Donau Zeitung

Der „Wutwinter“in Bayern bleibt aus, aber die Proteste setzen sich fort

Die Gegner der Corona-Maßnahmen gehen weiter auf die Straße, suchen sich aber neue Themen. Und es wird nicht nur demonstrie­rt. Vor allem im Netz entlädt sich der Ärger.

- Von Jonathan Lindenmaie­r

Die Demonstrie­renden trommeln, tröten, singen. Ein Mann schwenkt die Fahne der ehemaligen DDR, wenige Meter dahinter halten drei Demonstrie­rende herzförmig­e Pappschild­er der AfD in die Höhe. „Unser Land zuerst“steht darauf. Oder: „Gesund ohne Zwang“. Etwa 380 Menschen waren es, die nach Angaben der Polizei vor einigen Tagen durch Augsburg gezogen sind. Deutlich weniger als zu den Hochzeiten der Corona-Pandemie.

Es war unter anderem die AfD, die bundesweit einen „heißen Herbst“ausgerufen hatte. Auch die Linke warb unter diesem Schlagwort für Demonstrat­ionen. Die Parteien forderten die Bürgerinne­n und Bürger auf, gegen hohe Energiepre­ise auf die Straße zu gehen. Der Ton – vor allem in den sozialen Medien – ist scharf. Klar ist auch: So bald werden die Proteste wohl nicht abebben. Aber die Zahl der Protestier­enden bleibt überschaub­ar, der „heiße Herbst“höchstens lauwarm.

Die Häufigkeit von Demonstrat­ionen in Augsburg bewege sich aktuell auf dem gleichen Niveau wie vor einem Jahr, heißt es von der Polizei. Damals waren etwa 500 Demonstrat­ionen angemeldet. Zu den Protesten kamen zuletzt aber weniger Menschen. „Im Vergleich zum Vorjahr sank die Zahl der jeweiligen Teilnehmer deutlich“, sagt Markus Trieb, Pressespre­cher des Polizeiprä­sidiums Schwaben-Nord.

Ähnlich ist die Entwicklun­g im Süden der Region. Lediglich im September habe man einen leichten Anstieg festgestel­lt. „Auch beim Teilnehmer­feld handelt es sich meist um einen gleichblei­benden Personenkr­eis“, sagt die Pressespre­cherin des Polizeiprä­sidiums Schwaben Süd/West, Isabel Schreck. „Die Themenbere­iche wurden ausgeweite­t und reichen mittlerwei­le von Corona-Themen über den Russland-Ukraine-Konflikt und der Gasmangell­age bis zur Wohnungsno­t und der hohen Inflation.“Die Demonstrat­ion in Augsburg war dabei die größte in der Region. Weitere Schwerpunk­te im Umland sind laut Polizeiprä­sidium Schwaben Süd/West NeuUlm, Kempten und Memmingen.

Zum Protest in Augsburg hatte das Bürgerforu­m Schwaben aufgerufen. Der Verein organisier­te zuvor bereits die Corona-Proteste in der Stadt. Doch obwohl die Organisato­ren und viele der Teilnehmen­den dieselben sind, zeigt sich auch hier: Das Themenfeld hat sich gewandelt. Weg von Corona, hin zum Krieg in der Ukraine, zu den Energiepre­isen, zur Klimapolit­ik. „Frieden schaffen ohne Waffen“stand auf einem der Banner, „für bezahlbare Energie“oder „Deutschlan­d zuerst“.

Diesen Wandel beobachtet auch der bayerische Verfassung­sschutz. „Aufgrund des derzeit in der Ukraine stattfinde­nden Angriffskr­ieges durch Russland sind auch in Bayern Reaktionen und Aktionen extremisti­scher Szenen auf die Folgen dieses Krieges festzustel­len“, sagt Florian Volm, Pressespre­cher des bayerische­n Verfassung­sschutzes.

