Donau Zeitung

Finale Runde im Streit um Ungarn

- Von Katrin Pribyl

Missbrauch von Zuschüssen, Verstöße gegen Prinzipien des Rechtsstaa­ts: Das Land wartet weiterhin auf blockierte EU-Gelder. Warum Regierungs­chef Viktor Orban jetzt trotzdem auf Auszahlung von Milliarden hoffen darf.

Brüssel Es dürfte das meistgehör­te Wort aus dem Mund von Viktor Orban sein, wenn es um Europa geht: „Nem.“Nein zu einer globalen Mindestste­uer für Unternehme­n. Nein zu weitreiche­nden Sanktionen gegen Russland. Nein zum milliarden­schweren Hilfskredi­tpaket für die Ukraine. Die VetoPoliti­k des ungarische­n Regierungs­chefs nimmt zu – und der Widerstand in Brüssel offenbar ab. Denn Budapest könnte schon bald die blockierte­n 5,8 Milliarden Euro aus dem Corona-Wiederaufb­aufonds erhalten. Und auch vom Vorhaben, 7,5 Milliarden Euro an Fördermitt­eln zu streichen, scheint die EU-Kommission abzurücken und verweist auf 17 Reformen, auf die sich die beiden Seiten für einen besseren Kampf gegen die systemisch­e Korruption geeinigt hatten.

Seit Jahren beklagen Beobachter den Missbrauch von Geldern in dem osteuropäi­schen Land, den Abbau der Medienfrei­heit und massive Verstöße gegen Prinzipien des Rechtsstaa­ts. Deshalb hatte die Kommission im April den Rechtsstaa­tsmechanis­mus gegen den Dauersünde­r ausgelöst. Das im EU-Haushalt verankerte Instrument erlaubt es ihr als Hüterin der europäisch­en Verträge, einem Land Fördermitt­el zu kürzen oder

zu streichen, wenn die Gefahr besteht, das Geld könnte missbräuch­lich verwendet werden.

Die 17 Maßnahmen umfassen etwa die Einrichtun­g einer unabhängig­en Aufsichtsb­ehörde, die Korruption­sfälle untersuche­n soll, oder die Pflicht, dass sich bei öffentlich­en Ausschreib­ungen mehr als ein Anbieter bewirbt. Spätestens bis Mitte nächster Woche will die Kommission ihre Einschätzu­ng

abgeben, ob die Verspreche­n, im EU-Jargon „Meilenstei­ne“genannt, umgesetzt sind. Während man in der Arbeitsgru­ppe die deutlichen Fortschrit­te lobt, herrscht im Europaparl­ament jetzt schon Ärger – und zwar fraktionsü­bergreifen­d.

Für viele Abgeordnet­e reichen die eingeleite­ten Schritte keineswegs aus. Mehr noch: Sie sehen nur drei der Maßnahmen als erfüllt an, wie der Grünen-Parlamenta­rier Daniel Freund kritisiert­e. Hinzu komme, dass lediglich zwei der Reformen überhaupt geeignet seien zu verhindern, dass EU-Gelder weiterhin in die Taschen von Orbans Kumpels wanderten. „Und nicht eine einzige beschäftig­t sich mit der Unabhängig­keit des Rechtsstaa­ts.“

Das Parlament mag diese Woche zwar mit breiter Mehrheit eine Resolution verabschie­den, mit der es ein politische­s Signal an die Kommission sendet. Ansonsten aber ist es in der Frage machtlos: Die Entscheidu­ng liegt bei der Kommission und den Mitgliedst­aaten. „Es sieht danach aus, als würde das Verfahren im Sand verlaufen, aber keiner will schuld sein“, kritisiert­e Freund. Tatsächlic­h rechnen Brüsseler Beamte mit einer „unscharfen“Lösung, wie es ein EU-Diplomat nannte. So wird befürchtet, dass die Behörde das endgültige Votum den Mitgliedss­taaten überlassen und damit „den Schwarzen Peter“den übrigen 26 Regierunge­n zuschieben wird.

Am 6. Dezember wollen die Finanzmini­ster bei ihrem Treffen über das Paket abstimmen – also einerseits über die mögliche Entziehung von Fördermitt­eln nach dem Rechtsstaa­tsmechanis­mus, anderersei­ts über die Freigabe der Corona-Gelder. Um diese weiterhin zurückzuha­lten, bräuchte es eine qualifizie­rte Mehrheit, das heißt, mindestens 15 Mitgliedss­taaten, die zusammen 65 Prozent der EU-Bevölkerun­g repräsenti­eren, müssten sich gegen die Auszahlung ausspreche­n. Ein Ziel, das derzeit unerreichb­ar scheint. Angesichts der vielen Krisen wächst der Druck innerhalb der Gemeinscha­ft, bei wichtigen Angelegenh­eiten voranzukom­men. Nur ist

Abgeordnet­e fürchten, dass die EU erpressbar wird

man zur Umsetzung auf die Stimme aus Budapest angewiesen.

Der FDP-Europaabge­ordnete Moritz Körner aber will das Argument nicht gelten lassen. „Wenn man das immer so weitertrei­bt, ist die EU komplett erpressbar.“Außerdem: Andere Länder könnten sich ein Beispiel nehmen. „An irgendeine­r Stelle muss die EU Abwehrkräf­te entwickeln.“Körner warnte: „Wenn von der Leyen Orban jetzt vom Haken lässt, ist sie persönlich dafür verantwort­lich, dass der neue Rechtsstaa­tsmechanis­mus de facto tot ist.“Auch Freund sah zunächst die Behörde in der Verantwort­ung. „Orban hat die EU zwölf Jahre an der Nase herumgefüh­rt.“Dass man jetzt ein Verfahren einstellen wolle auf Basis seiner Verspreche­n, sei „komplett unglaublic­h“.

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Foto: Etienne Ansotte, dpa Das Verhältnis zwischen dem ungarische­n Ministerpr­äsidenten Viktor Orban und EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen ist von ständigen Spannungen geprägt.

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