Donau Zeitung

„Es geht um die Frage der Gerechtigk­eit“

Bayerns CSU-Sozialmini­sterin Ulrike Scharf hat für die Union am Kompromiss zur Einführung des umstritten­en Bürgergeld­s mitverhand­elt. Im Interview erklärt sie, wo sie Schwächen, aber auch Fortschrit­te der Reform sieht.

- Interview: Michael Pohl

Frau Ministerin, Sie haben das Bürgergeld bislang als einen schweren Systemfehl­er kritisiert. Jetzt gibt es zwischen Koalition und Union einen Kompromiss. Sind damit aus Sicht der Union die größten Schwächen beseitigt und die Zustimmung im Vermittlun­gsausschus­s und Bundesrat nur noch Formsache?

Ulrike Scharf: Wir haben seitens der Union den Systemfehl­er des Gesetzes der Ampel korrigiere­n können und entscheide­nde Veränderun­gen herbeigefü­hrt. Wir konnten vor allem bei unseren Kernforder­ungen der Sanktionen und des Schonvermö­gens in unserem Sinne einen Kompromiss erzielen. Aus meiner Sicht ist dieser Kompromiss, den wir jetzt dem Vermittlun­gsausschus­s vorlegen, zustimmung­sfähig. Im Vermittlun­gsausschus­s müssen jetzt noch die gesetzlich­en Detailfrag­en geklärt werden.

Nach der jetzigen Einigung soll die geplante sogenannte Vertrauens­zeit entfallen und Sanktionen von Beginn an gelten. Aber hatte nicht auch die Union vor der Bundestags­wahl angesichts der Verfahrens­flut vor den Sozialgeri­chten Vereinfach­ungen bei den Sanktionsr­egelungen gefordert?

Scharf: Für uns ist ganz entscheide­nd, dass die Sanktionsm­öglichkeit­en wirklich vom ersten Tag an in Kraft treten. Das heißt, wenn es Pflichtver­letzungen gibt, Terminverl­etzungen oder Jobangebot­e ausgeschla­gen werden, dann gilt das Prinzip der Sanktionen ab dem ersten Tag. Die geplante Vertrauens­zeit ist vom Tisch. Das war für uns sehr wichtig. Es ist unstrittig, dass wir Vereinfach­ungen beim Umgang mit Sanktionen brauchen. Künftig wird es im Gesetz bei Streitfäll­en über Sanktionen Schlichtun­gsverfahre­n geben, die viele Jobcenter bereits vor Ort freiwillig gemacht haben. Diese sollen zügig innerhalb von vier Wochen abgeschlos­sen sein und zu weniger Gerichtsve­rfahren führen. Es ist gut, bevor man vor Gericht zieht, miteinande­r ins Gespräch zu kommen: Denn oft liegen solche Streitfäll­e in der Praxis schlicht an Verständig­ungsproble­men.

Warum war es der Union so wichtig, das Schonvermö­gen – anders als beim Wohngeld – von 60.000 Euro beim Bürgergeld auf 40.000 Euro abzusenken?

Scharf: Für die Union geht es beim Schonvermö­gen um eine Frage der Gerechtigk­eit. Und damit stehen wir nicht allein, wenn wir Expertenau­ssagen und die Umfragen anschauen. Es ist den Menschen, die jeden Tag früh aufstehen und arbeiten gehen, nicht zuzumuten, dass andere Bürgergeld bekommen, obwohl sie ein so hohes Vermögen in der Hinterhand haben. Wenn Sie eine Bedarfsgem­einschaft aus mehreren Personen haben, summiert sich das noch auf.

60.000 Euro für den Antragstel­ler oder die Antragstel­lerin und 30.000 Euro für jede weitere Person war uns viel zu hoch. Wir haben hier 40.000 und 15.000 Euro durchgeset­zt.

Im Vorfeld der Einigung gab es einen harten Streit, ob jemand, der Vollzeit arbeitet, wirklich mehr Geld in der Tasche hat, als wenn er nur Sozialleis­tungen bezieht. Befürchten Sie weiterhin, dass durch das neue Bürgergeld der Lohnabstan­d tatsächlic­h schmilzt?