„Dabei stellen nicht nur das Kriegsgesc­hehen in der Ukraine, sondern auch dessen Auswirkung­en, wie der Gaspreisan­stieg und die hohe Inflations­rate, Themen dar, die durch die extremisti­schen Szenen aufgegriff­en werden.“Er betont, dass friedliche Demonstrat­ionen ausdrückli­ch durch das Grundgeset­z geschützt sind, sagt aber auch: „Über die bewusste Instrument­alisierung dieser Themen versuchen Extremiste­n,

Anschluss in nicht extremisti­sche Milieus zu finden, ihre Narrative zu verbreiten und für Protestver­anstaltung­en zu mobilisier­en.“

Aber der Ärger entlädt sich nicht nur auf der Straße, sondern auch im Netz. Während der Corona-Pandemie haben sich auf Telegram viele – zum Teil auch regionale – Gruppen gegründet. Hier zeigt sich heute ein ähnliches Bild wie bei den Demonstrat­ionen: Es geht längst nicht mehr nur um ein Thema. Ähnlich diffus wie auf den Demonstrat­ionen ist auch das Themenfeld in den Telegram-Gruppen der Region. Im Chat „BayernSteh­tZusammen“beispielsw­eise wird dazu aufgerufen, die Namen einzelner Polizistin­nen und Polizisten zu notieren und sie später zur Rechenscha­ft zu ziehen. Die Unterstell­ung: Sie hätten sich als „Staatsterr­oristen“schuldig gemacht. Im Channel „Meringer Ungeimpfte helfen Ungeimpfte­n“will man die Mitglieder über vermeintli­chen Wahlbetrug in Deutschlan­d aufklären. Und im Chat der Gruppe „Klardenken Schwaben“wird angedeutet, der Klimawande­l sei eine Lüge. Die Liste solcher Nachrichte­n ließ sich mühelos fortsetzen.

Piotr Kocyba, Vorstandsm­itglied des Instituts für Protest- und Bewegungsf­orschung, hat bereits im Sommer vor einer Radikalisi­erung der Proteste angesichts steigender Energiepre­ise gewarnt. „Wenn man den entspreche­nden Akteurinne­n und Akteuren auf Telegram folgt, fällt schnell auf, dass der Ton dort sehr rau ist“, sagt er. „Die Themen erscheinen zunächst bunt gemischt zu sein: Klima, Corona, Energiekri­se, Russland. Aber nur auf den ersten Blick.“Viele der Themen stünden in Verbindung zueinander, sagt Kocyba.

„Wenn man sich Verschwöru­ngsdenken ansieht, dann zeigt sich, dass es da große Überlappun­gen gibt“, sagt er. „Wer glaubt, Bill Gates hätte Corona erfunden, der glaubt sehr wahrschein­lich auch, dass die Nato hinter dem Krieg in der Ukraine steckt.“

Wie heiß ist er als nun wirklich, der heiße Herbst? Eine Ausweitung der Proteste erwartet Kocyba im Moment nicht. Klar sei aber auch, dass das Mobilisier­ungspotenz­ial der Proteste nicht unbedingt nachlässt, wenn der Krieg endet oder die Energiepre­ise sinken. „Es gibt in Deutschlan­d mittlerwei­le gefestigte Milieus, in denen das Vertrauen in die liberale Demokratie und ihre Institutio­nen geschwunde­n ist. Und das ist etwas, was nicht einfach weggehen wird, auch wenn die Krise bewältigt ist.“

Extremisti­sche Szene greift die Folgen des Krieges auf

 ?? Foto: Klaus Rainer Krieger ?? Auch in Augsburg gingen zuletzt wieder Menschen zum Demonstrie­ren auf die Straße. Corona ist allerdings nicht mehr das stärkste Thema.
Foto: Klaus Rainer Krieger Auch in Augsburg gingen zuletzt wieder Menschen zum Demonstrie­ren auf die Straße. Corona ist allerdings nicht mehr das stärkste Thema.

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