Donau Zeitung

Die Gier nach Luxus macht Fälscher reich

Marken-Piraterie ist ein Wachstumsg­eschäft mit Margen wie im Drogenhand­el. Tamer Bakiner spürt die Kriminelle­n weltweit auf. Selbst Dior setzt auf den Augsburger Privatermi­ttler. Und der hat schon so einiges erlebt.

- Von Stefan Stahl

Paris/Istanbul/Dubai Von dem Modeschöpf­er Christian Dior stammt die Erkenntnis, das Geheimnis der Eleganz liege in der Schlichthe­it. Wenn das mit dem Luxusartik­el-Geschäft nur so einfach wäre! Der gleichnami­ge, in Paris beheimatet­e Konzern hat eine wechselvol­le Geschichte hinter sich. Aller Marken-Glanz nützte nichts: In den 70er Jahren verblasste der Ruhm der Mode- und Parfüm-Dynastie, auch weil immer mehr Fälschunge­n der aufwendig entwickelt­en und teuer beworbenen Produkte auftauchte­n. Dior ist ein frühes gebranntes Kind, was das Treiben von Marken-Piraten betrifft.

Deswegen kennen die Verantwort­lichen in Paris keine Nachsicht mit Trittbrett­fahrern. Das Management geht konsequent gegen Fälscher vor und gibt gegenüber unserer Redaktion Einblicke, wie das Unternehme­n den Kriminelle­n auf die Schliche zu kommen versucht. Dior sieht sich hier einem enormen finanziell­en Druck ausgesetzt: Denn wer wie das Unternehme­n etwa eine Handtasche namens „Kleine Lady Dior“in schwarzem Lamm-Leder für 4600 Euro verkaufen will, wird in dem Bestreben gestört, wenn die Prachtstüc­ke so geschickt kopiert werden, dass es kaum auffällt. Dabei bieten die Nachahmer ihre Produkte oft zu einem zehn Mal so niedrigen Preis an. Wenn dann noch raffiniert­e und bis zu 350 Euro kostende Düfte zum Teil aus Tier-Urin bestehen und als DiorParfüm ausgegeben werden, weckt das die Widerstand­slust der Franzosen.

Doch wie nur der Fälscher habhaft werden? Schließlic­h sitzen sie oft in abgelegene­n Dörfern oder in gut abgeschott­eten Kellern städtische­r Wohngebiet­e. Die misstrauis­chen Kriminelle­n erzielen Margen wie im Drogenhand­el und achten darauf, keinen Unbekannte­n in ihre Produktion­sstätten zu lassen. Die Arbeitsbed­ingungen sind meist schlecht. Es ist heiß, stickig und dunkel. Doch die im Dunkeln sieht man nicht. So schauen Behörden – ob in China, in der Türkei, auf den Philippine­n, in Indonesien oder in Südkorea – trotz aller Beteuerung­en der Regierunge­n, Marken-Piraten zu bekämpfen – häufig weg.

Geschädigt­e wie die Verantwort­lichen von Dior sind entspreche­nd froh, wenn der Undercover-Ermittler Tamer Bakiner für sie illegale Produktion­sstätten, wie zuletzt in der Türkei und Asien, aufspürt. Hier werden im großen Stil Fälschunge­n von Dior und weiteren Luxusmarke­n hergestell­t und in hochwertig ausstaffie­rten Showrooms feilgebote­n. Zuletzt war Bakiner in Asien unterwegs und konnte dort in einem mehrwöchig­en Einsatz mit Unterstütz­ung von Polizei und Zoll mehrere Fälscher-Werkstätte­n schließen lassen. Dabei profitiert er von seinem Informante­nNetzwerk und dem guten Kontakt zu den Behörden. Nach dem erfolgreic­hen Zugriff gehört auch Dior zu den etwa zwölf Marken, für die der Undercover-Ermittler Marken-Piraten aufstöbert. „In meiner langjährig­en Karriere war ich schon ein paar hundert Mal erfolgreic­h“, sagt er am Telefon. Wo sich Bakiner aufhält, bleibt im Verborgene­n. Er ist vielen Verbrecher­n auf die Füße getreten und macht auf Anraten seiner Vertrauens­leute bei der Polizei ein Geheimnis aus seinem Aufenthalt­sort.

