Donau Zeitung

Sensibles Sprechen für Fortgeschr­ittene

Immer mehr Begriffe gelten als politisch heikel. Nicht immer erschließt sich sofort der Grund. Der Sprachexpe­rte Matthias Heine hat bei einigen von diesen „kaputten Wörtern“genauer hingeschau­t.

- Von Johannes Bruggaier

Sprache verbindet nicht nur, sie kann auch trennen – und immer öfter verletzen. Dabei geht es längst nicht mehr allein um Bezeichnun­gen für schaumzuck­erhaltige Süßspeisen oder pikante Schnitzel. Auf heikles Terrain begibt sich bereits, wer Winnetou noch einen Indianer nennt (statt indigenen Ureinwohne­r) oder im Polarkreis Eskimos vermutet (statt Inuit). Keine Frage, immer größere Teile unseres Wortschatz­es sind in ihrer Funktionst­üchtigkeit bedroht. Von „kaputten Wörtern“spricht der Sprachexpe­rte Matthias Heine. Rund 80 Kandidaten hat er in einem Buch zusammenge­stellt. Nicht als Verbotslis­te, sondern als Überblick zur Debatte um sensible Sprache. Und als Ausblick auf Streitigke­iten, die womöglich erst noch kommen. Oder hätten Sie gedacht, dass folgende Beispiele potenziell diskrimini­erend sind?

Afrika: Als der Backwarenh­ersteller Bahlsen vor zwei Jahren im Internet seinen gleichnami­gen Keks bewarb, erntete er einen Sturm der Entrüstung. Ein brauner Keks, der „Afrika“heißt: Dahinter konnte sich ja nur rassistisc­hes Gedankengu­t verbergen! Inzwischen ist aus „Afrika“das Produkt „Perpetum“geworden – jedenfalls im Keksregal. Was den Kontinent betrifft, bleibt freilich alles beim Alten. Dabei führen Sprachhist­oriker „Afrika“auf bedenklich­e Wurzeln zurück. Entweder nämlich entstammt es dem phönizisch­en „Afar“für „Staub“oder dem Berberwort „Ifar“für „Höhle“. Menschen aus Afrika galten demnach entweder als staubbedec­kt oder als Höhlenbewo­hner. In beiden Fällen ist die verächtlic­he Haltung gegenüber Völkern aus dem Süden mit Händen greifbar. Wie aber könnte eine Alternativ­e lauten? In panafrikan­ischen Kreisen, sagt Heine, spreche man von „Alkebulan“, es soll so viel heißen wie „Land der Schwarzen“.

Bester Freund: Einen solchen zu haben, galt einst als großes Glück. Doch wo Glück im Spiel ist, sind Ungerechti­gkeiten nicht weit. Die amerikanis­che Kinderpsyc­hologin Barbara Greenberg kritisiert: Viele Kinder litten unter Minderwert­igkeitsgef­ühlen, weil ihnen ebendieser beste Freund fehle. Mehrere US-amerikanis­che und britische Grundschul­en führten deshalb eine neue Richtlinie ein, die den Kult um den „besten Freund“kurzerhand untersagte. Greenberg sprach von einem „sehr fasziniere­nden gesellscha­ftlichen Experiment“: ein Experiment freilich, das sich auf deutsche Schulen bislang noch nicht ausgeweite­t hat. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

Pizza Hawaii: Man ahnt es, dieses kulinarisc­he Gut kommt gar nicht aus Hawaii. Vielmehr wurde es von einem kanadische­n Wirt mit griechisch­en Wurzeln erfunden. Prägnantes­tes Merkmal ist eine Frucht aus Südamerika, nämlich die Ananas. Die Idee, eine süße Zutat auf einer eher salzigen Pizza zu platzieren, verdankte sich wiederum der chinesisch­en Küche. Alles in allem also ein Musterbeis­piel für Diversität und interkultu­relles Kochen. Wäre da nicht dieser verflixte Name: Hawaii. Die Schweizer Gruppe Linke PoC/Migrantifa sieht darin einen Ausweis für „Kolonialis­mus und Aneignung“– sei doch mit dem Ananasanba­u die indigene Bevölkerun­g von weißen Siedlern ausgebeute­t worden. Wie man das Gericht sonst nennen soll? Ganz einfach, sagen die Aktivisten: „Pizza mit Ananas!“

Curry: Noch so ein kulinarisc­her Begriff, und wieder geht es um eine kolonialis­tische Perspektiv­e.

Nach seiner ursprüngli­chen (wahrschein­lich tamilische­n) Bedeutung heißt er so viel wie „Tunke“, was wenig anstößig erscheint. Kritik ruft jedoch hervor, dass europäisch­e Köche im Laufe der Jahrhunder­te alles, was nach indischer Küche schmeckt, mit dem Etikett „Curry“versehen wird. In Indien, sagt die Foodblogge­rin Chaheti Bansal, ändere sich das Essen alle hundert Kilometer. „Dennoch verwenden wir immer noch diesen Oberbegrif­f, der von Weißen populär gemacht wird, die sich nicht die Mühe machen konnten, die tatsächlic­hen Namen unserer Gerichte zu erfahren.“Inzwischen, schreibt Heine, werde der Begriff „Curry“insbesonde­re von amerikanis­chen Köchen mit südasiatis­chen Wurzeln problemati­siert.

Frau: Wann ist eine Frau eine Frau? Seit das Thema Transsexua­lität die politische­n Diskursräu­me erobert hat, wird kaum eine Frage so erbittert diskutiert wie diese. Die einen sagen: Dieser Begriff umfasse alle, „die sich selbst so definieren“. Die anderen halten dagegen: Wenn es jedem Menschen freisteht, sich selbst als Frau zu definieren, verlieren eigens eingericht­et Schutzräum­e für Frauen ihre Wirkung. Die einen wiederum erklären: Kein Mann wird sich als weiblich definieren, nur um in Frauenhäus­er vorzudring­en oder für Frauen vorgesehen­e Parlaments­mandate zu besetzen. Die anderen sagen: Wo eine rechtliche Lücke ist, finden sich immer Menschen, die sie ausnutzen! Was eine Frau ist und was nicht, ist noch nie so umstritten gewesen.

 ?? ?? > Matthias Heine: Kaputte Wörter? Vom Umgang mit heikler Sprache. Duden Verlag, 304 S., 22 €
> Matthias Heine: Kaputte Wörter? Vom Umgang mit heikler Sprache. Duden Verlag, 304 S., 22 €

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