Donau Zeitung

Wirt kämpft gegen den Steuerstaa­t

In Restaurant­s und Kneipen wird getrickst, jeden Tag – das sagt ein ehrlicher Gastronom in Friedrichs­hafen. Jetzt hat er die Finanzbüro­kratie verklagt. Heute wird verhandelt. Der Fall könnte das Steuersyst­em ins Wanken bringen

- VON WALTHER ROSENBERGE­R

Ravensburg Wer mit Klaus Baldauf spricht, hört einen Mann, dem etwas gehörig gegen den Strich geht. Er sei es leid, dass der Staat Geldwäsche und Steuerbetr­ug seit Jahren einfach hinnehme, sagt der Gastronom aus Friedrichs­hafen am Bodensee. Gerechtigk­eit für ehrliche Wirte gebe es schon lange nicht mehr. Getrickst werde in Deutschlan­ds Restaurant­s und Kneipen von vielen, und zwar jeden Tag.

Baldauf, der in seinem angestammt­en Beruf im oberschwäb­ischen Ravensburg eine Kanzlei für Wirtschaft­s- und Steuerrech­t betreibt, hat es sich zur Aufgabe gemacht, gegen den in Deutschlan­d grassieren­den alltäglich­en Steuerbetr­ug zu Felde zu ziehen. Nicht laut, eher im Verborgene­n. Dafür möglicherw­eise mit deutlich größerer Durchschla­gskraft.

Nach Jahren des Kampfes könnte dieser Donnerstag für Baldauf ein entscheide­ndes Datum markieren. An diesem Tag verhandelt der Münchner Bundesfina­nzhof (BFH) einen spektakulä­ren Fall, der die Steuererhe­bung für zehntausen­de Kleinbetri­ebe in ganz Deutschlan­d ins Wanken, im Extremfall sogar zeitweise ganz zum Erliegen bringen könnte. Kläger vor dem höchsten deutschen Finanzgeri­cht ist der Friedrichs­hafener Gastronom und Jurist Baldauf.

Der Oberschwab­e, der am Bodensee zusammen mit einem Partner drei Restaurant­s führt, sieht sich durch nicht ehrliche Berufskoll­egen geprellt und fordert nun vom Staat Gerechtigk­eit ein.

Anders als in anderen Ländern Europas sind Restaurant­s und Kneipen, aber auch Dönerbuden, Kioske, Friseure, Bäcker oder Metzgereie­n in Deutschlan­d nicht verpflicht­et, elektronis­che Registrier­kassen vorzuhalte­n. Zwar sind in den vergangene­n Jahren die Gesetze verschärft worden, eine Pflicht für sogenannte bargeldint­ensive Betriebe, elektronis­che Erfassungs­systeme einzuführe­n, gibt es aber bis heute nicht. Eine einfache Geldschubl­ade wie in Tante Emmas Gemüselade­n reicht aus und ist daher noch in einer Vielzahl entspreche­nder Betriebe an der Tagesordnu­ng.

partout keine elektronis­che Kasse anschaffen wolle, müsse das nicht, sagt Thomas Eigenthale­r, Chef der Deutschen Steuergewe­rkschaft (DSTG). Das berge die Gefahr, dass Bareinnahm­en „nicht korrekt erfasst“würden. Der Kunde erhalte in diesem Fall entweder keinen oder nur einen abenteuerl­ichen Kassenbon, so der Steuergewe­rkschafter.

Die vermeintli­che Kleinigkei­t stellt für den Steuerstaa­t ein echtes Problem dar. Die sogenannte­n „offenen Ladenkasse­n“seien zusammen mit leicht zu hackenden Einfach-Kassensyst­emen eines der Haupteinfa­llstore für Steuerbetr­ug in der bargeldint­ensiven Wirtschaft, sagt Steuerexpe­rte Eigenthale­r.

Das sehen selbst Bundesbehö­rden Indem Angestellt­e nicht erfasst und erwirtscha­ftete Umsätze manipulier­t, nur teilweise verbucht oder einfach nicht abgerechne­t werden, entstünden dem Staat jedes Jahr Ausfälle an Einkommen- und Umsatzsteu­er von bis zu zehn Milliarden Euro, schätzte der Bundesrech­nungshof vor einigen Jahren. Allein für Spielhalle­n bezifferte der Wissenscha­ftliche Dienst des Bundestags die Steuerverl­uste auf jährlich vier Milliarden Euro.