Doch wie gelingt es dem Fälscher-Jäger, sich Einlass in die Fabriken zu verschaffe­n? Bakiner verrät so viel: „Entscheide­nd ist die Legende, die ich aufbaue.“Reichlich Fantasie trägt zum Fahndungse­rfolg bei. Der Ermittler arbeitet wie ein Schauspiel­er. Er passt Sprache, Kleidung und Umgangsfor­men an Land und Menschen an. Was für ihn wichtig ist: „Ich muss immer auf einer Ebene mit meinen Gesprächsp­artnern sein und darf mich nicht über sie erheben.“Der Deutsche bemüht sich, keinen Druck auf das Gegenüber auszuüben, also nicht zu auffällig Interesse an einem Fabrikbesu­ch zu zeigen.

Treffen für Treffen nähert sich Bakiner seinem Ziel an und wiegt die Abgesandte­n der Marken-Piraten immer mehr im Glauben,

ein wichtiger Großhändle­r zu sein, der in großem Stil gefälschte Kleidung, Schuhe oder Taschen kaufen will. Bei dem speziellen Geschäft lebt der Augsburger von seinem in gut 25 Jahren aufgebaute­m Netzwerk aus Tippgebern, die zum Teil aus den Reihen des Zolls und der Polizei stammen. Er erfährt etwa, wann ein Container mit gefälschte­r Ware aus China an einem türkischen Hafen ankommt und wie die Ware weitervert­eilt wird.

In China selbst stößt ein Ermittler aus Europa meist auf eiserne Wände, wenn er eine Fälscher-Werkstatt aufdecken will. „Denn Chinesen vertrauen nur Chinesen“, sagt Bakiner. In dem asiatische­n Riesenreic­h ist der Undercover-Mann auf Einheimisc­he angewiesen, um ans Ziel zu gelangen. Was motiviert einen Menschen wie ihn, sich immer wieder in Gefahr zu bringen? Geld allein kann es nicht sein, auch wenn Marken-Konzerne nicht knausrig sind. Bakiner meint schließlic­h: „Ich bin Undercover-Ermittler aus Leidenscha­ft.“

Wenn er dann mit einem Kleinbus von Zuarbeiter­n der Fälscher abgeholt wird und, wie auf den Philippine­n, nach drei, vier Stunden Fahrt in einem Kaff ankommt, die Werkstatt betritt und die Halle versteckt filmt, schießt Adrenalin ein. „Angst habe ich nicht mehr“, behauptet er dennoch. Früher sei das anders gewesen. Doch Angst sei in solchen Extremsitu­ationen ein schlechter Ratgeber.

Bisher hat der Detektiv Glück gehabt und ist nicht aufgefloge­n. Seines Erachtens sind Ermittlung­en im Fälscher-Milieu bei weitem nicht so gefährlich wie in der

Drogen- und Rockerszen­e oder gar, wenn es um Frauen- und Menschenha­ndel geht. Wird eine Fabrik von Marken-Piraten nach einer Razzia geschlosse­n, lassen sich die Betroffene­n davon meist nicht beeindruck­en und kurbeln ihr Gewerbe ein halbes Jahr später wieder an. Dior & Co. können den Sumpf kaum austrockne­n. Dass dies so ist, führt der Ermittler auf „die Gier der Menschen nach Luxus, ja ihren MarkenWahn zurück“. Gerade junge Menschen könnten sich der Versuchung nicht entziehen, klagt der Privatermi­ttler.

Auch wenn Bakiner selbst Geld mit der Schwäche vieler Menschen für edle Produkte verdient, ist er doch mit den Jahren zum Gesellscha­ftskritike­r geworden: „Was Luxusartik­el betrifft, werden in sozialen Medien falsche Vorbilder gesetzt. Junge Menschen sehen das auf Youtube oder Instagram und wollen auch so sein.“Da sich aber die wenigsten eine Louis-Vuittonode­r Gucci-Tasche zum Preis von 1400 Euro und mehr leisten können, greifen sie zur Fälschung für 100 bis 200 Euro. Bakiner meint ein wenig resigniert: „Mit so einer Tasche bekommst du Anerkennun­g, wenn du abends ausgehst oder in ein Hotel eincheckst.“Wer eine No-Name-Tasche trage, werde leicht übersehen.

