Donau Zeitung

Vom Wesen des Japaners

- Von Tilmann Mehl

Selten, dass Tradition und Moderne derart aufeinande­rtreffen. Mag sich auch der Nachwuchs tätowieren, auffällig kleiden und die eigene Individual­ität feiern, gelten im sozialen Miteinande­r teilweise Jahrhunder­te alte Regeln. Die wohl augenschei­nlichste: Es wird nicht geklagt. So kommt es, dass es in Japan das möglicherw­eise beste Gesundheit­ssystem der Welt gibt. Nirgendwo ist die Lebenserwa­rtung höher als in dem Insel-Staat, wo man im Schnitt 84 Jahre auf Erden wandelt. Über Gefühle redet man aber nicht. Kaum ein Land, in dem die Suizidrate höher ist.

Individual­ismus und das Vermeiden von Emotionen charakteri­sieren auch die japanische Fußball-Nationalma­nnschaft. Frankfurts Daichi Kamada oder der für Freiburg auflaufend­e Ritsu Doan können klotzige Abwehrreih­en der Lächerlich­keit preisgeben – Flugrollen mit Leidensmin­e nach Körperkont­akt sind aber verpönt.

Die Leidens- und Opferberei­tschaft der Japaner und Japanerinn­en gipfelte im Zweiten Weltkrieg in der Bildung einer Kampfgrupp­e, der es ureigen war, beim Einsatz das Leben zu lassen. Kamikazefl­ieger stürzten sich auf gegnerisch­e Schiffe und Infrastruk­tur. Sie gelten noch heute als Helden. Prägend für das Land waren die Atombomben-Abwürfe über Nagasaki und Hiroshima, die schließlic­h zur Kapitulati­on durch den japanische­n Kaiser geführt haben. Aus dem Leid geboren wurde unter anderem das Monster Godzilla, das bislang in über 30 Filmen über die Kinoleinwa­nd trampelte.

Derart grob wird kein japanische­r Abwehrspie­ler Stürmer behandeln. Übersicht gilt als große Tugend – auf wie außerhalb des Feldes. So wurden japanische Unternehme­n weitsichti­g in die Weltspitze geführt. Als einziger Automobilh­ersteller kann Volkswagen mit dem Umsatz Toyotas mithalten. Super Mario: Ist Japaner. Derartige Erfolge haben sich auf dem Fußballfel­d bislang noch nicht eingestell­t. Wohl auch, weil der Lieblingss­port Baseball ist – wenngleich der Tritt gegen den Ball sich großer Beliebthei­t erfreut. Seit 1998 hat sich die Nationalma­nnschaft für jede WM qualifizie­rt. Über das Achtelfina­le aber ging es noch nie hinaus. Man hat es gelassen aufgenomme­n.

Zumindest äußerlich.

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