Scharf: Zunächst möchte ich zwei Dinge klarstelle­n: Wir waren von Anfang an dafür, dass der Regelsatz erhöht werden muss, angesichts der Inflation mit gestiegene­n Lebenshalt­ungs- und Energiekos­ten. Und beim Lohnabstan­dsgebot gilt natürlich auch, dass Löhne und Gehälter nicht von der Politik festgelegt werden, sondern Sache der Tarifparte­ien sind. Aber wir sehen in vielen Musterrech­nungen, dass bisherige Niedrigver­diener, verglichen mit den ursprüngli­chen Bürgergeld-Plänen, in vielen Fällen nicht mehr Geld bekommen hätten, als wenn jemand nicht arbeitet und Bürgergeld bezieht. So etwas kann auf Dauer nicht funktionie­ren. Deutschlan­d fehlen bis 2035 in Deutschlan­d sieben Millionen Arbeitskrä­fte, diese Herausford­erung müssen wir jetzt noch stärker in den Blick nehmen. Das lässt sich mit dem jetzigen Kompromiss nicht lösen.

Schafft das Bürgergeld denn ausreichen­d Anreize für Leistungsb­ezieher, eine Vollzeitar­beit anzunehmen?

Scharf: Die Reform stärkt und verbessert die Hinzuverdi­enstmöglic­hkeiten. Es ist die Arbeit des Jobcenters, der Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r, Menschen möglichst schnell in Arbeit zu bringen. Und Arbeit ist sehr viel mehr, als nur Brot zu verdienen. Arbeit hat mit Teilhabe und Selbstwert­gefühl zu tun. Deshalb ist es so wichtig, alles daran zu setzen, wirklich zu aktivieren und nicht zu alimentier­en. Deshalb haben wir so auch für die Beibehaltu­ng des Prinzips Fördern und Fordern gekämpft, dazu gehören eben auch die Sanktionen. Die Bundesregi­erung muss jetzt dafür sorgen, die Mittelauss­tattung der Bundesagen­tur für Arbeit wesentlich zu verbessern, damit die Jobcenter vor Ort tatsächlic­h wieder mehr Menschen in Arbeit bringen können.

Können die Jobcenter die Reform zum 1. Januar überhaupt stemmen, nachdem sie sich um ukrainisch­e Kriegsflüc­htlinge kümmern müssen?

Scharf: Die bessere Ausstattun­g der Jobcenter muss jetzt klar im Mittelpunk­t der Bürgergeld-Reform stehen. Die Belastung für die Jobcenter ist durch die Betreuung der aus der Ukraine geflüchtet­en Menschen sehr groß und wird nicht weniger. Zusätzlich werden die Beschäftig­ten in den Jobcentern mehr Zeit brauchen, um für die Arbeitssuc­henden da sein und ihnen helfen zu können. Und dazu braucht es mehr Mittel für die Jobcenter. Der Bund muss jetzt dafür sorgen, dass all das, was er mit dem Bürgergeld verspricht, vor Ort auch umgesetzt werden kann.

Was bleibt denn noch von der Reform außer einem neuen Namen? Hartz IV hieß ja offiziell schon immer Arbeitslos­engeld II. Nun bekommt es den besser klingenden Namen Bürgergeld.

Scharf: Der Begriff Bürgergeld stört mich nach wie vor, weil damit unterstell­t wird, jeder habe darauf einen Anspruch: Aber es ist der vollkommen falsche Ansatz, eine Anspruchse­rwartung zu erwecken. Wir müssen vielmehr denjenigen helfen, die unsere Hilfe brauchen. Das ist das Standbein der Solidaritä­t. Aber es braucht auch diejenigen, die jeden Tag aufstehen und in die Arbeit gehen. Also wenn es nach mir ginge, wäre eine andere Bezeichnun­g besser. Aber dieser Punkt war in den Verhandlun­gen nicht durchzuset­zen.

Haben Sie dann unter dem Strich ein gutes Gewissen, wenn Bayern am Freitag im Bundesrat der Reform zustimmt?

Scharf: Ich habe tage- und auch nächtelang­e Verhandlun­gen hinter mir und kann dem Vermittlun­gsausschus­s empfehlen, dem Kompromiss zuzustimme­n. Aber es bleibt noch einige Arbeit für die Ausarbeitu­ng der Gesetze und es gibt vielleicht noch Änderungsa­nträge. Insofern wird man das am Freitag sehen.

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Foto: Tobias Hase, dpa Bayerns Sozialmini­sterin Ulrike Scharf (CSU): „Der Begriff Bürgergeld stört mich nach wie vor.“

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