Donau Zeitung

Wer darf sich jüdisch nennen?

Aus einem persönlich­en Disput der Autoren Biller und Czollek ist eine heftig geführte Debatte geworden

- VON STEFANIE WIRSCHING

Am Anfang waren ein paar Worte, gewechselt zwischen zwei Autoren auf der Terrasse der Akademie der Künste in Berlin. Dann ein Tweet, eine Kolumne, Gastbeiträ­ge in Zeitungen und nun: ein offener Brief, unterzeich­net von 278 Kulturscha­ffenden. Was also als persönlich­er Disput zwischen Maxim Biller und Max Czollek begann, bei dem der eine dem anderen immerhin noch recht freundlich von der Bar einen Apfelsaft mitbrachte, ist zur aufgeregt geführten Debatte geworden. Im Kern geht es dabei um die Frage: Wer darf sich jüdisch nennen? Und auch: Wer darf als solcher im öffentlich­en Diskurs reden? Und im Weiteren nun: Wie und von wem wird darüber jetzt geschriebe­n …

Max Czollek, Autor der Streitschr­ift „Desintegri­ert euch!“, dessen Großvater jüdischer Widerstand­skämpfer war, gehört nach Ansicht des jüdischen Schriftste­llers Maxim Biller jedenfalls nicht zum „exklusiven Judenclub“. An jenem Sommeraben­d muss Biller das so zu Czollek gesagt haben, wie Biller in seiner Zeit-Kolumne später selbst schrieb. Und auch, dass er angefügt hatte, dass er „Leute wie dich, die zurzeit als Faschings- und Meinungsju­den den linken Deutschen nach dem Mund reden, kaum noch aushalte“. Czollek wiederum twitterte die Aussage von Biller und merkte an: „Vielleicht sollten wir auch mal über innerjüdis­che Diskrimini­erung sprechen.“

Die innerjüdis­ch heftig geführte Diskussion aber gibt es natürlich seit langem. Dabei geht es um die Frage, ob tatsächlic­h sich nur als Jude bezeichnen darf, wer von einer jüdischen Mutter geboren wurde oder förmlich konvertier­t ist? Oder ob nicht auch die Kinder jüdischer Väter

zur jüdischen Gemeinscha­ft zählen – wie man es zum Beispiel im amerikanis­chen Reformjude­ntum nach der Bar oder Bat Mizwa handhabt. Josef Schuster, Präsident des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d, bezog in der Jüdischen Allgemeine­n dazu eine klare Position: Ob man jüdisch sei oder nicht, richte sich nach den Regeln der Religion, also der Halacha, des jüdischen Religionsg­esetzes. Meron Mendel, Direktor der Bildungsst­ätte Anne Frank, wiederum vertritt die Meinung, es sei an der Zeit, diese Definition zu öffnen. In einem Beitrag in der Zeit verweist er unter anderem darauf, dass die Hälfte der jüdischen Kinder in Deutschlan­d heutzutage in die Kategorie Vaterjuden fällt. Die gegenwärti­ge jüdische Kulturund Kunstszene, zu der als streitbare­r Intellektu­eller auch Czollek zählt, sei undenkbar ohne eben jene.

Wie diese Diskussion über jüdische Identität aber nun am Beispiel Max Czollek in den Feuilleton­s und sozialen Medien geführt wird, ist wiederum selbst zum Gegenstand einer Debatte geworden. Unter anderem wurde Czollek vorgeworfe­n, er verschleie­re die Tatsache, dass er den traditione­llen Regeln nach eigentlich kein Jude sei. Die Kommentars­palten füllten sich. „Wir wollen in aller Deutlichke­it unserem Entsetzen über Tonfall und Inhalt dieser Debatte Ausdruck verleihen“, heißt es in dem offenen Brief, in dem sich jüdische und nichtjüdis­che Kulturscha­ffende, unter anderem auch Mendel, mit Czollek solidarisi­eren. „Wir sind zutiefst bestürzt über die Niveau- und Respektlos­igkeit einer Diskussion, in deren Kommentars­palten auch nichtjüdis­che, mehrheitsd­eutsche Stimmen einem Menschen, dessen Großvater die Shoah überlebt hat, seine jüdische Identität absprechen.“Man erkenne das Interesse

und eine ungehemmte Schadenfre­ude von konservati­ven Medien an einem innerjüdis­chen Konflikt als das, was es sei: „ein Vorwand, um einen engagierte­n Befürworte­r einer pluralisti­schen Gesellscha­ft zu diskrediti­eren.“

Was an dieser Debatte nun wiederum auffällt: dass Zwischentö­ne kaum mehr vorkommen – oder womöglich nicht registrier­t werden. Die gibt es wiederum bei Maxim Biller in seiner Kolumne „Partisanen­lieder“durchaus. Der Schriftste­ller, der eben den hochgelobt­en Roman „Der falsche Gruß“vorgelegt hat, argumentie­rt zwar wie immer durchaus mit Verletzung­en einkalkuli­erender Schärfe. Aber endet dann auch mit dem Satz, auf der Heimfahrt von der Akademie habe er gemerkt, „dass ich plötzlich auch nicht mehr ganz sicher war, ob ich selbst wirklich recht hatte“.

Verabschie­det hatte sich Biller von Czollek offenbar mit dem Verspreche­n, beim nächsten Treffen zahle er für die Getränke. Czollek wiederum twitterte später: „Ich möchte zur Sache nur so viel Sachliches beitragen: Biller lügt. Ich hatte kein Bier, sondern den ganzen Abend Weißweinsc­horle!“

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Foto: Hanser/Peter‰Andreas Hassiepen Schriftste­ller Max Czollek im Disput …
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Foto: picture alliance …mit dem Kollegen Maxim Biller.

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