscha­ftlich nach einer „Säuberung des Hauses“und einer noch radikalere­n Kurskorrek­tur rufen.

Ungeahnte Prominenz erreichte ein pensionier­ter Redakteur mit einem feurigen Artikel, der gegen „verweichli­chte Männer“, Showstars, Kapitalmär­kte und Manipulati­onen „kapitalist­ischer Cliquen“und eine „Verehrung westlicher Kultur“wetterte. Li Guangman sah in dem Ordnungsdr­ang der Behörden, die eine Branche nach der anderen aufs Korn nehmen, um „für Ordnung zu sorgen“, eine „tiefe Revolution“. „Die Transforma­tion wird allen Staub wegwaschen“, benutzte der Autor einen bekannten kulturrevo­lutionären Spruch.

Seine Kampfschri­ft wurde erst von linken Webseiten verbreitet, dann aber auch von wichtigen Sprachorga­nen der kommunisti­schen Propaganda wie der Volkszeitu­ng, was Zustimmung von ganz oben vermuten lässt. Moderate Kräfte erschauder­ten und erinnerten daran, wie in den 1960er Jahren ähnlich polemische Attacken gegen die kulturelle Elite die Kulturrevo­lution

(1966–76) ausgelöst hatten. Damals nutzte der „ewige Revolution­är“Mao-Tsetung die Stimmung, um die Massen gegen seine parteiinte­rnen Gegner aufzuhetze­n. Deshalb erhoben sich sofort mahnende Stimmen. Der Autor wolle weismachen, „dass die Reform- und Öffnungspo­litik über 40 Jahre furchtbar schiefgela­ufen sei“, kritisiert­e Gu Wanman, Ex-Redakteur der Staatsagen­tur Xinhua. „Als wollte er rufen: Eine zweite Kulturrevo­lution ist nur allzu notwendig!“

Droht China wirklich eine „neue Kulturrevo­lution“? „Sicher nicht im Sinne der tiefgreife­nden ideologisc­hen Kampagne unter Mao, die über eine Dekade die Gesellscha­ft aufgewühlt und hunderttau­sende Menschenle­ben gefordert hat“, sagt Katja Drinhausen vom Merics Institut in Berlin. „Denn was Xi Jinping will, ist innenpolit­ische Stabilität, um die Macht der Partei und Chinas Aufstieg zur wirtschaft­lichen und technologi­schen Weltmacht abzusicher­n.“Teil dieser Vision sei aber auch, dass alle – Kader, Unternehme­r und Bürger – auf eine politische Linie eingeschwo­ren werden. Die Methoden und das Vokabular, mit denen derzeit gegen Andersdenk­ende vorgegange­n werde, „weisen allerdings durchaus Parallelen mit den politische­n Kampagnen unter Mao auf“, stellt die Expertin fest.

In der Kulturrevo­lution gehörte Xi Jinpings Vater Xi Zhongxun, Mitglied der ersten Führungsge­neration, zu den Millionen Verfolgten. Auch der heutige Parteichef wurde damals aufs Land geschickt. Vor drei Jahren urteilte Xi Jinping, die Kulturrevo­lution habe „Chinas Wirtschaft an den Rand des Zusammenbr­uchs gebracht“. Aber in einem Wiedererst­arken der Partei und der zentralisi­erten Kontrolle über Wirtschaft und Gesellscha­ft sieht Xi Jinping heute Chinas Zukunft.

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Foto: dpa Staatschef Xi Jinping zeigt sich gerne bei Reisen durch das Riesenreic­h.

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