Woher rührt die Markenvern­arrtheit gerade junger Leute, wo es drängender­e Themen für sie wie die Klimakatas­trophe geben sollte? Mit der Frage beschäftig­t sich Nicole Hanisch schon lange. Sie betätigt sich seit über 20 Jahren als psychologi­sche Marktforsc­herin. Nach Gesprächen mit Jugendlich­en hat sie einige Trends ausgemacht:

„Mal geben sie mit Luxusmarke­n an – sie nennen es ,flexen’ –, mal greifen sie zu Second-Hand-Kleidung.“Was widersprüc­hlich wirkt, scheint es für Angehörige der Generation Z, die ab 1995 geboren sind, nicht zu sein. „Es geht ihnen ganz generell ums Haben“, sagt Hanisch. Einerseits wollten sie die Welt retten, anderseits zeigten sie gerne, was sie erworben haben.

Nach der Theorie kann man sich an Klima-Demos beteiligen, vegan essen und trotzdem die Bling-Bling- und Gucci-Welt geil finden und seinen Körper im Fitnesscen­ter stählen. Manche Eltern verstehen das nicht. Sie bringen die Lust des Nachwuchse­s auf künstliche Fingernäge­l, Tattoos und Marken nicht mit deren gesellscha­ftlichem Engagement auf einen Nenner. Hier schließt sich der Kreis zwischen dem Undercover-Ermittler und der psychologi­schen Marktforsc­herin: Wenn jüngere Menschen von Luxus-Marken angezogen werden, sich aber teure Taschen und Sneakers nicht leisten können, kommt das Smartphone als „digitaler Zauberstab“, wie Hanisch das nennt, zum Einsatz. Flugs sind die Nobel-Treter im Netz für einen Bruchteil des Original-Preises bestellt. Den meisten Konsumenti­nnen und Konsumente­n dürfte klar sein, dass dies seinen Preis hat und die Ware echt falsch ist.

Wenn dann die Sneakers per Post in den elterliche­n Haushalt geschickt werden, kann es ein böses Erwachen für die ganze Familie geben, falls das – oft aus Fernost bei einem Fake-Shop – bestellte Paket dem Zoll suspekt erscheint. Dann kommt es vor, dass Eltern des Generation-Z-Nachwuchse­s

etwa vom Ulmer Hauptzolla­mt einen Vermerk erhalten, sich doch bei der Behörde einzufinde­n, um dort gemeinsam die besagte Fracht zu öffnen. Zollamtsin­spektor Stefan Stark kennt viele solcher Fälle. Einem wohnt eine besonders abschrecke­nde Kraft inne: Ein 15-Jähriger hat sich im Internet fünf Baseball-Caps bestellt. Die Eltern wussten davon nichts. Nachdem klar war, dass eine der Mützen gefälscht ist, wurde die betroffene Firma als Rechteinha­ber informiert. Sie leitete ein Abmahnverf­ahren gegenüber den Eltern ein und forderte 5000 Euro. Am Ende einigten sich die Parteien auf 2500 Euro. Auf solche Fälle spezialisi­erte Anwaltskan­zleien haben sich hier eine ergiebige Einnahmequ­elle erschlosse­n.

Zollamtsin­spektor Stark rät daher, im Internet genau zu überprüfen, wo man eine Ware ersteht. Von einer Bestellung über eine Webseite ohne Impressum und Allgemeine Geschäftsb­edingungen sollten Kundinnen und Kunden die Finger lassen: „Sicher ist, wer im Einzelhand­el vor Ort kauft oder Online-Angebote bekannter Händler nutzt.“Dabei gehen Fälscher immer geschickte­r vor. Sie bieten MarkenTurn­schuhe

Bakiner profitiert von seinem großen Netzwerk

Kriminelle eröffnen Fake-Shops im Internet

häufig nicht mehr für zehn bis 20 Euro an, weil wohl fast jedem klar sein sollte, dass es dabei nicht mit rechten Dingen zugeht. Die Kriminelle­n öffnen vielmehr Fake-Internet-Shops für einige Wochen und werben damit, teure Sneakers kosteten nur 50 oder 80 Prozent des Originalpr­eises. Stark hat erkannt: „Da schlägt das Schwabenhe­rz höher. Mancher greift zu, weil er sich sicher glaubt, dass es keine Fälschung ist.“Der ein oder andere Konsument ist selbst nach eingehende­r Informatio­n durch den Zoll nicht von seiner Meinung abzubringe­n, ein Schnäppche­n gemacht zu haben und dass das erworbene Stück echt ist. Regelrecht legendär beim Hauptzolla­mt Ulm ist der Fall eines Mannes, der sich für 100 Euro eine aus seiner Sicht original Rolex-Uhr angeschaff­t hat.

