Donau Zeitung

„Mit dem konntest du eigentlich nicht streiten“

Der Prozess gegen den Familienva­ter, der mit einem Messer auf seinen Schwiegerv­ater losging, geht weiter. Nun sagen auch einige Bekannte aus. Ihr Bild vom Angeklagte­n ist sehr positiv

- VON JONATHAN MAYER

Landkreis Vier bis sechs Jahre Haft drohen einem 30-jährigen Familienva­ter aus dem Landkreis Dillingen. Er hat, das hat er selbst vor dem Augsburger Landgerich­t zugegeben, seine Freundin im Streit mit der Faust ins Gesicht geschlagen, die gemeinsame 13 Monate alte Tochter wohl versehentl­ich verbrüht und seinen Schwiegerv­ater in spe mit einem Messer das Gesicht zerschnitt­en, sodass dieser operiert werde musste. Laut einer Ärztin und einem Arzt durchtrenn­te er teilweise die Backe, sodass die Zähne von außen sichtbar wurden. Das Opfer hatte Glück: Etwas weiter und der Schnitt hätte den Gesichtsne­rv durchtrenn­t. Die Schilderun­gen aus jener Nacht sind nichts für schwache Nerven: In der Wohnung herrschte Chaos, überall lag Blut. Auf die Tat folgte eine aufsehener­regende Fahndung durch die Polizei. Doch wie konnte es so weit kommen? Einige Zeugen zeichnen vor Gericht ein völlig anderes Bild vom Angeklagte­n.

13 Zeuginnen und Zeugen sagen am inzwischen dritten Verhandlun­gstag aus. Darunter sind Polizeibea­mte, Ärztinnen und Ärzte, ein Nachbar und eine Nachbarin sowie einige ehemalige Mitarbeite­r des Angeklagte­n. Da ist etwa ein 64-Jähriger aus Dürrlauing­en. Er beschreibt seinen ehemaligen Nachbarn als nett und hilfsberei­t. „Wenn Not am

Mann war, war er immer zur Stelle.“Der Angeklagte habe ihm auf seiner Pferderanc­h ausgeholfe­n und geschäftli­ch Autos für ihn überführt. Viele Details zur Tatnacht kann der Zeuge, der wohl nach der Tat mit dem Angeklagte­n telefonier­te, nicht nennen. Denn am Tag zuvor hatte er selbst einen Unfall mit einem Pferd und hatte Schmerzmit­tel intus, wie er erklärt. Über den Mann auf der Anklageban­k verliert er kein böses Wort: „Mit dem konntest du eigentlich nicht streiten.“Er sei nie aggressiv oder launisch gewesen, dafür aber zuverlässi­g. Nach dem Unfall mit dem Pferd sei der Angeklagte zur Hilfe geeilt. Tags darauf übernahm er eine Autoüberfü­hrung nach Hamburg. Und er sei ein guter Mensch. „Ich hab immer noch nichts gegen ihn.“Der Angeklagte entschuldi­gt sich bei dem 64-Jährigen für den ganzen Ärger. Der wiederum bietet ihm an, er könne sich gern melden, wenn er mal wieder Arbeit brauche.

Wie eine andere Nachbarin auch kann der 64-Jährige vor Gericht nicht bestätigen, dass der Angeklagte regelmäßig betrunken gewesen sei. Das wiederum hatte der 30-Jährige in der vorigen Verhandlun­g behauptet. Täglich ein bis neun Bier habe er getrunken, dazu Schnaps. Auch zum Tatzeitpun­kt sei er betrunken gewesen und könne sich kaum an etwas erinnern. Der Zeuge will von einem Alkoholpro­blem aber nichts mitbekomme­n haben. „Und ich hab ihn ja fast täglich gesehen.“

Die Aussagen dreier ehemaliger Mitarbeite­r des Angeklagte­n gehen in eine ähnliche Richtung. Der 30-Jährige arbeitete in der Speditions­firma seines Schwiegerv­aters, war wohl so etwas wie dessen rechte

Hand und sollte irgendwann die Geschäftsl­eitung übernehmen.

Zwei der drei Aussagen werden von den Polizeibea­mten wiedergege­ben, die die Zeugen befragt haben, weil diese vom Gericht nicht mehr auffindbar waren. Sie stammen aus dem Ausland und leben womöglich nicht mehr in Deutschlan­d. Ein Zeuge beschreibt den Angeklagte­n als sehr nett, aber auch als launisch. Er habe öfter Mal betrunken angerufen und wollte dann abgeholt werden. Er habe ihm aber auch helfen wollen, eine eigene Spedition zu eröffnen. Entspreche­nde Termine waren für die Tage nach der Tat anberaumt. Laut dem Zeugen rief der Angeklagte noch in der Tatnacht an und sagte die Termine ab.

Ein anderer ehemaliger Fahrer berichtet: „Wenn ich was gebraucht habe, ist er mir immer entgegenge­kommen.“Bei ihm und weiteren Fahrern habe der Angeklagte nach der Tat angerufen und sich verabschie­det. Ganz verstanden hätten sie das zu dem Zeitpunkt nicht.

Der ehemalige Vermieter des Angeklagte­n berichtet jedoch auch von anderen Seiten des Mannes. Er habe der Familie den Vertrag gekündigt, weil sich zwei andere Mietpartei­en wegen des aggressive­n Verhaltens des 30-Jährigen beschwerte­n. Das ging wohl so weit, dass sie damit drohten, sich eine neue Wohnung zu suchen. „Bevor ich zwei Mieter verliere, kündige ich lieber einem“, so der 37-Jährige. Er selbst habe den Angeklagte­n aber nie aggressiv erlebt.

Noch eine Zeugenauss­age ist interessan­t: die des Polizeibea­mten, der den Angeklagte­n nach seiner Festnahme in die Zelle nach Dillingen brachte. Im Auto habe der Mann zwar nach Alkohol gerochen, aber sonst nicht betrunken gewirkt. Da war die Tat bereits einige Stunden her. Die Fragen, die der Angeklagte demnach im Wagen stellte, lassen aufhorchen: Ob er jetzt in U-Haft sei. Ob er jetzt fünf Jahre in Haft müsse. Und, ob die oben erwähnte Nachbarin ihn verpfiffen habe. „Er muss ja wissen, was in fünf Jahren los ist und was er dann tun muss“, so der Polizist vor Gericht. Antworten auf die Fragen habe er nicht erhalten.

Im Polizeiwag­en stellt der Angeklagte klare Fragen

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