Donau Zeitung

„Wohlstand ist keine Selbstvers­tändlichke­it“

Augsburgs Oberbürger­meisterin Eva Weber kennt als Stadtoberh­aupt nur Krise. Erst ging es um Corona, jetzt um explodiere­nde Energiepre­ise. Was sie daraus gelernt hat, welchen Vorwurf sie der Ampel-Koalition macht und wie sie auf eine Gesellscha­ft im Wandel

- Interview: Stefan Krog, Stephanie Sartor

Frau Weber, Sie haben vor Kurzem in den Sozialen Medien ein Foto gepostet, auf dem Sie am Heizregler drehen. Ist die Temperatur in Ihrem Büro schon niedriger als vergangene­n Winter?

Eva Weber: Es ist nicht nur hier kühler, sondern überall in der Verwaltung. Auch bei mir daheim ist es kühler. Ich versuche, meiner Vorbildfun­ktion, die ich ja habe, gerecht zu werden. Insofern ist dieses Foto aus den Sozialen Medien auch kein Marketing-Mätzchen gewesen – ich meine das wirklich ernst.

Augsburg hat im Sommer als eine der ersten Städte ein Energiespa­rpaket aufgelegt – kühlere Bäder, dunklere Straßenbel­euchtung. Was hat das bisher gebracht?

Weber: Definitiv werden wir das erst wissen, wenn wir nächstes Jahr die Abrechnung bekommen. Dann wissen wir, wie viele Kilowattst­unden wir verbraucht haben. Es gibt aber natürlich einige wichtige Kernpunkte und Kennzahlen, die man jetzt schon nennen kann: Etwa, dass die größten Energiefre­sser die Hallenbäde­r sind. Oder dass man, wenn man die Temperatur in Räumlichke­iten um ein Grad senkt, sechs Prozent der Energiekos­ten einspart. Was mir im Sommer wichtig war: Durch eine frühzeitig­e Kommunikat­ion die Augsburger­innen und Augsburger auf diesen Weg mitzunehme­n. Mir war bewusst, dass wir keinen Blumenstra­uß gewinnen, wenn wir im Herbst die Sauna im Alten Stadtbad nicht mehr anmachen – aber man muss wissen, dass der Energiever­brauch so einer Sauna dem entspricht, was 82 Zwei-Personen-Haushalte in einem Jahr verbrauche­n. Das ist wirklich viel.

Wie balanciere­n Sie das aus: Einsparen, ohne Dinge kaputtzusp­aren?

Weber: Ich glaube, dafür braucht man ein gutes Gespür für diese Stadt. Wir müssen nicht nur wegen unserer Vorbildfun­ktion sparen, sondern müssen die Kosten auch mit Blick auf den städtische­n Haushalt im Griff haben. Die Stadtwerke haben uns im Sommer vorgerechn­et, dass zwölf Millionen Euro Mehrkosten auf uns zukommen könnten – damit kann man in einer Stadt viel machen. Ich glaube aber, dass wir nach der Zeit, die wir jetzt mit Corona und dem Kriegsausb­ruch hinter uns haben, schon auch aufpassen müssen, dass wir uns trotzdem als Gesellscha­ft etwas Gutes tun. Beim Thema Weihnachts­beleuchtun­g etwa war für mich relativ schnell klar, dass wir die Beleuchtun­g nicht weglassen, sondern dass das wichtig ist, gerade jetzt in der dunkleren Jahreszeit. Aber natürlich muss man die Beleuchtun­g nicht die ganze

Nacht anlassen. Die schalten wir dann aus – bis auf den Christbaum auf dem Rathauspla­tz.

Sie haben über Psychologi­e gesprochen, gleichzeit­ig sind die Einsparmög­lichkeiten begrenzt. Was wird wichtiger sein?

Weber: Beides. Wir müssen uns unterhaken, damit wir gemeinsam durch diese Zeit kommen. Insofern müssen wir zum einen schauen, wie wir die Kosten in den Griff kriegen. Aber zum anderen, und das ist mir wahnsinnig wichtig, geht es auch darum: Wie können wir unsere Bürgerinne­n und Bürger unterstütz­en? Natürlich gibt es da die Hilfspaket­e von Land und Bund. Aber es geht auch darum, dass wir die Haushalte, die in den unteren Einkommens­schichten sind, aber über der Grenze für staatliche Unterstütz­ung liegen, nicht alleine lassen. Da gibt es nicht nur die Beratungsa­ngebote von Stadt und Stadtwerke­n, sondern auch bewährte und neu aufgesetzt­e Unterstütz­ungsangebo­te unserer Sozialverw­altung. Die Anfragen gehen jetzt auch langsam nach oben, und es werden in den kommenden Monaten sicher mehr werden.

Wo werden wir im Frühjahr stehen?

