Die Gier nach Luxus macht Fälscher reich
Marken-Piraterie ist ein Wachstumsgeschäft mit Margen wie im Drogenhandel. Tamer Bakiner spürt die Kriminellen weltweit auf. Selbst Dior setzt auf den Augsburger Privatermittler. Und der hat schon so einiges erlebt.
Paris/Istanbul/Dubai Von dem Modeschöpfer Christian Dior stammt die Erkenntnis, das Geheimnis der Eleganz liege in der Schlichtheit. Wenn das mit dem Luxusartikel-Geschäft nur so einfach wäre! Der gleichnamige, in Paris beheimatete Konzern hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Aller Marken-Glanz nützte nichts: In den 70er Jahren verblasste der Ruhm der Mode- und Parfüm-Dynastie, auch weil immer mehr Fälschungen der aufwendig entwickelten und teuer beworbenen Produkte auftauchten. Dior ist ein frühes gebranntes Kind, was das Treiben von Marken-Piraten betrifft.
Deswegen kennen die Verantwortlichen in Paris keine Nachsicht mit Trittbrettfahrern. Das Management geht konsequent gegen Fälscher vor und gibt gegenüber unserer Redaktion Einblicke, wie das Unternehmen den Kriminellen auf die Schliche zu kommen versucht. Dior sieht sich hier einem enormen finanziellen Druck ausgesetzt: Denn wer wie das Unternehmen etwa eine Handtasche namens „Kleine Lady Dior“in schwarzem Lamm-Leder für 4600 Euro verkaufen will, wird in dem Bestreben gestört, wenn die Prachtstücke so geschickt kopiert werden, dass es kaum auffällt. Dabei bieten die Nachahmer ihre Produkte oft zu einem zehn Mal so niedrigen Preis an. Wenn dann noch raffinierte und bis zu 350 Euro kostende Düfte zum Teil aus Tier-Urin bestehen und als DiorParfüm ausgegeben werden, weckt das die Widerstandslust der Franzosen.
Doch wie nur der Fälscher habhaft werden? Schließlich sitzen sie oft in abgelegenen Dörfern oder in gut abgeschotteten Kellern städtischer Wohngebiete. Die misstrauischen Kriminellen erzielen Margen wie im Drogenhandel und achten darauf, keinen Unbekannten in ihre Produktionsstätten zu lassen. Die Arbeitsbedingungen sind meist schlecht. Es ist heiß, stickig und dunkel. Doch die im Dunkeln sieht man nicht. So schauen Behörden – ob in China, in der Türkei, auf den Philippinen, in Indonesien oder in Südkorea – trotz aller Beteuerungen der Regierungen, Marken-Piraten zu bekämpfen – häufig weg.
Geschädigte wie die Verantwortlichen von Dior sind entsprechend froh, wenn der Undercover-Ermittler Tamer Bakiner für sie illegale Produktionsstätten, wie zuletzt in der Türkei und Asien, aufspürt. Hier werden im großen Stil Fälschungen von Dior und weiteren Luxusmarken hergestellt und in hochwertig ausstaffierten Showrooms feilgeboten. Zuletzt war Bakiner in Asien unterwegs und konnte dort in einem mehrwöchigen Einsatz mit Unterstützung von Polizei und Zoll mehrere Fälscher-Werkstätten schließen lassen. Dabei profitiert er von seinem InformantenNetzwerk und dem guten Kontakt zu den Behörden. Nach dem erfolgreichen Zugriff gehört auch Dior zu den etwa zwölf Marken, für die der Undercover-Ermittler Marken-Piraten aufstöbert. „In meiner langjährigen Karriere war ich schon ein paar hundert Mal erfolgreich“, sagt er am Telefon. Wo sich Bakiner aufhält, bleibt im Verborgenen. Er ist vielen Verbrechern auf die Füße getreten und macht auf Anraten seiner Vertrauensleute bei der Polizei ein Geheimnis aus seinem Aufenthaltsort.
Doch wie gelingt es dem Fälscher-Jäger, sich Einlass in die Fabriken zu verschaffen? Bakiner verrät so viel: „Entscheidend ist die Legende, die ich aufbaue.“Reichlich Fantasie trägt zum Fahndungserfolg bei. Der Ermittler arbeitet wie ein Schauspieler. Er passt Sprache, Kleidung und Umgangsformen an Land und Menschen an. Was für ihn wichtig ist: „Ich muss immer auf einer Ebene mit meinen Gesprächspartnern sein und darf mich nicht über sie erheben.“Der Deutsche bemüht sich, keinen Druck auf das Gegenüber auszuüben, also nicht zu auffällig Interesse an einem Fabrikbesuch zu zeigen.
Treffen für Treffen nähert sich Bakiner seinem Ziel an und wiegt die Abgesandten der Marken-Piraten immer mehr im Glauben,
ein wichtiger Großhändler zu sein, der in großem Stil gefälschte Kleidung, Schuhe oder Taschen kaufen will. Bei dem speziellen Geschäft lebt der Augsburger von seinem in gut 25 Jahren aufgebautem Netzwerk aus Tippgebern, die zum Teil aus den Reihen des Zolls und der Polizei stammen. Er erfährt etwa, wann ein Container mit gefälschter Ware aus China an einem türkischen Hafen ankommt und wie die Ware weiterverteilt wird.
