Die Lauinger wissen jetzt, warum der Goldfisch im Kreis schwimmt
So führt Stefan Waghubinger sein Publikum in einen psycholinguistischen Darkroom und bietet damit einen krönenden Abschluss des Kleinkunstherbstes in Frauenriedhausen.
Lauingen Ein Achtsamkeitsseminar der besonderen Art präsentierte Stefan Waghubinger am Freitag im Lauinger Schloss. Als Stoiker unter den deutschsprachigen Kabarettisten bewies der gebürtige Steyrer, dass Glück nur durch gelebte Praxis zu erreichen ist. Beispiel: Er, der ewige Loser, gewinnt endlich einmal beim Monopoly – weil er gegen sich selbst spielt. „Wenn man beim Würfeln kein Glück hat, muss man sich beim Würfeln mehr anstrengen“, interpretiert er lakonisch seine Einführung in die Spieltheorie.
Es ist eine gequälte Anstrengung, die sich auf dem Weg zwischen Himmel und Hölle durch sein ganzes Leben zieht. Beispiel: Statt sich anzustrengen, kann man auch erben, respektive reiche Erbinnen heiraten. Die Basis derartiger Zweierbeziehungen kann sich allerdings fragiler erweisen, als es den Immobilienmillionären lieb ist.
So offeriert Waghubinger in seinem vierten Bühnenprogramm „Ich sag’s jetzt nur zu Ihnen“Lebenshilfe der besonderen Art. Er bietet sich für alle Lebenslagen und Sinnkrisen als Seelendoktor an, der trotz demonstrativem Understatement selbst nach Hilfe sucht. Deshalb möchte er den Zuhörern und Zuhörerinnen in seine Erkenntnisse, seine Geheimnisse einweihen, gar zum Mitverschwörer machen. Doch diese Geheimnisse erweisen sich als schwarze Satz-Löcher, in deren Unendlichkeit sich der Gast wie in einem psycholinguistischen Darkroom verliert.
Über subtilem Wortwitz wird er
durch konstruierte banale Alltagssituationen gelotst. Zwischen Sisyphus und Sokrates schwankt er über mäandernde, bislang noch nie betretene Semantikpfade. Auf diesem Irr-Licht-Weg des Fabulierens und Formulierens geht der Lotse von Bord, nicht ohne zuvor mit disruptiven Schlussfolgerungen die Resilienz des Zuhörers zu testen.
Der Spannungsbogen federt
dann zurück, etwa bei einer der zentralen Frage der Evolutionstheorie, bei der es um Wissen oder Glauben geht: Ist die Entstehung der Menschheit Zufall gewesen oder biologische Notwendigkeit? Oder handelt es sich nur um die profane Frage von Angebot und Nachfrage? Er findet eine sarkastische Antwort mit Blick auf seine Nachbarn: „Dass Menschen durch Zufall entstanden sind, kann man
sich vorstellen. Aber notwendig waren sie nicht.“
Einfache Lösungen für komplizierte Glaubensfragen, das hat etwas Theologisches. Zumal dieses Gebiet dem studierten Theologen nicht fremd ist. Evolution sei ja kein Glaube. Das habe man schon in der Schule gelernt, postuliert der notorische Zweifler mit stets schwankender Selbstgewissheit. Auf den Spuren der Götter stellt der Stoiker, lakonisch, witzig, tiefgründig, immer wieder die Sinnfrage.
Etwa, wenn er seinen Goldfisch Hansi mit Fischstäbchen aus wild lebendem Alaska-Seelachs füttert. Der Lachs, in Freiheit geboren, wird am Schluss doch von einem Goldfisch gefressen, der sein Leben lang eingesperrt im Glas im Kreis schwimmt. Und nicht einmal weiß, dass man auch geradeaus schwimmen kann. Ein Hamsterrad unter Wasser. Analogien mit dem Homo sapiens sind nicht ausgeschlossen. Wissen oder Glauben, Freiheit oder Gefangenschaft, Zufall oder Notwendigkeit, Stoiker oder Zyniker – spätestens nach seinem zweiten Gastspiel in Lauingen weiß man, warum Stefan Waghubinger vielfach ausgezeichnet wurde (vor Kurzem erst: Staatspreis der Landesregierung von Baden-Württemberg 2021 und Reinheimer Satirelöwe 2022).
Beim Kleinkunstherbst 2022 ist es Alois Jäger und Birgit Hauf vom Theater in Frauenriedhausen (TiF) gelungen, mit Lucy van Kuhl, Gankino Circus und Waghubinger großes Kabarett nach Lauingen zu bringen. Der Auftritt von Hans Gerzlich musste leider entfallen. Coronabedingt war 2022 der geräumige Albertus-Magnus-Saal des Elisabethenstifts Veranstaltungsort und nicht das kleine Klassenzimmer in Frauenriedhausen, in dem maximal 50 Gäste Platz finden. In den Schlosssaal passen leicht dreimal so viel, was dem Veranstaltungsbudget des TiF-Vereins nur guttun kann. Mit Stefan Waghubinger hat das TiF ein überaus gelungenes Kontrastprogramm zum Abschluss des Lauinger Kleinkunstherbstes 2022 gesetzt.