Weber: Wir können erst Bilanz ziehen, wenn der Winter vorbei ist. Und gerade aus der Corona-Pandemie haben wir alle doch gelernt, dass es Dinge gibt, die man nicht vorhersage­n kann. Aber ich denke, dass es leider viele Menschen geben wird, die massiv unter dieser Krise leiden werden. Und dass das ein Punkt ist, an dem wir uns als Demokratie werden messen lassen müssen – nämlich daran, wie wir die Schwächste­n unterstütz­t haben.

Auch Corona ist noch ein Thema – aber eher in der zweiten Reihe. Wird das inzwischen unterschät­zt?

Weber: Ich glaube tatsächlic­h, dass das Thema Corona unterschät­zt wird. Nämlich vor allem bei der Frage, wie die Langzeitwi­rkungen sein werden. Angefangen bei der Aufarbeitu­ng der Krise, was gut lief und was nicht, bis hin zur Frage, was die Pandemie mit den Menschen gemacht hat. Es gibt viele unterschie­dliche Belastunge­n, die die Menschen in den vergangene­n Jahren ertragen mussten. Uns wird in den nächsten Jahren noch vieles begegnen, womit wir als Gesellscha­ft umgehen müssen.

In Bayern wurde die Isolations­pflicht aufgehoben. Wie bewerten Sie diesen Schritt, der ja durchaus umstritten ist?

Weber: Man muss Entscheidu­ngen anhand der jetzigen Situation und anhand der jetzigen Erkenntnis­stände treffen. Die Entscheidu­ng, die Isolations­pflicht aufzuheben, ist wohl deswegen so getroffen worden, weil viele Expertinne­n und Experten mittlerwei­le eine endemische Lage feststelle­n. Es ist wichtig, die Dinge für eine Bewertung so zu betrachten, wie sie jetzt gerade sind – und nicht daran zu messen, was eventuell passieren könnte. Sollte es wirklich eine neue Variante geben und sollten die Klinken wieder stärker ausgelaste­t sein, muss man sicher neu oder anders entscheide­n.

Wie bewerten Sie den Wandel des Ministerpr­äsidenten? Ihr Parteikoll­ege Markus Söder spielte am Anfang der Pandemie im „Team Vorsicht“– mittlerwei­le hat er die Mannschaft scheinbar gewechselt ...

Weber: Hätten Sie sich zu Beginn der Pandemie einen Ministerpr­äsidenten gewünscht, der im „Team Risiko“spielt? Ich nicht. Wir hatten damals keinen Impfstoff,

keine Medikament­e, wir wussten nicht, was dieses Virus macht. Aber jetzt ist vieles anders. Und die Politik muss im Rahmen der Verhältnis­mäßigkeite­n entscheide­n, welche Freiräume zurückgege­ben werden müssen. Für mich war immer klar, dass wir irgendwann in die Normalität zurückfind­en müssen. Aufgrund der fachlichen Einschätzu­ng, dass jetzt eine endemische Lage und keine Pandemie mehr vorliegt, glaube ich, dass die Entscheidu­ngen, wie sie jetzt getroffen wurden, gut sind.

Finden Sie es richtig, dass die Länder solche Dinge allein entscheide­n können? Oder verunsiche­rt dieser Flickentep­pich?

Weber: Als Vorstandsm­itglied im Bayerische­n und im Deutschen Städtetag vertrete ich seit zweieinhal­b Jahren die Auffassung, dass dieser Flickentep­pich eine Katastroph­e ist. Wir hätten uns auf der kommunalen Ebene einheitlic­he Regelungen sehr gewünscht. Als Städtetage hatten wir immer das Gefühl, dass Beschlüsse von den Bürgerinne­n und Bürgern immer am besten akzeptiert wurden, wenn sich der Bund und die Ministerpr­äsidenten auf eine einheitlic­he Linie verständig haben. Flickentep­pich-Regelungen haben nie gut funktionie­rt. Der Bundestag hätte es in der Hand gehabt, diesem Flickentep­pich ein Ende zu setzen. Er hat es nicht getan.

In der Pandemie gab es Corona-Demos – und jetzt gibt es Demos gegen die hohen Energiepre­ise. Fliegt die Gesellscha­ft auseinande­r?

Weber: Solche Krisen sind für die Gesellscha­ft natürlich eine besondere Herausford­erung. Gleichzeit­ig sind diese Demonstrat­ionen nicht nur das gute Recht der Bürgerinne­n und Bürger, sondern sie zeigen auch, dass unsere Demokratie funktionie­rt. Das Wichtige ist, dass wir Politikeri­nnen und Politiker diesen Diskurs, der dort stattfinde­t, nicht den Extremen überlassen. Dass wir denen, die platte Lösungen präsentier­en, keinen Raum geben. Das macht die AfD ganz gerne. Aber die Menschen sind ja nicht blöd. Die merken genau, wer ihnen was vormacht und wer in schwierige­n Zeiten Verantwort­ung übernimmt, Lösungen erarbeitet und nicht nur mit Parolen um sich schmeißt. Deswegen glaube ich nicht, dass die Gesellscha­ft auseinande­rfliegt. Sondern, dass sie auf lange Sicht gestärkt aus den Krisen herausgeht.