In China selbst stößt ein Ermittler aus Europa meist auf eiserne Wände, wenn er eine Fälscher-Werkstatt aufdecken will. „Denn Chinesen vertrauen nur Chinesen“, sagt Bakiner. In dem asiatischen Riesenreich ist der Undercover-Mann auf Einheimische angewiesen, um ans Ziel zu gelangen. Was motiviert einen Menschen wie ihn, sich immer wieder in Gefahr zu bringen? Geld allein kann es nicht sein, auch wenn Marken-Konzerne nicht knausrig sind. Bakiner meint schließlich: „Ich bin Undercover-Ermittler aus Leidenschaft.“
Wenn er dann mit einem Kleinbus von Zuarbeitern der Fälscher abgeholt wird und, wie auf den Philippinen, nach drei, vier Stunden Fahrt in einem Kaff ankommt, die Werkstatt betritt und die Halle versteckt filmt, schießt Adrenalin ein. „Angst habe ich nicht mehr“, behauptet er dennoch. Früher sei das anders gewesen. Doch Angst sei in solchen Extremsituationen ein schlechter Ratgeber.
Bisher hat der Detektiv Glück gehabt und ist nicht aufgeflogen. Seines Erachtens sind Ermittlungen im Fälscher-Milieu bei weitem nicht so gefährlich wie in der
Drogen- und Rockerszene oder gar, wenn es um Frauen- und Menschenhandel geht. Wird eine Fabrik von Marken-Piraten nach einer Razzia geschlossen, lassen sich die Betroffenen davon meist nicht beeindrucken und kurbeln ihr Gewerbe ein halbes Jahr später wieder an. Dior & Co. können den Sumpf kaum austrocknen. Dass dies so ist, führt der Ermittler auf „die Gier der Menschen nach Luxus, ja ihren MarkenWahn zurück“. Gerade junge Menschen könnten sich der Versuchung nicht entziehen, klagt der Privatermittler.
Auch wenn Bakiner selbst Geld mit der Schwäche vieler Menschen für edle Produkte verdient, ist er doch mit den Jahren zum Gesellschaftskritiker geworden: „Was Luxusartikel betrifft, werden in sozialen Medien falsche Vorbilder gesetzt. Junge Menschen sehen das auf Youtube oder Instagram und wollen auch so sein.“Da sich aber die wenigsten eine Louis-Vuittonoder Gucci-Tasche zum Preis von 1400 Euro und mehr leisten können, greifen sie zur Fälschung für 100 bis 200 Euro. Bakiner meint ein wenig resigniert: „Mit so einer Tasche bekommst du Anerkennung, wenn du abends ausgehst oder in ein Hotel eincheckst.“Wer eine No-Name-Tasche trage, werde leicht übersehen.
Woher rührt die Markenvernarrtheit gerade junger Leute, wo es drängendere Themen für sie wie die Klimakatastrophe geben sollte? Mit der Frage beschäftigt sich Nicole Hanisch schon lange. Sie betätigt sich seit über 20 Jahren als psychologische Marktforscherin. Nach Gesprächen mit Jugendlichen hat sie einige Trends ausgemacht:
„Mal geben sie mit Luxusmarken an – sie nennen es ,flexen’ –, mal greifen sie zu Second-Hand-Kleidung.“Was widersprüchlich wirkt, scheint es für Angehörige der Generation Z, die ab 1995 geboren sind, nicht zu sein. „Es geht ihnen ganz generell ums Haben“, sagt Hanisch. Einerseits wollten sie die Welt retten, anderseits zeigten sie gerne, was sie erworben haben.
Nach der Theorie kann man sich an Klima-Demos beteiligen, vegan essen und trotzdem die Bling-Bling- und Gucci-Welt geil finden und seinen Körper im Fitnesscenter stählen. Manche Eltern verstehen das nicht. Sie bringen die Lust des Nachwuchses auf künstliche Fingernägel, Tattoos und Marken nicht mit deren gesellschaftlichem Engagement auf einen Nenner. Hier schließt sich der Kreis zwischen dem Undercover-Ermittler und der psychologischen Marktforscherin: Wenn jüngere Menschen von Luxus-Marken angezogen werden, sich aber teure Taschen und Sneakers nicht leisten können, kommt das Smartphone als „digitaler Zauberstab“, wie Hanisch das nennt, zum Einsatz. Flugs sind die Nobel-Treter im Netz für einen Bruchteil des Original-Preises bestellt. Den meisten Konsumentinnen und Konsumenten dürfte klar sein, dass dies seinen Preis hat und die Ware echt falsch ist.