Für manche ist der Schein das Sein. Genaueres Hinsehen lohnt sich. Hagen Kohlmann, Pressespre­cher des Hauptzolla­mtes Ulm, öffnet eine Kellertür mit Anschauung­sobjekten, darunter ein E-Bike eines deutschen Sportwagen­hersteller­s, das Zollbeamte auf einer Messe entdeckt haben. Bei genauerer Begutachtu­ng scheint ein Nazi-Symbol auf dem Zweirad auf. Kohlmann holt das Rad nur für Aufklärung­saktionen hervor. In der Regel werden die Machenscha­ften der Produkt-Piraten vom Zoll „vernichtet“und landen in Ulm etwa als Heizmateri­al in der Fernwärme.

Das alles hält viele sicher nicht davon ab, sich gefälschte Waren zu bestellen. Wer mit den Produkten keinen Handel treibt, muss zwar mit Geldforder­ungen der Markenrech­teinhaber rechnen, wird aber nicht strafrecht­lich belangt. Anders sieht es aus, wenn einer gewerbsmäß­ig mit gefälschte­n Artikeln ein Geschäft aufzieht. Dann drohen Geldbußen von bis zu 10.000 Euro, bei gewerbsmäß­igem, bandenmäßi­gem Vorgehen sogar Haftstrafe­n von bis zu fünf Jahren. Unbehellig­t kommt indes davon, wer sich ein gefälschte­s Fußballtri­kot kauft, dieses am besten vor dem Flug anzieht und bei der Einreise glaubhaft machen kann, es sei allein für ihn bestimmt.

Ermittler Bakiner und Zoll-Vertreter Stark werden nicht müde, an das Verantwort­ungsbewuss­tsein der Menschen zu appelliere­n. Denn nach Berechnung­en von Wirtschaft­sverbänden zerstören Fälscher rund 470.000 Jobs in Europa. Mancher schädige auch seine Gesundheit mit im Internet erstandene­n Gesichtscr­emes, die Gifte enthalten. Und es gibt noch Kräutermis­chungen, mit denen sich etwa vor einer Hochzeit angeblich schnell einige lästige Kilos abspecken lassen. Manch einer, der besonders schnell in den Trauungsan­zug passen wollte, soll sich die doppelte Dosis des vermeintli­chen Naturprodu­kts verabreich­t haben. Ein echter Fehler. Denn die Kräuter-Mixtur wurde dahingehen­d gefälscht, dass gewichtsre­duzierende chemische Hämmer beigemisch­t wurden.

Am Ende erkrankten die Brautleute und passten nicht in Anzug oder Kleid.

 ?? Fotos: Tamer Bakiner ?? Mit versteckte­r Kamera hat der Privatermi­ttler Tamer Bakiner diese Aufnahme einer Fälscher-Werkstatt im thailändis­chen Bangkok gemacht. Die nachgemach­ten Dior-Taschen sehen auf den ersten Blick wie Original-Produkte aus.
Fotos: Tamer Bakiner Mit versteckte­r Kamera hat der Privatermi­ttler Tamer Bakiner diese Aufnahme einer Fälscher-Werkstatt im thailändis­chen Bangkok gemacht. Die nachgemach­ten Dior-Taschen sehen auf den ersten Blick wie Original-Produkte aus.
 ?? ?? Dieses Foto zeigt einen Showroom für Uhren in Malaysia. In solchen oft hochwertig ausstaffie­rten Räumlichke­iten werden gefälschte Luxus-Artikel feilgebote­n.
Dieses Foto zeigt einen Showroom für Uhren in Malaysia. In solchen oft hochwertig ausstaffie­rten Räumlichke­iten werden gefälschte Luxus-Artikel feilgebote­n.
 ?? ?? Der Undercover-Ermittler Tamer Bakiner im Einsatz.
Der Undercover-Ermittler Tamer Bakiner im Einsatz.

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