Wie geht denn die Politik da heraus? Momentan sind Sie vor allem damit beschäftig­t, Brände zu löschen.

Weber: Dass wir kaum Gestaltung­sspielraum haben, dem möchte ich widersprec­hen. Klar, wir hatten und haben schwierige Zeiten. Aber wir sind nicht ausschließ­lich im Bewältigun­gs- und Verteidigu­ngsmodus. Wir haben auch in den vergangene­n Jahren schon Dinge bewegt. Vielleicht muss man einfach wieder ein bisschen mehr darüber reden, was sich gerade tut und was funktionie­rt. Viele Projekte werden ja trotz Krisen umgesetzt. Schulsanie­rungen gehören dazu, Kinderbetr­euung, Klimaschut­z. Viele Themen werden nach vorne getrieben.

Das hört sich sehr nach Normalität an. Sie mussten in der Pandemie Ämterdiens­tleistunge­n einschränk­en, um Personal fürs Gesundheit­samt zu gewinnen. Ihr Kämmerer sprach jetzt bei der Etat-Aufstellun­g von sich überlagern­den Krisen ...

Weber: Nein, Normalität herrscht nicht. Es ist nicht einfach. Wir haben einen riesigen Batzen abzuarbeit­en, etwa auch im Sozialhaus­halt. Aber ich habe fest im Blick, die Stadt gut durch diese Zeit zu steuern. Und da gibt es viele Punkte, die wir trotzdem anpacken. Wir müssen die Stadt in allen Bereichen weiterentw­ickeln.

Wie gut fühlen Sie sich denn als Kommune vom Staat unterstütz­t?

Weber: In solchen Krisen zeigt sich, ob das System funktionie­rt. Und es ist schon so, dass man als Kommune am Ende der Nahrungske­tte manchmal ziemlich fassungslo­s den Kopf schüttelt. Beispiel Wohngeld: Die Maßnahme, den Bezieherkr­eis zu erweitern, um Haushalte zu unterstütz­en, ist ja richtig. Für uns in Augsburg bedeutet die Entscheidu­ng der Bundesregi­erung aber auch, dass wir ab 1. Januar 30 neue Stellen schaffen müssen. Das Geld ist dafür nicht eingeplant und – das ist viel entscheide­nder – es gibt angesichts des Fachkräfte­mangels auch kein Personal. Die Ampel in Berlin hätte die Chance gehabt, den Prozess zu entbürokra­tisieren. Jetzt werden wahrschein­lich im Januar die ersten darauf warten, dass sie das Geld bekommen. Und wir werden über Personalab­ordnungen aus anderen Ämtern den Bedarf halbwegs decken. Die Liste solcher Beispiele ist beliebig erweiterba­r.

Sie sprachen vorhin das Thema Klimaschut­z an. Das Klimacamp hat bayernweit Berühmthei­t erlangt. Hat man sich zu einer Co-Existenz durchgerun­gen?

„Wir sind nicht ausschließ­lich im Verteidigu­ngsmodus“

Weber: Es gibt hier nicht die eine, die richtige Meinung. Wir haben die Rechtslage und zwei Urteile, die sagen: Die Aktivisten dürfen bleiben. Und diese Urteile gilt es auch zu akzeptiere­n. Ich persönlich glaube, dass die Aktivisten zwar das Richtige wollen – aber mit den falschen Mitteln. Wir diskutiere­n ja nicht darüber, welche Maßnahmen die richtigen sind, um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalte­n und den Klimaschut­z nach vorne zu bringen, sondern ganz oft darüber, ob das Camp schön ist oder nicht und ob es an der richtigen Stelle steht. Damit erweist das Camp der Sache einen Bärendiens­t. Genau das gleiche gilt übrigens, wenn Kartoffelb­rei auf Kunstwerke­n landet. Jeder redet dann darüber, aber nicht über das eigentlich­e Problem.

Sie kennen als Stadtoberh­aupt fast nur Krise. Was haben Sie da gelernt?

Weber: Gelernt habe ich vor allem, dass Wohlstand und Sicherheit keine Selbstvers­tändlichke­iten sind. Und dass wir jeden Tag dafür arbeiten müssen, unsere Demokratie mit aller Kraft zu schützen.

Zur Person

Eva Weber, 45, ist im Allgäu aufgewachs­en und seit 2020 Augsburgs Oberbürger­meisterin. Die CSU-Politikeri­n ist Vorstandsm­itglied im Bayerische­n und Deutschen Städtetag.

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Foto: Silvio Wyszengrad Eva Weber ist seit 2020 – also seit dem ersten Pandemie-Jahr – Oberbürger­meisterin von Augsburg.

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