Wenn dann die Sneakers per Post in den elterlichen Haushalt geschickt werden, kann es ein böses Erwachen für die ganze Familie geben, falls das – oft aus Fernost bei einem Fake-Shop – bestellte Paket dem Zoll suspekt erscheint. Dann kommt es vor, dass Eltern des Generation-Z-Nachwuchses
etwa vom Ulmer Hauptzollamt einen Vermerk erhalten, sich doch bei der Behörde einzufinden, um dort gemeinsam die besagte Fracht zu öffnen. Zollamtsinspektor Stefan Stark kennt viele solcher Fälle. Einem wohnt eine besonders abschreckende Kraft inne: Ein 15-Jähriger hat sich im Internet fünf Baseball-Caps bestellt. Die Eltern wussten davon nichts. Nachdem klar war, dass eine der Mützen gefälscht ist, wurde die betroffene Firma als Rechteinhaber informiert. Sie leitete ein Abmahnverfahren gegenüber den Eltern ein und forderte 5000 Euro. Am Ende einigten sich die Parteien auf 2500 Euro. Auf solche Fälle spezialisierte Anwaltskanzleien haben sich hier eine ergiebige Einnahmequelle erschlossen.
Zollamtsinspektor Stark rät daher, im Internet genau zu überprüfen, wo man eine Ware ersteht. Von einer Bestellung über eine Webseite ohne Impressum und Allgemeine Geschäftsbedingungen sollten Kundinnen und Kunden die Finger lassen: „Sicher ist, wer im Einzelhandel vor Ort kauft oder Online-Angebote bekannter Händler nutzt.“Dabei gehen Fälscher immer geschickter vor. Sie bieten MarkenTurnschuhe
Bakiner profitiert von seinem großen Netzwerk
Kriminelle eröffnen Fake-Shops im Internet
häufig nicht mehr für zehn bis 20 Euro an, weil wohl fast jedem klar sein sollte, dass es dabei nicht mit rechten Dingen zugeht. Die Kriminellen öffnen vielmehr Fake-Internet-Shops für einige Wochen und werben damit, teure Sneakers kosteten nur 50 oder 80 Prozent des Originalpreises. Stark hat erkannt: „Da schlägt das Schwabenherz höher. Mancher greift zu, weil er sich sicher glaubt, dass es keine Fälschung ist.“Der ein oder andere Konsument ist selbst nach eingehender Information durch den Zoll nicht von seiner Meinung abzubringen, ein Schnäppchen gemacht zu haben und dass das erworbene Stück echt ist. Regelrecht legendär beim Hauptzollamt Ulm ist der Fall eines Mannes, der sich für 100 Euro eine aus seiner Sicht original Rolex-Uhr angeschafft hat.
Für manche ist der Schein das Sein. Genaueres Hinsehen lohnt sich. Hagen Kohlmann, Pressesprecher des Hauptzollamtes Ulm, öffnet eine Kellertür mit Anschauungsobjekten, darunter ein E-Bike eines deutschen Sportwagenherstellers, das Zollbeamte auf einer Messe entdeckt haben. Bei genauerer Begutachtung scheint ein Nazi-Symbol auf dem Zweirad auf. Kohlmann holt das Rad nur für Aufklärungsaktionen hervor. In der Regel werden die Machenschaften der Produkt-Piraten vom Zoll „vernichtet“und landen in Ulm etwa als Heizmaterial in der Fernwärme.
Das alles hält viele sicher nicht davon ab, sich gefälschte Waren zu bestellen. Wer mit den Produkten keinen Handel treibt, muss zwar mit Geldforderungen der Markenrechteinhaber rechnen, wird aber nicht strafrechtlich belangt. Anders sieht es aus, wenn einer gewerbsmäßig mit gefälschten Artikeln ein Geschäft aufzieht. Dann drohen Geldbußen von bis zu 10.000 Euro, bei gewerbsmäßigem, bandenmäßigem Vorgehen sogar Haftstrafen von bis zu fünf Jahren. Unbehelligt kommt indes davon, wer sich ein gefälschtes Fußballtrikot kauft, dieses am besten vor dem Flug anzieht und bei der Einreise glaubhaft machen kann, es sei allein für ihn bestimmt.
Ermittler Bakiner und Zoll-Vertreter Stark werden nicht müde, an das Verantwortungsbewusstsein der Menschen zu appellieren. Denn nach Berechnungen von Wirtschaftsverbänden zerstören Fälscher rund 470.000 Jobs in Europa. Mancher schädige auch seine Gesundheit mit im Internet erstandenen Gesichtscremes, die Gifte enthalten. Und es gibt noch Kräutermischungen, mit denen sich etwa vor einer Hochzeit angeblich schnell einige lästige Kilos abspecken lassen. Manch einer, der besonders schnell in den Trauungsanzug passen wollte, soll sich die doppelte Dosis des vermeintlichen Naturprodukts verabreicht haben. Ein echter Fehler. Denn die Kräuter-Mixtur wurde dahingehend gefälscht, dass gewichtsreduzierende chemische Hämmer beigemischt wurden.
Am Ende erkrankten die Brautleute und passten nicht in Anzug oder Kleid.