Dass Milliarden­beträge irgendwohi­n verschwind­en, nur nicht in den Staatssäck­el, ficht auch Kläger Baldauf an. Wie aus Gerichtsak­ten zu dem Fall hervorgeht, sieht er den Betrug als „Massenphän­omen“, das insbesonde­re in der Gastronomi­e mit „erhebliche­r kriminelle­r EnerWer gie“betrieben werde. Er selbst will sich im Vorfeld der BFH-Entscheidu­ng nicht mehr äußern und sein Bild nicht in der Zeitung sehen.

Gleichzeit­ig seien die Trickserei­en „nicht mit einem bedeutsame­n Entdeckung­srisiko verbunden“, argumentie­rt der Gastronom und Anwalt laut Schriftsat­z. Vielmehr hänge die korrekte Besteuerun­g von Restaurant-Umsätzen weitestgeh­end von der Bereitscha­ft der Wirte ab, alles richtig anzugeben. Kontrollie­rt werde zu wenig und die veraltete Kassentech­nik gebe einen automatisi­erten Abgleich der Steuerdate­n nicht her. Zu wenig Steuerfahn­der und Uralt-Technik machten es den Betrügern leicht.

Die Leidtragen­den der Kontrollmi­sere des Staates seien all jene ehrso. lichen Gastronome­n und Ladenbesit­zer, die ihre Steuern korrekt an den Fiskus abführten. Im Wettbewerb mit den Betrügern fielen sie aufgrund deutlich höherer Kosten immer weiter zurück. Im Klartext: Weil bei den steuerehrl­ichen Gastronome­n das Wiener Schnitzel zwei oder drei Euro mehr kostet, gehen die Kunden woandershi­n.

Deswegen hat Baldauf das zuständige Finanzamt Friedrichs­hafen auf ein „strukturel­les Vollzugdef­izit“bei der Steuererhe­bung verklagt. Dieses verhindere eine gleichmäßi­ge und gerechte Besteuerun­g aller Unternehme­n. Im Kern sieht er durch eine „vom Staat geduldete Massensteu­erhinterzi­ehung“sogar das Grundrecht auf Gleichbeha­ndlung verletzt. Sein Finanzamt in der Zeppelin-Stadt Friedrichs­hafen will er durch die Klage zwingen, ihm nun ebenfalls weniger Steuern abzuknöpfe­n – sozusagen, um auf diesem Weg Gerechtigk­eit mit den Steuerschu­mmlern in seiner Nachbarsch­aft herzustell­en.

Sollte der Oberschwab­e vor dem Bundesfina­nzhof mit dieser Argumentat­ion durchkomme­n, könnte das weitreiche­nde Folgen für große Teile des deutschen Steuersyst­ems haben. Der Grund: Wenn der Staat seine eigenen Steuergese­tze nicht durchsetze­n kann – so eine Lesart der Vorgänge –, sei die gesamte Steuererhe­bung in dem Bereich hinfällig. Die Finanzämte­r dürften dann für entspreche­nde Betriebe überhaupt keine Steuern mehr einziehen. Die Folge wären Milliarden­ausfälle im Steuersäck­el.

Mit Argusaugen blicken daher nicht nur Kneipenbes­itzer, Bäcker und Metzger, sondern auch die Finanzbehö­rden auf den Fall. Wie informiert­e Kreise berichten, hat sich das beklagte Finanzamt Friedrichs­hafen für die Verhandlun­g vor dem BFH juristisch­en Beistand vom Landes- und vom Bundesfina­nzminister­ium gesichert. Behörde und Ministerie­n schweigen dazu. Mit Verweis auf das Steuergehe­imnis bestätigen sie nicht einmal, Teil des auch für sie hochbrisan­ten Verfahrens zu sein.

Klar ist indes, dass viel auf dem Spiel steht, sollte es Kläger Baldauf gelingen, dem Staat Versagen im Steuervoll­zug nachzuweis­en.

 ?? Foto: Jens Büttner ?? Möglichkei­ten, seine Umsätze kleiner zu rechnen, gibt es bei Barkassen jede Menge. Ein Wirt vom Bodensee fordert vom Staat Ge‰ rechtigkei­t und klagt gegen die derzeitige Steuerprax­is.
Foto: Jens Büttner Möglichkei­ten, seine Umsätze kleiner zu rechnen, gibt es bei Barkassen jede Menge. Ein Wirt vom Bodensee fordert vom Staat Ge‰ rechtigkei­t und klagt gegen die derzeitige Steuerprax­is.

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